Angst und Ehrgeiz: Was China im Südchinesischen Meer antreibt

Zu sehen ist eine Karte des Südchinesischen Meeres mit Flaggen von China und den USA sowie schwarzen Figursteinchen

Das Südchinesische Meer ist zunehmend Schauplatz globlaer Spannungen zwischen China und den USA

(Bild: Ivan Marc/Shutterstock.com)

Mehr als 20 Prozent des Welthandels laufen über die Region. Beijing sucht eigentlich Verbündete, schafft dabei jedoch Konflikte. Was sind Chinas Ziele?

Beim Streit um das Südchinesische Meer geht es um mehr als Felsen und Riffe. Wie die South China Morning Post berichtet, stehen für China zentrale geostrategische Interessen auf dem Spiel: wichtige Schifffahrtswege, Tiefseeexploration, das Streben nach "Wiedervereinigung" mit Taiwan und die zukünftige regionale wie auch globale Ordnung.

Handelswege und Hochseeflotte

Mehr als 20 Prozent des Welthandels werden über die Seewege des Südchinesischen Meeres abgewickelt. China, dessen Ansprüche sich mit denen der Philippinen, Vietnams, Malaysias und Brunei überschneiden, hat dabei in erster Linie seine wirtschaftlichen und strategischen Interessen im Blick.

Beijing geht es langfristig auch um den Ausbau seiner Marine von einer Küstenverteidigungsstreitmacht zu einer der größten Hochseeflotten. Und dafür braucht die Volksrepublik mehr als alles andere den Zugang zu maritimen Handelsstraßen.

Ein Forscher der staatlichen Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS), der aufgrund der Sensitivität des Themas anonym bleiben will, hat indes gegenüber der Zeitung der weitverbreiteten Annahme widersprochen, dass China vorhabe, sämtliche Seewege für sich zu beanspruchen. "Die Seewege müssen für Handel und Gewerbe offen bleiben, und die Gewährleistung der Freiheit der Schifffahrt ist für Chinas nach außen gerichtete Wirtschaft von entscheidender Bedeutung", sagte der Wissenschaftler.

Gegensätzliche Interessen

Zugleich sei es für Chinas Sicherheitsempfinden enorm wichtig, nicht nur Gegner, sondern vor allem verbündete Anreinerstaaten zu haben. Ohne Allianzen sei es kaum möglich, US-amerikanisch geführten Bemühungen zur "Einkreisung und Eindämmung" der Volksrepublik, entgegenzuwirken, so der Forscher. In der Praxis gestaltet sich dies jedoch schwierig.

Maria Thaemar Tana vom Stratbase ADR Institute in Manila sieht in der Kontrolle des Südchinesischen Meeres eine Absicherung Chinas gegenüber der US-Präsenz in der Region. Für die Philippinen und andere südostasiatische Staaten stellt die Dominanz Chinas ein Sicherheitsrisiko dar, insbesondere im Hinblick auf die Fischerei und den Ressourcenabbau.

Auch im Falle Vietnams haben die Grenzstreitigkeiten zu einer Verschlechterung der Beziehungen geführt, die nach dem im Jahr 2000 geschlossenen Freundschaftsvertrag eigentlich auf gutem Niveau waren.

Angst und Ehrgeiz?

Patrick Cronin vom Hudson Institute in Washington interpretiert Chinas Interessen im Südchinesischen Meer indes eher als von Angst und Ehrgeiz getrieben. Beijing fürchte, dass externe Mächte die lebenswichtigen Seeverbindungen stören könnten und strebe entsprechend die Kontrolle über das Meer und die sogenannte erste Inselkette an, um freie Hand für die angestrebte Wiedervereinigung mit Taiwan zu haben.

"Diese Sorge wird durch die vorherrschende innenpolitische Geschichtsdarstellung verstärkt, die die Welt durch die Brille des "Jahrhunderts der Demütigung" sieht", sagte er. Mit dem "Jahrhundert der Demütigung" werden in China die ersten hundert Jahre nach der Unterwerfung der Qing-Dynastie durch Japan und Großbritannien von 1839 bis zur Gründung der Volksrepublik 1949 bezeichnet.

In diese Zeit fallen auch die chinesischen Niederlagen während der Opiumkriege und Japans Invasion in der Mandschurei (1931-32). Während das Land innenpolitisch unter starker Zersplitterung litt, war China wirtschafts- und handelspolitisch vollkommen dem Gutdünken externer Besatzungsmächte unterworfen.

Carl Thayer, emeritierter Professor an der University of New South Wales in Australien, verweist auf einen Wendepunkt in Beijings geopolitischem Interesse im Südchinesischen Meer mit der Vorlage seiner Neun-Striche-Linie-Karte bei den Vereinten Nationen im Jahr 2009. Ab diesem Moment hätten "Qualität und Quantität der Spannungen mit Hanoi und Manila" zugenommen.

Die Rolle der USA

Shi Yinhong, Professor für internationale Beziehungen an der Renmin-Universität in Peking, weist darauf hin, dass Chinas "Grauzonen"-Taktiken, wie der Einsatz von Wasserwerfern gegen philippinische Schiffe, die kleineren Nachbarn näher an die USA, Japan und andere Mächte heranbringen könnten.

Dazu beigetragen hat auch die zunehmende US-amerikanische Militärpräsenz in der Region. Neue US-Militärbasen auf den Philippinen und die verstärkte militärische Kooperation der USA mit anderen Ländern der Region, werden von Beijing als Bedrohung wahrgenommen, ähnlich wie die sowjetische Kooperation mit Kuba und anderen lateinamerikanischen Ländern zur Zeit des Kalten Krieges aus Sicht der USA.

"Die USA versuchen, China einzudämmen, indem sie ihre Position in der ersten Inselkette stärken, um die Unabhängigkeit Taiwans durch die Aufrechterhaltung einer militärischen Präsenz im und über dem Südchinesischen Meer sowie auf den Philippinen und in Nordaustralien zu sichern", so Thayer.

Die Zukunft der regionalen Ordnung stehe auf dem Spiel, da das Zeitalter der US-Dominanz durch Chinas Aufstieg herausgefordert werde, fasst Thayer die US-Perspektive zusamnmen.

Auswirkungen weit über die Region hinaus

Die wachsende Spannung im Südchinesischen Meer bleiben weiterhin eines der drängendsten Probleme der Region. Diplomaten aus China und den Philippinen haben sich Anfang dieses Monats darauf geeinigt, "Streitigkeiten und Unterschiede unter Kontrolle zu halten", nachdem es in den vergangenen Wochen erst erneut zu Konfrontationen gekommen war (Telepolis berichtete).

Die Konfrontation im Südchinesischen Meer wird mit Blick auf die Zukunft nicht nur eine Herausforderung für die beteiligten Staaten, sondern auch immer mehr ein Brennpunkt der strategischen Konkurrenz zwischen China und den USA sein. Der Umgang mit dem Konflikt und die Suche nach friedlichen Lösungen bleiben eine der wichtigsten Aufgaben für die Stabilität in der Region – und weit darüber hinaus.