Anna Netrebko singt: Holzhammer raus?
Vor dem Staatsoper-Auftritt in Berlin: Ukrainischer Botschafter wirft Sängerin persönliche Mitverantwortung für den russischen Angriffskrieg vor und der Intendanz Wegschauen. Kommentar.
Die Opernsängerin Anna Netrebko soll am Freitag an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin auftreten. Als Lady Macbeth. Die machthungrige Lady, die dem Wahnsinn verfällt, ist laut Wikipedia "zweifellos die Hauptperson" der Verdi-Oper.
Dass Netrebko in der Hauptstadt eine solche Bühne geboten wird, empört den ukrainischen Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev. Er schaut wie gebannt auf eine andere Rolle der Netrebko: als russische Propaganda-Mithelferin, politisch zu nah am realen Wahnsinn der Moskauer Führung, persönlich mitverantwortlich(!) für massenhaft Tote in der Ukraine.
Als Ex-Unterstützerin Putins und Propaganda-Mithelferin bei der Donbas-Besetzung trägt Frau Netrebko persönliche Mitverantwortung für den russischen Angriffskrieg, die sie nicht anerkennt.
In der verspäteten Erklärung verurteilte sie nur den Krieg, ohne zu erwähnen, wer ihn überhaupt angefangen hat und wer ihn genozidal führt.
Die Bühne der deutschen Staatsoper wird mit Netrebko aussehen wie vor dem Krieg.
Oleksii Makeiev, change.org
Wer das nicht erkennt, schaut weg, urteilt der ukrainische Botschafter.
Die Intendanz setzt ein Zeichen der "Normalität" und somit ein Zeichen des Wegschauens — als ob die Realität sich nicht verändert hätte.
Diese Relativierung aller russischen Kriegsverbrechen verurteile ich aufs schärfste. Es tut mir leid, dass die Oper statt unserer Argumente lieber die Sopranstimme von Frau Netrebko hört. Oleksii Makeiev, change.org
Hält der ukrainische Botschafter die Öffentlichkeit, das Opernpublikum und die Intendanz für informationsresistente Einfaltspinsel; für Schützlinge, denen man erst das moralische ABC beibringen muss? Die man zum guten, richtigen Verständnis, wo etwa die Relativierung russischer Kriegsverbrechen anfängt, erziehen muss? Mit Holzhammer-Argumenten?
"Die Oper hört statt unserer Argumente lieber die Sopranstimme von Frau Netrebko"
Die Sopranstimme gehört auch zu einem anderen Register. Das ist ein Spielfeld anderer Argumente als die, die zum politischen Stil gehören. Wie die Stimme Anna Netrebkos zu beurteilen ist, ist eine Frage, die er nicht eindeutig beantworten könne, sagte der 2017 verstorbene Musikkritiker Joachim Kaiser. Die künstlerische Interpretationsgeschichte hat da eigene Kriterien und einen eigenen Stil-Kanon.
Das dürfte bis auf eine mögliche Minderheit von Sonderlingen den Besuchern der Berliner Staatsoper ebenso klar sein, wie sie auch über den Krieg, den Putin mit der russischen Armee in der Ukraine losgetreten hat, informiert sind.
Unmöglich sich vorzustellen, dass sie die Diskussionen über Netrebkos Position zu Putin und zum Krieg nicht mitbekommen haben. Wie auch die Form des Kulturkampfs, der den Ukraine-Krieg seit Beginn begleitet. Da geht es um Ausschlüsse: Weg von der Bühne, aus den Bibliotheken, mit allen, die sich nicht tadellos unter der richtigen Fahne einordnen lassen?
Geht es ums Unbedingte? Oleksii Makeiev selbst schreibt davon, dass in der Öffentlichkeit hierzulande sehr wohl eindeutige Zeichen gesetzt werden: "Die deutsche staatliche, wirtschaftliche, akademische, regionale und praktisch die ganze zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland" werde gestoppt. Eine große Zahl beherzigt also das politisch-moralische Stopp-Signal.
Außer eben bei der Berliner Oper, wo man laut Makeiev "culture as usual" betreibe.
Das ist nicht wahr. Wer das Statement der Staatsoper Unter den Linden liest, sieht sich mit einer langen Auseinandersetzung mit dem Auftritt Anna Netrebkos konfrontiert. Das ist keine "culture as usual".
Ob man von den Positionierungen der Sängerin zum Krieg, zu Putin und zu kompromittierenden Bildern mit der Flagge von "Neurussland" überzeugt ist - im Statement der Staatsoper finden sich zahlreiche Links zu Erklärungen Netrebkos -, gehört zur Meinungsbildung erwachsener Bürger in einem freien Land.
Der Besuch der Oper ist freiwillig. Die Aufführung am Freitag geschieht in einer Öffentlichkeit, die der Rede vom unkritischen Wegschauen zigfach widerspricht, sowohl ans interessierte Publikum gerichtet wie auch ans große Publikum reichweitenstarker Sender.
Netrebko singt, sie ist keine Predigerin und kein Star mit einem öffentlichen Profil, das eine interessante politische Äußerung erwarten ließe. Zur Bühne gehört ein Publikum und das wird klüger sein, als es die plakativen Äußerungen von Makeiev unterstellen.