Angeblich tappt das FBI im Dunkeln

Gibt es doch noch keinen Hauptverdächtigen im Anthrax-Fall?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach eigener Auskunft hat das FBI noch keinen Hauptverdächtigen. Als Reaktion auf den Bericht der Washington Times gestern (Vgl. FBI verhört mutmaßlichen Milzbrand-Attentäter) kommentierte ein Sprecher, es gäbe noch keine ganz heiße Spur. Ein FBI-Beamter bezeichnete gegenüber dem Nachrichtensender Fox News den Artikel als "übertrieben" und "lächerlich".

Der Brief an Senator Patrick Leahy wird von Experten im Militärlabor Fort Detrick in Maryland geöffnet, Foto: FBI

Während seines täglichen Presse-Briefings im Weißen Haus sagte der Sprecher des Präsidenten, Ari Fleischer, auf Nachfrage von Journalisten:

I wish it was that easy and that simple right now, but unfortunately, there still are several suspects. There's not as if there's only one. And so the FBI is continuing its investigative efforts. That story, I think, was a little overreaching in saying there's just one. The FBI has not narrowed it down to just one; they are continuing their investigation. All indications are that the source of the anthrax is domestic. And I can't give you any more specific information than that. That's part of what the FBI is actively reviewing. And I just can't go beyond that.

Die Washington Times berichtet in ihrer heutigen Ausgabe über das offizielle Dementi, nimmt aber nichts zurück. Ihre Quelle im FBI wird nicht benannt, aber sie untermauert ihre Behauptung, dass der Hauptverdächtige ein nicht namentlich bezeichneter Mitarbeiter (oder Mitarbeiterin) des Militärlabors in Fort Detrick (USAMRIID) sei, weiter.

Die Zeitung schreibt heute, der Hauptverdächtige soll der Verfasser eines anonymen Briefes sein, der am 1. Oktober 2001 an die Militärpolizei der Quantico Marine Base geschickt wurde, und in dem der aus Ägypten stammende Wissenschaftler Ayaad Assaad beschuldigt wird, ein potenzieller Bio-Terrorist zu sein, der einen Rachefeldzug gegen die US-Regierung plane. Assaad arbeitete früher im Biowaffenprogramm in Fort Detrick (Vgl. Salon). Deutlich ist, dass der anonyme Denunziant sehr viel über Assaad und Fort Detrick wusste, da er genau dessen Arbeitsplatz dort und seine privaten Verhältnisse sowie Gewohnheiten beschrieb. Assaads Anwältin sagte der Washington Times:

Es gibt eine Beziehung zwischen der Person, die den Brief schrieb und der Person, die das Anthrax verschickte. Der Verfasser des anonymen Briefes kannte intime Details aus dem Leben und der beruflichen Laufbahn meines Klienten sowie über die Arbeit in Fort Detrick. Ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist.

Mikroskopische Untersuchung eines Milzbrand-Briefes, Foto FBI

Die New York Times berichtet, das FBI habe noch eine Liste von Verdächtigen, die 18-30 Personen umfasse. Die Bundespolizei habe aus einer Gruppe von 35-40 Wissenschaftlern diese Kerntruppe der Verdächtigen herausgefiltert. Hinweise seien vor allem von Forschern aus den militärischen Bio-Labors gekommen, die zur Mitarbeit aufgefordert waren. Überprüft worden sind Personen, die gegen Anthrax geimpft sind und das technische Wissen haben, um waffenfähige Milzbrand-Sporen herzustellen.

Die Suche nach dem Motiv stehe im Mittelpunkt der Ermittlung, denn der Täter müsse irgendeinen Groll gegen die Regierung hegen. Bill Carter, der Sprecher des FBI kommentierte: "Es gibt zurzeit keinen Hauptverdächtigen in diesem Fall." Die Liste der Verdächtigen sei immer wieder überarbeitet worden und jeder befragte Wissenschaftler wurde aufgefordert, Kollegen zu benennen, die eventuell fähig seien, die tödlichen Briefe zu verschicken. Ein aus Somalia stammender Student, der an einer Universität des Mittleren Westens (die über Anthrax zu Studienzwecken verfügt) in Biologie graduiert, war in den Fokus der Ermittler geraten, da seine Herkunft ins Schema zu passen schien. Er hat aber nicht das nötige Wissen, um selbst diese Art von Milzbrand-Puder herzustellen.

Der Täter könnte im "U.S. Army Medical Research Institute of Infectious Diseases" in Fort Detrick tätig gewesen sein, aber auch im Dugway Proving Ground in Utah oder im Battelle Memorial Institute in Ohio.

Die Washington Post ergänzt in der Berichterstattung heute, dass nicht nur bei einer Person das Büro, die Fahrzeuge und das Haus nach Anthrax-Spuren untersucht worden sei, sondern bei ungefähr einem Dutzend Forschern, die sich mit dieser Überprüfung freiwillig einverstanden erklärten. Somit waren keine Durchsuchungsbefehle notwendig.

Unter Verdacht stünden immer noch ca. 20 Personen, darunter sei aber kein Hauptverdächtiger. International kämen 20 Labors in Frage, die lebende Kulturen des Ames strain besitzen, dem Milzbrand-Stamm aus dem die Erreger in den Briefen stammen und der im Labor von Fort Detrick seinen Ursprung hat (Vgl. Auf der Spur der Anthrax-Briefe). In diesem Labor werden die Analysen der Milzbrandbriefe durchgeführt, das FBI arbeitet mit den Wissenschaftlern dort zusammen, die gleichzeitig sozusagen alle unter Verdacht stehen. Es wurde aber auch bereits ein Labor in Kanada von FBI-Agenten besucht, das entsprechende Anthrax-Erreger besitzt, es sollen außerdem weitere in Frage kommende Forschungseinrichtungen in Großbritannien und Frankreich unter die Lupe genommen werden.