Anschlagsleugner: Mit einem Deep-State-Szenario wird gegen eine Deep State-Entlarvung argumentiert
Was für eine Absicht wird mit Behauptungen verfolgt, auf dem Breitscheidplatz habe es keine Toten und Verletzten gegeben? Und wer steckt dahinter?
Es ist immer wieder erheiternd, diese Detailspekulationen zu Amri zu verfolgen waehrend es doch physisch unmoeglich war, dass am 19. Dezember 2016 ein Lastwagen über den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz in Berlin fuhr. Der fuhr nicht ueber den Breitscheidplatz, sondern ueber die Hardenberg- und Budapesterstrasse und parkte dann - witzigerweise direkt vor einem Poller, den man vergessen hatte zu entfernen - am Weihnachtsmarkt ein. Warum, frage ich mich, produziert Telepolis mit hohem Aufwand Verschwoerungstheorien zum deutschen Deep State (die grundsaetzlich, im Widerspruch zur CIA-Propaganda wichtig und richtig sind), schaut sich aber nicht das verfuegbare Bildmaterial an? Ditto Nizza u.v.a. ‚Terroranschlaege‘ von Islamisten, die die illegalen Kriege in Nahost rechtfertigen sollen, mehr.
Aus einer Email an die Redaktion zum Artikel: Der Amri-Komplex: Anatomie eines Terroranschlages
Die Erde ist eine Scheibe. Dass sie eine Kugel sein soll - lächerlich. An den Rändern würde man ja abrutschen, und wie soll man, bitte, an der Unterseite stehen?
Wer diskutiert schon mit jemandem, der behauptet, die Erde sei eine Scheibe? Warum also mit jemanden, der sagt, der Anschlag habe nicht stattgefunden? Er sei eine Simulation gewesen, ein Schauspiel, an dem Hunderte von Eingeschworenen teilgenommen haben - inszeniert.
Sind zwölf Tote und dutzende Verletzte nicht Beweis genug? Handelt es sich nur um Verirrte oder Verwirrte, die so etwas verbreiten? Oder vielleicht um Provokateure? Was ist damit bezweckt, und in wessen Interesse geschieht es? Wem nützt das wirre Zeug ganz objektiv?
Man muss die Leser-Email genau lesen, um zu erkennen, dass sie bereits eine Antwort beinhaltet. "Warum produziert Telepolis mit hohem Aufwand Verschwörungstheorien zum Deep State?" - wenn der Lastwagen doch gar nicht über den Breitscheidplatz gefahren sein soll, es also keinen Anschlag und keine Opfer gegeben haben soll. Eine höchst bemerkenswerte Kombination.
Spuren, die auch im Amri-Komplex, wie zuletzt im NSU-Komplex, auf staatliche Verstrickungen hindeuten ("Deep State"), herausgefunden in den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, werden als "Verschwörungstheorien" abgetan. Und zwar selber von Verschwörungstheoretikern mit eigener Verschwörungstheorie: Der Anschlag sei ein Fake gewesen, eine inszenierte Simulation. Eine solche Simulation, hätte es sie gegeben, hätte mit großem Aufwand staatlicherseits organisiert und hinterher politisch und medial abgesichert werden müssen - also von einer Art Deep State. Mit einem Deep-State-Szenario wird gegen eine Deep State-Entlarvung argumentiert.
In diese Analyse passt auch der benutzte Begriff des "inszenierten Terrorismus", der stutzig macht. Denn dieser Begriff meint etwas ganz anderes, als eine Anschlagssimulation. Er leugnet nicht etwa einen Anschlag, sondern geht davon aus, dass noch andere Kräfte ihre Finger im Spiel hatten als die mutmaßlichen Terroristen. Staatliche Stellen beispielsweise. "Inszeniert" wäre die Tat dann als "islamistischer Terror".
Die Anschlagsleugner versuchen den Begriff in Besitz zu nehmen. Das könnte durchaus absichtsvoll sein, weil dadurch die wirkliche Brisanz von inszeniertem Terrorismus entwertet wird.
Eine Verschwörung mit einer Unzahl von Verschworenen
Lassen wir uns einen Augenblick auf das Gedankenspiel ein: Um einen Anschlag der Dimension vom Breitscheidplatz vorzutäuschen, hätten Hunderte oder gar Tausende von Menschen eingeweiht und beteiligt sein müssen. Standbetreiber, Sanitäter, Feuerwehrleute, Polizisten, Journalisten, Ärzte, viele andere. Menschen, die in Berlin wohnhaft sind, Familien, Kinder und Freunde haben, Namen und Gesicht und einen Ruf, die Verantwortung tragen - sie hätten an einem schäbigen Spiel teilnehmen müssen. Wozu?
Verletzungen hätten falsch attestiert oder als Anschlagsverletzungen umgewidmet werden müssen. Tote hätten erfunden werden oder ihre wirklichen Todesursachen hätten gefälscht werden müssen. Menschen, die sich zum Teil gar nicht kannten, hätten sich dafür zusammenschließen und anschließend auf unbestimmte Zeit stillhalten müssen. Usw. usf. Eine Verschwörung mit einer Unzahl von Verschworenen, die obendrein nachhaltig abgesichert werden muss. Also ein äußerst fragiles Gebilde.
Dennoch behaupten die Anschlagsleugner im Prinzip genau dies.
Es gibt aber noch ein zweite, eine politische Erkenntnis, die gegen ein solches Fake-Szenario spricht: Warum wäre dafür nicht ein tatsächlich isolierter Einzelgänger als Täter aufgebaut worden, der als unbekannter muslimischer Flüchtling ins Land gekommen sei und sich dann radikalisierte? Ein anonymer Prototyp, der zur vorgeblichen allgemeinen "islamistischen Gefahr" passt?
Stattdessen gibt es den - mutmaßlichen - Attentäter Anis Amri, der den Sicherheitsapparat inzwischen in maximale Schwierigkeiten bringt. Dessen Spuren sich überall finden. Der sich in Strukturen und Netzwerken bewegte, die die Behörden genau im Blick hatten. Über den man erfährt, dass er von bislang mindestens einem Dutzend V-Leute der verschiedensten Sicherheitsbehörden und Geheimdienste umgeben war. Und bei dem man sich fragt, warum ausgerechnet er kein Agent gewesen sein soll. Der dazu geführt hat, dass wieder - wie im noch nicht abgeschlossenen NSU-Skandal - Untersuchungsausschüsse eingesetzt wurden und Parlamente Vertreter der Organe vorladen und sie dann beim Vertuschen und Lügen erwischen. Ein Täter also, der den Apparat anhaltend schwächt und ihm nicht sein intendiertes Spiel erleichtert.
Was für eine Pleite wäre das.
Wer sind diejenigen, die sich diese Pleite anscheinend nicht vorstellen können und verbreiten, am 19. Dezember 2016 habe auf dem Breitscheidplatz kein Massenmord stattgefunden, sondern die Simulation eines solchen. Sie kommen nicht etwa nur als Trolle aus den unendlichen Tiefen des Internets, sondern sind auch als Autoren auf alternativen Portalen oder von Verlagen zu finden.
Alles nur eine Simulation?
Auf dem Portal "Rubikon" veröffentlichte ein Autor (Andreas Hauß) am 7. Juni 2017 einen Text, der den Anschlag von Berlin in Frage stellt: "Amri und das Weihnachtsmärchen: 19. Dezember 2016".
Man liest: Wie all die Personen getötet oder verletzt wurden, sei nicht belegt. Stattdessen seien Schauspieler, Gummipuppen und Opferdarsteller auf dem Breitscheidplatz gewesen, um einen Anschlag zu spielen. Dass Beweise verweigert werden, ist da nur konsequent. Nicht er müsse beweisen, dass es keine Leichen oder Verletzten gegeben habe, so der Autor vom "Weihnachtsmärchen Amri", das sei eine "Beweislastumkehr", sondern die Behörden.
Zwölf Tote sind also nicht Beweis genug.
Hier will keiner Fakten finden, sondern Nebel werfen. Die berechtigte Kritik an Staatsanwaltschaften, Landeskriminalämtern oder der Bundesanwaltschaft wird aufgegriffen, um sie auf ein falsches Feld zu führen. Nicht die Hintergründe des realen Anschlages sollen aufgedeckt werden, sondern die angebliche Simulation des Anschlages. Damit werden die Widersprüche in den Behördenauskünften ins Nichts geführt. Belege für eine Anschlagsimulation kann es nicht geben, wenn es diese Simulation nicht gab. Bemerkenswerterweise werden die Geheim- und Nachrichtendienste übrigens von der Kritik ausgespart.
Wenn der Begriff "Verschwörungstheorie" einst von Geheimdiensten lanciert wurde, um Kritiker zu denunzieren, dann lenkt der Anschlagsleugner diese Erkenntnis auf sich selber - und bestätigt damit die Geheimdienste. Er betreibt ihr Geschäft.
Dazu gehört auch, sich zu ihrem Opfer zu erklären. In Verbindung mit der Behauptung, der Anschlag sei eine Simulation gewesen und es habe gar keine Opfer gegeben, geradezu eine Pervertierung des Opferstatus. Dass auch das nicht unüberlegt geschieht, zeigt die neueste Begrifflichkeit der Anschlagsleugner über ein angebliches "Opfer-Tabu". Gemeint ist nicht etwa, dass die politisch Verantwortlichen sich nicht wirklich für die Opfer interessieren und nur in ihrem Namen sprechen, um damit ihre Sicherheitspolitik zu begründen. Gemeint ist, mit einem "Tabu" sei belegt, die Opfer vom Breitscheidplatz in Frage zu stellen, wie es die Anschlagsleugner tun.
Im Telepolis-Forum tritt beim Thema Breitscheidplatz-Anschlag regelmäßig ein Kommentator auf ("Josef W."), der ziemlich genau argumentiert wie der Rubikon-Autor Hauß. Es ist gewissermaßen derselbe rhetorische Fingerabdruck, könnte man sagen. Kernaussage ist, Tote und Verletzte habe es nicht gegeben, der LKW habe sich mit einer Geschwindigkeit von nur 15 km/h durch die Marktgasse geschoben.
Auch ein ganzes Buch baut auf der Verleugnung des Anschlages auf, Titel: "Der gelbe Bus. Was geschah wirklich auf dem Breitscheidplatz in Berlin?" (Autor Elias Davidsson). Auch er zählt zu den Anschlagsleugnern. Er bestreitet die Todesopfer und Verletzten und qualifiziert Angehörige und Zeugen ab ("Ungeklärte Todesumstände von Dorit K.", "mysteriöser Tod von Peter V.", "starben Anna und Georgyi B. am Breitscheidplatz?", "die Geheimhaltung um Angelika K.", "wer war Klaus J.?", "keine Belege zur hohen Zahl der Opfer", "ungeklärte Verletzungen", "künstliche Erlebnisberichte", "Ballett der Rettungsdienste", "wurde uns hier eine Anti-Terror-Übung vorgespielt?" Usw. usf.).
Eine Zwischenbemerkung: Einem Opfer, das wiederholt wegen seiner Verletzungen operiert werden musste, wird bis heute die Kostenübernahme der Folgebehandlung durch verschiedenen Stellen (Unfallkasse, Landesamt für Gesundheit und Soziales) verwehrt, weil die Verletzungen angeblich nicht authentisches Ergebnis des Anschlages seien. Die Rede der Anschlagsleugner von den "ungeklärten Verletzungen" erweist sich so als ganz im Interesse der sich verweigernden Stellen.
Welche Interessen könnten Anschlagsleugner haben?
Vor einiger Zeit hat sich nun folgende Begebenheit zugetragen: Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus führte eine öffentliche Diskussionsveranstaltung zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz durch. Teilnehmer waren neben dem Grünen Abgeordneten Benedikt Lux unter anderem zwei Betroffene - ein Opfer und eine Hinterbliebene - sowie der Grüne Justizsenator Dirk Behrendt. Angemeldet haben sollte sich, wie man erfährt, auch der Autor des Buches "Der gelbe Bus", Elias Davidsson. Tatsächlich stellte sich nach der Veranstaltung ein Besucher gegenüber anwesenden Anschlagsopfern als Autor des Buches vor und stellte Fragen.
Die Person war ein Fake. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es sich nicht um den wirklichen Davidsson gehandelt hatte. Der erklärt obendrein glaubhaft, er habe sich weder zu der Veranstaltung angemeldet noch sei er anwesend gewesen.
Wer hat sich also für ihn ausgegeben und mit welcher Absicht? Kam die Person in eigenem Auftrag oder wurde sie geschickt? Eignet sich die Figur eines Anschlagsleugners möglicherweise für interessierte Kreise, um Verwirrung oder Verunsicherung zu stiften und Desinformation zu betreiben? Sollte auf die Veranstaltung und ihre Teilnehmer Einfluss genommen werden?
Andreas Hauß, der Anschlagsleugner und Rubikon-Autor, wurde schon im NSU-Komplex als Unterstützer einer Gruppierung bekannt, die unter verschiedenen Namen auftrat, immer noch auftritt und die vornehmlich im Internet agiert: "AK NSU", "NSU leaks" oder "fatalist". Mit ähnlichen Methoden und ähnlicher Rhetorik versucht sie, Verwirrung zu stiften, Spuren zu verwischen, falsche Spuren zu legen und Kritiker zu diffamieren. Hauptaussage: Den NSU habe es nie gegeben, er sei eine Erfindung, um die Morde Rechten in die Schuhe zu schieben. Bemühungen, die Hintergründe aufzuklären, werden aggressiv angegangen, was in der Konsequenz den staatlichen NSU-Vertuschern dient.
Kritische Abgeordnete, Opferanwälte oder Journalisten zu diskreditieren, kann man durchaus als eine Tätigkeit der Nachrichtendienste bezeichnen.
Telepolis veröffentlichte kürzlich einen Bericht über den britischen Geheimdienst GCHQ (Government Communications Headquarter), der Mitarbeiter suchte, die "Gegner" online "stören", "abschrecken" und "frustrieren" sollten. Sprich: sie systematisch zu demoralisieren und zur Aufgabe ihres Tuns zu bewegen.
Vorgebliches Ziel war die Bekämpfung von "Terroristen". Die Methode des "Störens" und "Frustrierens" lässt sich aber auch auf politische "Gegner" anwenden. Ihr Ruf soll öffentlich geschädigt werden, um sie zur Aufgabe ihre Aufklärungsarbeit zu bringen. In der DDR zu Zeiten der Stasi hieß das "Zersetzung" und zielte auf die unabhängigen Oppositionsgruppen.
Man kann davon ausgehen, dass auch das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) derartige Störungsmethoden pflegt, wie das britische GCHQ. In einer Sitzung des Amri-Untersuchungsausschusses im Bundestag konnte man einmal die Internetarbeit des BfV ansatzweise kennenlernen. Seine Operatoren, digitale V-Leute inklusive, mischen unter Aliasnamen in Diskussionsforen und auf Kommentarspalten mit, dringen in Chatgruppen ein, übernehmen fremde Accounts, gründen eigene Webseiten oder kapern fremde (Die Zahl der V-Leute erreicht NSU-Niveau).
Es gibt Gründe zu der Annahme, dass es von dem genannten "AK-NSU-fatalist- Kartell", sagen wir, Verbindungen zum Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gibt. Zu passgenau passen außerdem die Intentionen der Internettruppe zu denen des BfV.
Die Gruppierung "AK-NSU-fatalist" verknüpft sich selber und offensiv mit der Internet-Plattform Geomatiko, auf der es unter anderem um den Anschlag auf dem Breitscheidplatz geht und wo sich explizit Anschlagsleugner zu Wort melden, wie Hauß und Davidsson. Alle sind dort beieinander.
Sollte also der BRD-Inlandsgeheimdienst als Player tatsächlich mit im Spiel sein, wäre das schon Erklärung genug für Desinformationen jeglicher Art, selbst wenn sie so abstrus daherkommen wie die Rede von der Erde als Scheibe, nämlich: den Anschlag vom Breitscheidplatz habe es nicht gegeben.
Denn wenn es ihn nicht gab, sondern er eine Simulation war, muss man ihn auch nicht aufklären. Aufklären - genau das versucht der bundesdeutsche Sicherheitsapparat seit zweieinhalb Jahren massiv zu verhindern.
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