Angeklagt: Wie VW Klimaskepsis bedient und Autofahrern die Schuld zuschiebt
Seite 2: Wenn VW bremst, bremst die ganze Autowelt mit
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Was nun, zumindest in der Art und Weise, frappierend ist: In Erwiderungen auf die Klage des Bio-Bauern Allhoff-Cramers argumentiert der größte Autobauer Europas diametral anders als in der Öffentlichkeit und verbreitet Zweifel am Klimawandel. Während man sich in Statements und in den Medien als ökologischer Musterschüler präsentiert und seine Elektrostrategie anpreist, wird Verantwortung und Handlungsbedarf im Rechtsstreit grundsätzlich abgewiesen.
Greenpeace verweist auf zwei 250 Seiten umfassende Schriftsätze, die die Anwälte beim Gericht eingereicht haben. Danach versuchten sie, wie Greenpeace schreibt, "Zweifel am Zusammenhang zwischen VWs Treibhausgasemissionen und den spür- und messbaren Auswirkungen auf das Klima zu säen. Sie stellen zentrale Erkenntnisse der Klimawissenschaft als unsicher dar und betonen zugleich, Volkswagen handle im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen."
Der Mitkläger und Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser hält dem Automobilkonzern vor:
VW greift ganz tief in den Giftschrank der Klimawandelleugnung. Die Anwältinnen und Anwälte des Konzerns versuchen seit Jahren, belegte Klimawissenschaft in Zweifel zu ziehen. Sie verdrehen bewusst wissenschaftliche Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Wetterextremen wie Dürren und dem menschengemachten CO2-Ausstoß. All das steht in drastischem Widerspruch zum Image des ökologischen Vorreiters, das VW in der Öffentlichkeit sucht.
Greenpeace dokumentiert die Argumente und Darstellungen der VW-Anwälte. Danach werden eine ganze Reihe von Nebelkerzen gezündet und Klima-Skepsis verbreitet. Behauptet wird (wie gesagt, in Widerspruch zu Äußerungen der Führungsspitze von VW in der Öffentlichkeit) u.a.:
- VW ist doch schon auf 1,5-Grad-Kurs. Fakt ist jedoch: Eine Untersuchung des New Climate Institute ergab das Gegenteil. Zudem lobbyierte VW in Brüssel gegen strengere Abgasnormen.
- Das sind gar nicht VWs Emissionen. Die Autofahrer produzierten 99 Prozent der Emissionen durch "eigennütziger Verwendung der Fahrzeuge". Sie seien daher für alle diese Emissionen verantwortlich. Fakt ist jedoch: Die Autos können nur gemäß ihrer Hersteller-Bestimmung von den Käufer:innen genutzt werden.
- Vom Klimawandel weiß VW erst seit kurzem. Fakt ist jedoch: Dokumente aus dem VW-Archiv belegen, dass der komplette Vorstand spätestens 1983 über den menschengemachten Klimawandel und die Folgen informiert gewesen ist.
- Der Einfluss von VWs Emissionen auf das Klima ist völlig unklar. Man argumentiert: Das Klimasystem sei "komplex", die "Klimaantriebe" wie CO2 könne man nicht genau von natürlichen Faktoren unterscheiden und der menschengemachte Beitrag zur Klimaerwärmung ließe sich nicht klar bestimmen. Fakt ist jedoch: Dem widerspricht der wissenschaftliche Konsens, ausgedrückt in zahlreichen Studien, wie sie vom Weltklimarat IPCC regelmäßig versammelt und ausgewertet werden.
- Dürren gab es immer schon. Natürlich provoziert oder anthropogen erzeugt, ließe sich nicht sagen, so die VW-Anwälte. Und: Es gäbe keinen gesicherten Zusammenhang mit der Erderwärmung. Fakt ist jedoch: Der menschengemachte Einfluss lässt sich wissenschaftlich von natürlicher Klimavariabilität trennen. Dass es bei konkreten Dürren weiter Unsicherheiten in der Attributionsforschung gibt, widerspricht dem nicht.
Die Klage gegen VW ist nicht die einzige und auch nicht die erste Klimaschutz-Klage. Weltweit ist zu beobachten, dass mehr und mehr derartige Klagen gegen Unternehmen erhoben werden, durchaus mit Erfolg.
Nicht nur das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sieht Freiheits- und Eigentumsrechte durch die Klimakrise gefährdet, sondern auch Gerichte in den Niederlanden, Belgien und Frankreich. Im Mai 2021 wurde der Ölkonzern Shell in den Niederlanden zu mehr Klimaschutz verurteilt. Jetzt hat das Unternehmen angekündigt, seine CO2-Emissionen bis 2030 zu halbieren.
Eine Klage gegen den Essener Energiekonzern RWE in Deutschland, bei der peruanische Bauern die historisch kumulierten Emissionen von RWE mitverantwortlich für schmelzenden Gletscher und daraus resultierende Schädigungen machen, wurde vom Essener Landgericht 2016 abgewiesen. Jetzt läuft ein Berufungsverfahren am Oberlandesgericht in Hamm.
Unabhängig davon, ob die VW-Klage erfolgreich sein wird oder nicht, sollte es zu denken geben, dass der deutsche Autokonzern vor Gericht Argumente von seinen Anwälten verwenden lässt, die Klimawandel-Skeptiker:innen und Relativierer der Emissionsrealität seit langem anführen.
Mehr noch: Man widerspricht eklatant Aussagen, die die Unternehmensspitze in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit tätigte. Dort zeigt man sich besorgt über die Klimakrise, argumentiert gemäß der Wissenschaft und verspricht entschlossenes Handeln sowie eine Trendwende im Einklang mit dem Pariser Klimavertrag.
Man sollte zudem im Kopf haben: VW stellt weltweit jedes achte Auto her. Der Konzern ist für ungefähr zwei Prozent der globalen Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich (inklusive der LKW), so viel wie ganz Deutschland im Jahr produziert. Wenn VW beim CO2-Ausstoß der Autos bremst, bremst die ganze Autowelt mit.
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