FAZ gegen Marktwirtschaft
Wie aus einem neoklassischen Preisbildungsmodell eine "angemessene Beteiligung" wird. Neue Monopolrechte, Teil 2
Manchmal wundert man sich doch, wer in Fächern wie Jura und Betriebswirtschaftslehre promoviert wird. Zu diesem Personenkreis gehört in jedem Fall der Berliner Rechtsanwalt und Honorarprofessor Dr. Jan Hegemann, der in der FAZ und beim Staatsmonopolverlag Juris einen Text ablieferte, der einer recht eigenwilligen Argumentationslogik folgt.
Teil 1: Angriff der Ahnungslosen
Unter dem eines Kinoreißers der 1960er Jahre würdigen Titel "Schutzlos ausgeliefert im Internet" argumentiert Hegemann erst mit einem Recht, das es gar nicht gibt, nämlich einem "geistigen Eigentum" von Verlagen, um mit angeblichen Verletzungen dieses Rechts dafür zu plädieren, dass es vom Gesetzgeber neu eingeführt wird. Das macht neugierig, ob (und bei welchen Richtern) Hegemann mit solcherlei Logik Prozesse gewinnt. Man weiß es allerdings nicht und darf es auch nicht herausfinden, weil ein anderer Rechtsanwalt durchgesetzt hat, dass das Führen von Erfolgsstatistiken durch Prozessbeobachter per Gewaltschutzgesetz verboten werden kann.
Die Arbeit von "Recherche und Informationsdienste[n]" hält Hegemann genauso wie die von Pressespiegelherstellern für in Bausch und Bogen "rechtswidrig". Wenn sie das wirklich ist, warum fordert Hegemann dann eine Gesetzesänderung? Weil er später indirekt einräumen muss, dass dies offenbar doch nur in seiner Phantasie der Fall ist und nicht vor Gericht:
Selbst wenn - etwa wie im Falle von "Rip-Offs" ganzer Artikel - eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, ist die Rechtsverfolgung schwierig. Der Verleger muss im Prozess gegen einen Verletzer das Bestehen ausschließlicher Nutzungsrechte an dem übernommenen Beitrag beweisen. Das ist aufwendig und scheitert spätestens dann, wenn der Journalist dem Verleger, was jedenfalls im Bereich der Tageszeitungen den gesetzlichen Normalfall darstellt, lediglich einfache Nutzungsrechte eingeräumt hat.
Anders als der Heidelberger Appell suggeriert, geht es in der aktuellen Kampagne gar nicht um Urheber und deren alte Rechte, sondern um neue Rechte für Verlage. Allerdings nennt auch Hegemann das neue Monopol, das die Verleger seiner Forderung nach bekommen sollen, mit keinem Mal beim Namen und spricht stattdessen lieber von "geistigen Eigentumsrechten". Dafür wird versucht, das böse Wort Google zuzuschieben, einer Firma, die angeblich eine "Monopolisierung des Weltwissens" betreibt. Allerdings fordert Google - anders als viele Verlage - keineswegs ausschließliche Rechte von den Autoren und beteiligt sie zu deutlich besseren Konditionen, als dies die meisten Zeitungen tun.
"In anderen Ländern", so Hegemann, "gibt es vergleichbare Rechte der Verleger längst". Das erweckt den Eindruck, dass Deutschland hier ganz alleine keine Monopolrechte gewährt. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Für Beispiele muss Hegemann denn auch auf Länder wie Indien, Pakistan und Bangladesch verweisen. Ob die Presselandschaft in Dacca oder Islamabad aber durch diese zusätzlichen Monopolrechte wirklich so viel besser ist als hierzulande (und die Demokratie um so vieles stärker), das lässt er offen.
Mit seiner Forderung entwertet Hegemann traditionelle Anspruchsmodelle auf "geistiges Eigentum", denn der Verlag erbringt ja keineswegs eine schöpferische Leistung. Auf der Suche nach Argumenten muss der Rechtsanwalt deshalb abenteuerlich weit ausholen und behaupten: "Schließlich adelt [ein Verlag] den einzelnen Beitrag allein dadurch, dass dieser unter der Marke einer bestimmten Zeitung oder Zeitschrift mit der daran geknüpften Qualitätserwartung erscheint." Das kann es geben. Aber häufig ist auch das glatte Gegenteil der Fall. Der Autor veröffentlicht in einer Zeitung oder bei einem Verlag, die oder der seinen Ruf potentiell schädigt, nimmt dies aber aufgrund einer Geldzahlung in Kauf. Warum einem Verlag oder einer Zeitung daraus besondere Monopolrechte erwachsen sollen, ist in jedem Fall nicht ersichtlich.
Den Druck und die Verbreitung der gedruckten Werke, so Hegemann,
kann der Presseverleger nur erbringen, wenn er dafür bezahlt wird: durch den Kaufpreis für das Zeitungs- oder Zeitschriftenexemplar oder durch Werbung. Wo aber für die Nutzung weder ein Kaufpreis noch eine Einnahme für Werbung erzielt werden kann und stattdessen die Gratisnutzung im Internet die Einnahmen aus dem Printvertrieb kannibalisiert, muss der Verleger im Ergebnis wirtschaftlich scheitern.
Darauf, dass sich im Kapitalismus nicht so einfach wirtschaften lässt, kamen auch schon andere. Doch statt im Sinne Schumpeters innovativ zu werden, kreativ zu sein, fordert die FAZ lieber das Ersetzen der Marktwirtschaft durch einen Neofeudalismus mit staatlich verliehenen Regalien. Damit soll dann eine "angemessene wirtschaftliche Beteiligung" durchgesetzt werden. Ein interessanter Gedanke: denn wenn es nicht mehr auf eine Schöpfungshöhe ankommt, dann könnte eigentlich jeder Industriearbeiter bald auf die Idee kommen, 50 Jahre währende Monopolrechte an allen Produkten zu verlangen, bei denen er mitgewirkt hat, damit er eine "angemessene wirtschaftliche Beteiligung" fordern kann. Möglicherweise müsste man dann in Zukunft beim Drücken jeder Türklinke Galvaniseure und Stanzer um Erlaubnis fragen, weil diese (gerade in Zeiten einer Wirtschafts- oder einer Strukturkrise) auch gerne eine "angemessene Beteiligung" hätten. Ob so etwas der Produktion oder dem Fortschritt dienlich wäre, ist allerdings fraglich.
Wie Konkurrenten zu "Raubkopierern" gemacht werden sollen
Die besonders exponierten Stellung der Frankfurter Allgemeine Zeitung, die am Samstag gleich zwei Polemiken zu dem Thema abdruckte, ist unter anderem deshalb bemerkenswert, weil ihre Argumentation in dieser Frage relativ konträr zu ihren sonstigen wirtschaftspolitischen Positionen verläuft. Tatsächlich diagnostiziert die Zeitung hier nicht nur ein angebliches Marktversagen zu ihren Ungunsten, sondern fordert auch eine Aufgabe der Ermittlung von Gewinn und Verlust durch einen Markt zugunsten einer "angemessenen Beteiligung" über staatlich verliehene Monopolrechte. Der Blogger Robin Meyer-Lucht merkte zur Beteiligung des Springer-Verlages an der Kampagne trocken an, "dass in einer Marktwirtschaft, auf die man gerade im Hause Springer viel hält, der Kunde maßgeblich mitbestimmt, welche Vergütung angemessen ist, und nicht die juristische Abteilung."
Wie bereits angedeutet, ist die in den Kampagneartikeln verbreitete Vorstellung unrichtig, das neue Monopolrecht würde notwendig sein, um gegen "Raubkopierer" vorzugehen. Gerade die Musikindustrie verfügt nämlich seit langem über ein solches Leistungsschutzrecht, ohne dass es ihr beim Problem nicht lizenzierter Kopien weitergeholfen hätte. Tatsächlich dient das neue Leistungsschutzrecht auch ganz anderen Zwecken, die allerdings eher im Stillen und abseits der Kampagnen ausgesprochen werden. Relativ klar formulierte es der norddeutsche Zeitungsverlegerverbandsvorsitzende A. Ashgar Azmayesh. Ihm zufolge ist ein "Leistungsschutzrecht für Presseverlage" notwendig, "um Online-Inhalte vor der Auswertung durch andere Anbieter zu schützen".
Kopfzerbrechen machen Zeitungsverlagen nämlich nicht (wie etwa der Musikindustrie) in erster Linie Personen, die Artikel kopieren, sondern Blogs, die sich nicht an Gepflogenheiten halten, und Nachrichten mit Informationen zugänglich machen, welche die Zeitungen aus den verschiedensten Gründen verschweigen. Es ist also eine erwachende Konkurrenz, gegen die neue Leistungsschutzrechte helfen sollen, und nicht diffuse "Raubkopierer". Deshalb ist auch das Argument Makulatur, ein darüber angeblich gesicherter "Qualitätsjournalismus" sei unentbehrlich für die Demokratie. Tatsächlich wurde Meinungsvielfalt im Fernsehen, aber auch in einer sich zunehmend selbst zensierenden Presselandschaft mehr oder weniger zu einer Fiktion. Dafür findet sie sich in Blogs und Foren wieder - aufgrund der relativ umfassenden Zensurmittel wie dem Abmahnrecht allerdings häufig in den USA gehostet, wo die Redefreiheit mehr gilt.
Monopolrecht vs. Kulturflatrate
WIPO-Generaldirektor Francis Gurry sprach beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zum Tag des "geistigen Eigentums" etwas ehrlicher als die FAZ davon, dass fraglich sei, inwieweit ein "marktbasiertes Modell" zur Vergütung schöpferischer Leistungen heute noch funktionieren könne. Eine mögliche Konsequenz daraus wäre die Einführung einer Kulturflatrate, die beispielsweise für einen umfassenden Ausbau der Künstlersozialkasse genutzt werden könnte. Sie könnte direkt schöpferisch Tätigen zugute kommen und nicht jenen jetzt teilweise überflüssigen Institutionen, die im vordigitalen Zeitalter für die nun selbständig laufende Verbreitung von Inhalten sorgten.
Solche Lösungen würden auch mit den Ergebnissen der Motivationsforschung konform gehen, nach denen hohe Profite für Wenige keinen Anreiz für kreative Leistungen bieten, während dagegen eine gewisse soziale Absicherung solches durchaus zu leisten vermag. Die Hamburger Kulturwissenschaftlerin Meike Richter brachte zudem die Idee ins Spiel, dass man Google dazu verpflichten könnte, in die Künstlersozialkasse einzuzahlen. Da der Konzern mit Inhalten, die von freien Autoren geschaffen werden, schon jetzt Geld verdient, wären auch die Grundlagen für solch eine Forderung gegeben.
Doch weil solche Modelle Autoren unabhängiger von Verlagen machen würden, propagiert ein Teil dieser Mittelsmänner neue Monopolrechte, mit denen Autoren stärker an Verlage gebunden werden sollen: Folge einer "Umsetzung" der Kampagneziele wäre also nicht mehr Publikationsfreiheit, sondern weniger, weil der Verlag ja neue Rechte an Texten bekommt, die dann unter anderem dem Autor fehlen.
Trotzdem wird die Kampagne wahrscheinlich nicht ohne Folgen bleiben: In einer Pressemitteilung vom 24. April gab Bundesjustizministerin Brigitte Zypries bereits bekannt, dass Sie den "Heidelberger Appell" unterstützt. Nach der vom Justizministerium veranstalteten Urheberrechtskonferenz am 7. und 8. Mai dürften entsprechende Entwürfe an die Öffentlichkeit gehen. Folge wäre wahrscheinlich, wie es Ralf Bendrath in Netzpolitik formulierte, ein weiteres und noch stärkeres "Auseinanderklaffen von Recht und Rechtswirklichkeit", das nicht in erster Linie Filesharer, sondern vor allem Blogger betreffen würde und durch das "die Idee des Rechts als legitimem Selbststeuerungsmechanismus der Gesellschaft insgesamt in Gefahr gerät."
Zudem, so Bendrath, würde über "Umgehungsstrategien und -technologien [...] eine neue digitale Spaltung" erzeugt - "zwischen einer neuen Info-Elite, die weiss, wo sie sich ihre Informationen beschaffen und ungestört kommunizieren kann, und denen, die das nicht können." "Ob das", so der Blogger, "für eine demokratische Gesellschaft und ihre Ideale von (Chancen-)Gerechtigkeit förderlich ist, wage ich zu bezweifeln."