Angriff der Ahnungslosen

Deutsche Verlage fahren eine Kampagne. Neue Monopolrechte, Teil 1

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Seit dem Erscheinen des so genannten Heidelberger Appells finden sich in deutschen Tageszeitungen zunehmend Artikel, in denen unter Verweis auf Google Books, YouTube, The Pirate Bay und Open Access politische Maßnahmen zur "Wahrung" von Urheberrechten gefordert werden. Kennzeichen sowohl des Appells als auch der Kampagnentexte in den Tageszeitungen ist einerseits ein Verquirlen verschiedenster Phänomene. Das zweite Merkmal dieser Texte ist die - offenbar damit zusammenhängende - Ahnungslosigkeit der Autoren, die auf dieses Thema losgelassen werden.

Es scheint, dass für die Kampagne gerade jene hervorgezerrt wurden, die sich in den letzten Jahrzehnten alleine aus Zeitgründen mit kaum etwas außerhalb ihres Fachgebiets beschäftigen konnten, und die nun entsprechend gut als - wie man früher in solchen Fällen sagte - "nützliche Idioten" funktionieren. Mit ihnen wird Druck auf die Politik ausgeübt, damit den Verlagen neue Monopolrechte gewährt werden, die Autoren (und vor allem Naturwissenschaftlern) viel eher schaden als nützen.

So durfte beispielsweise der Literaturwissenschaftler Roland Reuß, der auch Leiter des Editionsprojekts "Historisch-Kritische-Franz-Kafka-Ausgabe" ist (und der es angeblich nie verwunden hat, dass Zweitausendeins "den ganzen Kafka für eine Packung Kaffee" veröffentlichen durfte), im FAZ-Text "Unsere Kultur ist in Gefahr"1 seine Zensurforderung gegen Blogs und News-Aggregatoren allen Ernstes mit dem Schutz der Pressefreiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes begründen und dazu noch ungestraft einen Nazivergleich anbringen. Weil es im (in dieser Hinsicht im Vergleich zum Internet unzivilisierten) Feuilleton kein Godwin-Gesetz gibt, ist trotzdem zu befürchten, dass dies nicht der letzte Text von ihm war, den er zu diesem Thema veröffentlichen darf.

Der juristische Laie Reuß argumentiert in seinem Rundumschlag unter anderem für Softwarepatente, obwohl gerade sie ein Gegenmodell zum Urheberrechtsschutz darstellen und sich ihre vehementesten Gegner vom FFII gerade auf das Urheberrecht als Schutzinstrument berufen. Man darf (ohne sich hier zu weit aus dem Fenster zu lehnen) angesichts solch einer - vorsichtig formuliert - verworrenen Argumentation durchaus annehmen, dass der Literaturprofessor weder mit rechtlichen Fragen noch mit Produktionsvorgängen außerhalb seines ganz speziellen Fachs besonders gut vertraut ist.

Ob die Unterzeichner seines Aufrufs für eine Mehrheit der Autoren sprechen, ist mehr als zweifelhaft: Selbst aus der VG Wort, die eher von Urheberrechtsmaximalisten dominiert wird, ist zu hören, dass sich viele Autoren darüber freuen, dass nicht mehr lieferbare Bücher noch eingesehen werden können und potentiell sogar Werbeeinnahmen abwerfen, während "eher wenige Autoren, [...] der Meinung sind, dass alte Bücher auf keinen Fall verfügbar sein sollten".

Karrieremutter Kegel

Allerdings ist Reuß auch nicht der radikalste Neo-Luddit: Für die "Karrieremutter" Sandra Kegel, so der Perlentaucher in einer ausgesprochen treffenden Zusammenfassung, "spricht nach zwanzigjährigem Experiment alles gegen das Internet". Die Eva Herrmann der FAZ beklagt sogar, dass durch das Internet Trägerformen wie CDs verschwinden würden. Warum das schlecht sein soll, lässt sie in ihrem kulturpessimistischen Furor zwar offen, aber bemerkenswert ist doch, dass vor 20 Jahren ähnliche Schriften erschienen, die das Vinyl an die Stelle der CD und die wiederum an die Stelle des Internets gesetzt hatten. Wobei das Vinyl bisher alles andere als ausstarb und in den letzten Jahren sogar Zuwachsraten verzeichnen konnte.

Mit dem "kostenlosen Zugang zu schöpferischen Werken", so die Hessisch sprechende Romanistin in ihrer Polemik "Unter Piraten"2, "wird der geistige Arbeiter bestohlen". Ob Kegel hier für eine Schließung von Bibliotheken argumentieren will? Dazu scheint der Artikel dann doch zu wenig durchdacht.

Kegel holt nicht nur pauschal gegen alles vom World Wide Web bis hin zu Open Access aus und bezeichnet sowohl Google als auch The Pirate Bay als "Texträuber", sie verunglimpft zudem die namhafte Copyrightkritikerin Pamela Samuelson mit einem (über wer weiß wie viele "Recherche"-Ecken) aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat als vermeintliche Schwester im Geiste und gibt so ungewollt ein tatsächliches Argument dafür ab, dass für das Zitieren eventuell doch gewisse Maßstäbe gelten sollten. Samuelson jedenfalls könnte es kaum jemand verübeln, wenn sie gegen ihre Entstellung durch Kegel juristisch vorgehen würde.

Wie wenig Ahnung Kegel von der Rechtswissenschaft hat, zeigt sie mit der Bemerkung, das "geistige Eigentum" sei "der Knotenpunkt einer Kultur, die das Urheberrecht als Teil eines universellen Persönlichkeitsrechts betrachtet". Tatsächlich ist die Vorstellung von "geistigem Eigentum" sogar ziemlich schwer vereinbar mit der kontinentaleuropäischen Urheberrechtstradition. Die deutsche Rechtswissenschaft stellte das bereits fest, bevor dieser Begriff über die Wirtschaft und die Politik aus den USA und Großbritannien importiert wurde, wo es eben keine Urheberpersönlichkeitsrechte gibt, sondern ein Copyright.

Für jemanden, der für stärkere Monopolrechte auf Inhalte wirbt, ist Kegels Text bemerkenswert identisch mit einem kurz vorher in der Zeit veröffentlichten von Susanne Gaschke. Auch diese promovierte Kinderliteratur-Expertin ist fast ausschließlich mit Familienthemen befasst und durfte auf der Titelseite verbreiten, dass "die Umsonst-Mentalität des Netzes die Produktionsbedingungen von Kultur, Wissenschaft und Journalismus bedroht", weshalb die Kinderpornographie-Stoppschilder auch zur Durchsetzung von Immaterialgüterrechtsansprüchen eingesetzt werden müssten. Eine Idee, die so absehbar war, dass der kürzlich beschlossene Gesetzestext bereits darauf hingetrimmt wurde: Vor der Verabschiedung durch den Bundestag gab es eine kleine, aber weitreichende Änderung in § 8 Abs. 2 TMG-E. Beschränkte sich der Entwurfstext vom 1. April 2009 noch auf Kinderpornografie, so enthielt die Beschlussvorlage keine solche Einengung mehr.

Kluft zwischen Naturwissenschaft und Feuilleton

Vor allem an der in allen diesen Texten geäußerten Forderung nach Maßnahmen gegen Open Access zeigt sich, wie tief die Kluft zwischen Naturwissenschaft und Feuilleton mittlerweile ist. Bereits vor dem Ersten Korb der Urheberrechtsreform hatten Verlage behauptet, dass der Wissenschaft die Grundlagen entzogen würden, wenn sie (die Verleger) nicht neue Monopolrechte bekämen. Naturwissenschaftler, so wurde wahrheitswidrig suggeriert, würden für Beiträge in Zeitschriften und Büchern bezahlt, könnten davon sogar leben und würden deshalb forschen. Einer, der damals auf diese Propaganda hereinfiel, war der SZ-Literaturkritiker Ijoma Mangold. Seine Karriere ging trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) weiter. Demnächst wird er im ZDF Nachfolger von Elke Heidenreich.

In Wirklichkeit sind die Feinde von Wissenschaftsverlagen wie Elsevier und Springer nicht "Raubkopierer" (die es in diesen Bereichen kaum gibt), sondern die eigenen Autoren. Open Access sichert Qualitäts- ebenso wie die Aufmerksamkeitsstandards und bietet keineswegs weniger, sondern deutlich mehr Publikationsfreiheit. Zudem sorgt die seit einigen Jahren verfügbare Option ganz nebenbei auch noch dafür, dass der Staat potentiell Subventionen an parasitäre Strukturen einsparen und sie stattdessen zum Einstellen neuer Wissenschaftler verwenden könnte.

Dass Open Access als Selbsthilfeprojekt von Naturwissenschaftlern entstand, lag auch daran, dass der Bogen überspannt wurde: Besonders naturwissenschaftliche Verlage nutzten ihre Monopole, um die Abonnementpreise für Zeitschriften drastisch zu erhöhen und so nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch ihre eigenen Autoren immer stärker zur Kasse zu bitten: Letztere erhalten nämlich im Normalfall kein Honorar für ihre Texte. Elsevier beispielsweise erwirtschaftete so Monopolrenditen von 40 Prozent und mehr - nicht durch Wettbewerb, sondern durch ein Modell, bei dem die öffentliche Hand die Arbeitskräfte bezahlte und gleichzeitig für Phantasiepreise die Produkte ihrer Arbeit einkaufen musste, welche diese wiederum als Werkzeuge brauchten.

Selbst die Qualitätskontrolle wurde noch von aus Steuern oder Studiengebühren bezahlten Naturwissenschaftlern ohne Verlagshonorar übernommen. Mit der Verbreitung entsprechender Software kam schließlich auch noch das Setzen und Layouten der eigenen Artikel hinzu. Elsevier blieb da eigentlich nur noch die politische Lobbyarbeit, bei der es der Verlag allerdings tatsächlich nicht an Kreativität mangeln ließ.

In Teil 2: FAZ gegen Marktwirtschaft. Wie aus einem neoklassischen Preisbildungsmodell eine "angemessene Beteiligung" wird