Aneignung der Fähigkeit, Geräte ein- und auszuschalten

In Großbritannien sollen die Kinder nach dem Willen des Familienministeriums schon in den Kinderhorten den Umgang mit Medien und Computertechnik erlernen

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Der Trend ist, Kindern immer früher Wissen und den Umgang mit der Computertechnik beizubringen, um sie fit für die Wissensgesellschaft zu machen. Dazu gehört, vom obligatorischen Schulunterricht zum obligatorischen Vorschulunterricht zu gehen, zumindest aber den Druck zu erhöhen, mit der Bildung möglichst früh zu beginnen.

So heißt es etwa im 12. Kinder- und Jugendbericht (2005):

In der Kleinkindphase, spätestens ab dem dritten Lebensjahr, bedürfen Kinder neuer, den familialen Rahmen erweiternde und ergänzende Bildungsgelegenheiten. Die Familie bietet zwar den Boden für elementare Entwicklungs- und Bildungsprozesse des Kindes, jedoch sind unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen ihre Möglichkeiten, Kindern die Teilhabe an der komplexen, pluralistischen und einem schnellen Wandel unterworfenen Gesellschaft zu ermöglichen, eingeschränkt.

Die Vorverlegung der Bildung in die frühe Kindheit, mit der diese auch der entsprechenden Disziplinierung und Leistungserwartung unterworfen wird, hat natürlich auch immer den Sinn, Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten, die oft beim Schuleintritt schon nachhinken und den Vorsprung der anderen Kinder womöglich nie mehr einholen können, eine größere Chancengleichheit zu gewähren. Da die Familie hier ausfällt, müssen öffentliche Einrichtungen die Kinder fördern – und dies, im Sinne der Chancengleichheit – eigentlich immer intensiver und früher einsetzend, weil die wohlhabenderen und gebildeteren Schichten eben auch immer früher mit den Lernanforderungen einsetzen, um ihren Kindern einen Vorsprung zu verschaffen oder zumindest ihre späteren Karrieren in der Wissensgesellschaft zu sichern.

In Großbritannien geht man gerade noch einen Schritt weiter und hat neue Richtlinien für alle Kindertagesstätten aufgestellt, die im Herbst in Kraft treten. Die Early Years Foundation Stage (EYFS) verlangen, dass Kinder bis zum vierten Lebensjahr bereits grundlegende Computerkenntnisse haben, eine Website finden und mit einer Fernbedienung für den Fernseher umgehen können sollen. Lernziele sind beispielsweise:

Lehre und bestärke die Kinder darin, auf verschiedene Icons zu klicken, um in einem Computerprogramm bestimmte Dinge zu bewirken.

Die Kinder sollen ein einfaches Programm durchgehen, einfache Funktionen ausführen, mit der Maus und der Tastatur mit altergemäßer Software interagieren, die Verwendungsmöglichkeiten alltäglicher Techniken herausfinden und Informations- und Kommunikationstechniken sowie programmierbare Spielzeuge zum Unterstützen des Lernens verwenden können.

Schon im Alter bis zu zwei Jahren sollten die Kinder "ein Interesse an Informations- und Kommunikationstechniken (IKT) zeigen und versuchen, sich grundlegende Fertigkeiten anzueignen, um Geräte an- und auszustellen". Man darf zwar vermuten, dass das Kinder auch ohne Anleitung machen werden, die Frage dürfte eher sein, ob es dringend notwendig ist, dass Ein- oder Zweijährigen schon Fernseher, Computer oder Spielekonsolen einschalten und dann glotzen oder damit spielen sollten. Mit zweieinhalb Jahren sollten dann die Erzieher, falls die Kinder doch kein eigenständiges Interesse zeigen, deren "Aufmerksamkeit auf Teile der IKT-Geräte lenken".

Offenbar gibt es panische Angst, dass die Technik an den Kindern vorbei gehen könnte. Vermutlich denkt man, dass sie den Umgang mit Technik und Computer desto besser lernen, de früher sie damit anfangen. Wenn allerdings das schon früh zur Pflichtaufgabe wird, könnte man die Kinder genauso gut davon abschrecken, als Ergebnis könnte zudem herauskommen, dass die Kinder gar nicht mehr über die Oberflächen hinausgehen und beim Konsum mit den grundlegenden Fähigkeiten des Einschaltens und der Bedienung von Maus und Tastatur stehen bleiben. Beobachtungen wurden schließlich auch gemacht, dass gerade bildungsferne Schichten den Kindern als Ersatz haufenweise Medien ins Zimmer stellen und sie womöglich auch früh an vor den Fernseher setzen, damit sie dort lernen, was sie selbst ihnen nicht anbieten wollen oder können. Der Erfolg ist zumindest zweifelhaft, Studien sagen eher, dass dann, wenn Kinder schon von klein an zu viel und zu lange Medien ausgesetzt sind, ihre schulischen Leistungen eher zurückgehen. "Bildungsnahe" Schichten dürften eher dafür sorgen, dass ihre Kinder nicht zu früh und zu lange in die Medien- und Computerwelt abtauchen, die Kenntnisse werden in Blitzeseile auch später erworben, ohne dadurch Schaden zu leiden.

Ähnlich argumentiert der Psychologe Aric Sigman, der in der britischen Times davor warnt, dass ein Curriculum, das schon Kleinkinder vor die Bildschirme bringt, riskiert, Mediensüchtige zu schaffen. Für viele Lernvorgänge vom Erwerb sprachlicher Kompetenz über das Lesen bis hin zur Mathematik könnte dies genau das Gegenteil des Beabsichtigten bewirken: "Gesetzlich die Einführung von Bildschirmtechnik für 20-60 Monate alte Kinder zu verlangen, wird vermutlich später zum täglichen Bildschirmkonsum führen." Ein Sprecherin des Ministeriums für Kinder, Familien und Schulen versucht zu beruhigen, dass mit EYFS nicht von allen Kindern verlangt wird, die Lernziele zu erreichen. "Die meisten, aber nicht alle Kinder sollten die Möglichkeit haben, durch ihr Spiel die Alltagstechnik kennenzulernen". Die dahinter steckende Vorstellung, dass man überhaupt das Erreichen von Lernzielen verordnen könnte, ist schon seltsam. Wichtiger wäre freilich zu belegen, warum die Kinder schon vor dem zweiten Lebensjahr unbedingt mit dem Computer umgehen sollen.