"Angst vor Armen lässt Mauern wachsen"
- "Angst vor Armen lässt Mauern wachsen"
- Die Ungleichheit in der Globalisierung drückt sich auch in der unterschiedlichen Freizügigkeit aus
- Auf einer Seite lesen
Neue Grenzanlagen sollen politische Lösungen durch technische Konzepte ersetzen. Ein Gespräch mit Migrationsforscher Dietrich Thränhardt
Es gibt eine lange Tradition des Mauerbaus, die nur kurz nach dem Ende des Kalten Kriegs unterbrochen wurde. Für Dietrich Thränhardt, Professor em. für Vergleichende Politikwissenschaft und Migrationsforschung an der Universität Münster, sind Mauern gegen Einwanderer ein Ersatz für politische Lösungen durch technische Konzepte, die dann dazu tendieren, eine Eigendynamik zu entwickeln. Techniken für den Grenzschutz sind überdies ein globales Geschäftsfeld.
Teil 6: USA grenzen sich von Amerika ab: In den neunziger Jahren haben die USA Sperranlagen zu Mexiko errichtet. Nun soll die Konstruktion massiv ausgeweitet werden.
Herr Thränhardt, als 1989 die Berliner Mauer fiel, machte das Wort der Freiheit die Runde. Rund 25 Jahre später ist von der damaligen Euphorie nur noch wenig zu spüren. Ganz im Gegenteil: Weltweit entstehen neue Mauen und Grenzanlagen. War die Freiheit von 1989 nur ein Trugbild?
Dietrich Thränhardt: Ja, diese große Euphorie ist dann ja schon mit dem Irak-Krieg von George Bush verflogen. Die Globalisierung hat die Welt zwar verbunden, aber die sozialen Unterschiede sehr viel schärfer hervortreten lassen, so dass wir eine völlig neue Lage haben. Und leider ist diese Euphorie eben nicht mehr da.
Sie haben in einem Essay geschrieben, dass weltweit nicht nur elf Grenzanlagen den Fall der Berliner Mauer überstanden haben, sondern dass seither sogar 22 solcher Grenzbefestigungen neu entstanden sind. Wie erklären Sie diesen Trend?
Dietrich Thränhardt: Nun, zunächst hat es am Ende des Kalten Krieges, also dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme, einen großen Abbau der Mauern gegeben. Es gibt nur einen Staat, der sie behalten hat, das ist Nordkorea, dort hat sich gar nichts geändert. Abgesehen davon hat sich damals jedoch sehr vieles gelockert. Aber dann sind von der Kerngruppe derjenigen Staaten, die sich der Globalisierung und der Freiheit der Märkte verschrieben haben, wieder neue Mauern hochgezogen worden. Die bekannteste ist sicherlich die Mauer der Vereinigten Staaten gegen Mexiko, eine sehr lange Anlage. Aber seither haben wir auch eine Reihe anderer, neuer Mauern entstehen sehen. Und wir können beobachten, dass der Hauptgrund des neuen Mauerbaus die Angst vor den Armen ist.
Nun gibt es in der Geschichte der menschlichen Zivilisation zahlreiche Beispiele für Sperranlagen. Aber vom Hadrianswall der Römer gegen die Pikten bis hin zur Berliner Mauer, über die wir anfangs ja schon gesprochen haben, sind sie alle gescheitert. Weshalb setzen Staaten weiterhin auf Abschottung?
Dietrich Thränhardt: Sie haben Recht, beide genannte Anlagen sind gescheitert. Gleiches trifft auf die Chinesische Mauer zu, das wohl größte Bauwerk dieser Art. Die Chinesische Mauer ist letztlich daran gescheitert, dass das politische Regime im damaligen China zerfallen ist.
Ich glaube, die anhaltende Faszination besteht darin, dass man so eine technische Lösung für politische Probleme zu finden meint. Die Mauer hilft auch dabei, sich gegenüber denjenigen auf der gegenüberliegenden Seite als anders zu definieren. Zudem gibt es, wenn man einmal mit dem Bau solcher Grenzanlagen begonnen hat, einen Trend, sie immer weiter zu verstärken und immer perfekter zu machen. Die inhärente Logik des Mauerbaus besteht darin, dass man entstehende Gefahren und bestehende Insuffizienzen dadurch zu beheben versucht, dass man die Abschottung immer perfekter macht.
So gesehen entwickelt der Mauerbau eine Eigendynamik. Ist die Technikgläubigkeit denn ein neuer Aspekt? Gerade an der US-mexikanischen Grenze werden schließlich erhebliche technische Mittel eingesetzt: Wärmebildkameras, Bewegungsmelder, selbst Ballons mit Kameras, die in einem Umkreis von Dutzenden Meilen die Wüste observieren können.
Dietrich Thränhardt: Diese Aufzählung ließe sich vor allem durch die um die moderne Drohnentechnik ergänzen. Da gibt es, so gesehen, noch viel technisches Innovationspotential. Ich denke, dass die Mauer immer gleichzeitig Symbol und Realität war. In unserer modernen Welt spielt der technische Aspekt aber ganz sicher eine sehr viel bedeutendere Rolle. Auch in unserem Alltag verlassen wir uns ja ständig auf moderne Techniksysteme. Insofern hat dieses Denken in unserer Gesellschaft an Bedeutung gewonnen. Es geht also im Grunde um das Ersetzen politischer Lösungen durch technische Konzepte, die dann dazu tendieren, eine Eigendynamik zu entwickeln.
Und was ist mit den wirtschaftlichen Interessen? Welche Rolle spielt der Eisenhowersche Militärisch-Industrielle Komplex?
Dietrich Thränhardt: Statt dieses Militärisch-Industriellen Komplexes gibt es inzwischen einen neuen Sicherheitskomplex, dem zum Teil dieselben Firmen angehören. Wenn man sich etwa Airbus anschaut, dann wird einen schnell klar, dass eines der großen Probleme dieses Unternehmens der Rückgang der Verteidigungsausgaben in Europa ist. Insofern suchen Airbus und andere Konzerne nun nach neuen Geschäftsfeldern. Dabei sind sie im Grenzschutz auch relativ erfolgreich, zumal es sich um ein globales Geschäftsfeld handelt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sich all dies nicht nur in der westlichen Welt abspielt, also in Europa, den USA und Israel, sondern auch in Saudi-Arabien und Indien. Kurzum: Es ist ein weltweites Phänomen.