Anti-Aging

Megatrend des 21. Jahrhunderts

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Altern ist geprägt durch Verschleiß und Leistungseinbußen, die nach der sexuellen Reifephase beginnen und sich bis zum Ende des Lebens langsam und unaufhaltsam fortsetzen. Für Leonard Hayflick, Aging-Forscher an der University of California, San Francisco, ist es entscheidend zu wissen, wie die maximale Lebensspanne einer Art festgelegt wird. So lebt der Mensch fünfmal länger als eine Katze, diese fünfmal länger als eine Maus und letztere fünfundzwanzigmal länger als beispielsweise eine Fruchtfliege. Warum ist dies so?

Die Evolutionsbiologen geben auf diese Frage eine klare Antwort: Ein langes Leben ist die Belohnung für eine erfolgreiche Fortpflanzung. Damit genügend Nachwuchs gezeugt und großgezogen wird, erhält jede Art eine höhere physiologische Kapazität als dafür unbedingt notwendig ist. Dies ermöglicht dem Menschen, als dem am höchsten entwickelten Lebewesen, über die Geschlechtsreife hinaus zu leben. Allerdings nimmt die Wahrscheinlichkeit zu sterben für den Menschen mit jedem weiteren Lebensalter zu.

Altern findet in den Zellen des menschlichen Körpers statt, der aus etwa 100 Trillionen einzelnen Zellen zusammengesetzt ist. Im Unterschied zu bakteriellen Zellen, die im wesentlichen unsterblich sind, wenn sie nicht durch Ionenbestrahlung, Hitze oder Kälte zerstört werden, sterben menschliche Zellen nach einer bestimmten Zeit ab. Beim Menschen beginnt das Altern, das Absterben von Zellen, im Alter von 10 bis 11 Jahren. Dabei haben die Zellen ein bestimmtes Limit im Rahmen der Anzahl an Reproduktionsmöglichkeiten, was auch Hayflick-Limit genannt wird. Jede gesunde menschliche Zellen trägt jedoch ein Todesprogramm in sich, das an einem bestimmten Zeitpunkt aufgerufen wird. Die Uhr, die den Tod einleitet, sitzt, wie die Forschung herausgefunden hat, in den Telomeren. Bei Tumorzellen ist das Hayflick-Limit außer Kraft gesetzt, da hier die Telomere wie bei den Keimzellen, aber im Gegensatz zu den normalen Körperzellen immer wieder nachgebildet werden. Solange Krebszellen einen Nährboden haben, wachsen sie und leben unbeschränkt weiter. Sie sind somit im wesentlichen wie die Bakterien unsterblich (Traum vom ewigen Leben).

Gefährliche Rückkopplungen

Prinzipiell werden zwei Arten von Theorien für das Entstehen des Alterns unterschieden: die Theorien um die genetischen Ursachen und die sogenannten Verschleiß-Theorien des Alterns. Greift der Mensch in die Genetik ein, so muss er sehr genau über die Kybernetik des Systems Mensch Bescheid wissen, da sonst versteckte Rückkopplungen das menschliche Leben gefährden können. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die gezielte Beeinflussung von Zellen das Wachstum von Krebszellen fördern kann. So hat an Mäuse verfüttertes nächtliches Melatonin einerseits die Lebenserwartung von Mäusen erhöht, wie die Arbeiten von Maestroni, Pierpaoli und Kloeden aufzeigen. Allerdings führte eine erhöhte Verabreichung von Melatonin bei jüngeren weiblichen Mäusen auch zu einer erhöhten Krebsgefahr. Dies zeigt, wie wichtig es ist, sämtliche Nebenwirkungen von möglichen Medikamenten zu kennen.

Telomere: Das dicke Ende kommt noch!

Die Erbinformationen eines jeden Lebewesens, die Gene, sind bekanntlich zu den Chromosomen zusammengefasst, wovon der Mensch 46 besitzt. Die Enden der Chromosomen, die aus denselben chemischen "Nucleotiden" bestehen wie die Gene, bezeichnet man als "Telomere". Mittlerweile hat die Genforschung herausgefunden, dass die Enden aller Chromosomen des Menschen die Basenfolge "TTAGGG" aufweisen, wobei die Länge je nach Zelltyp unterschiedlich ist. Die Enzyme, die für die Verdoppelung der DNS bei der Zellteilung verantwortlich sind, lassen aufgrund ihrer chemischen Struktur beim Kopieren an den Enden der neuen DNS-Stränge einige der Nucleotiden weg. Dies hätte zur Folge, dass bei jeder Zellteilung einige Gene verloren gehen würden.

Wegen dieses Informationsverlustes wäre der Aufbau komplexer Lebewesen somit nicht mehr möglich. Mit zunehmenden Alter geht jedoch ein Teil der Telomere durch biochemische Reaktionen verloren. Das ist anfangs nicht weiter tragisch, da das Telomer keine Erbinformationen enthält. Ist das Telomer jedoch aufgebraucht, werden die eigentlichen Gene angegriffen und die Zellen beginnen abzusterben. Daraus wurde die These aufgestellt, dass, wenn es gelänge, die Telomere in allen Zellen zu verlängern, man den Zelltod sehr lange aufschieben könnte. Diese könnte z.B. durch einen Virus geschehen, der permanent weitere "TTAGGG"-Folgen an die Chromosomenenden anhängt.

Freie Radikale und das Altern

Nach Ansicht von Rajindar S. Sohal von der Southern Methodist University in Dallas, Texas, und Richard Weindruch von der University of Wisconsin in Madison sind allerdings freie Radikale die Hauptursache für das verschleißbedingte Altern des Menschen. Sie entstehen in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle. Die bei der Verbrennung von Nahrung mit Sauerstoff freigesetzten Radikale verfügen über mindestens ein ungepaartes Elektronenpaar, das sie zu vervollständigen versuchen. Dabei werden bestimmte Strukturen in der Zelle wie beispielsweise die DNA, Eiweiße oder Fette angegriffen und geschädigt.

Zwar verfügt der Körper über Möglichkeiten, um diese aggressiven Verbindungen zu kompensieren und die Schäden zu reparieren, aber er ist der zunehmenden Übermacht an freien Radikalen mit zunehmendem Alter nicht mehr gewachsen. Die Mitochondrien sind hierbei besonders anfällig, da sie zwar über ein eigenes Erbgut, aber nicht über die dazugehörigen Reparatursysteme verfügen. Als Folge sinkt der Energieumsatz im Körper und der Mensch altert schneller. Gestützt wird die Radikal-Theorie übrigens dadurch, dass langlebige Organismen einen deutlich niedrigeren Energieverbrauch haben als kurzlebige. So konnte das Leben von Fruchtfliegen, die einer kälteren Umgebung ausgesetzt wurden, durch den damit verbundenen geringeren Energieumsatz, verlängert werden.

Progerie, der Aging-Simulator

Dass auch einzelne Gene das Altern beeinflussen, zeigen seltene Erbkrankheiten wie die Progerie. Bei dieser im Kindesalter einsetzenden Form des Alterns kommt es noch vor dem dritten Lebensjahr zu einem Wachstumsstillstand und einer rapiden Vergreisung. Bei einer speziellen Ausprägung, dem sogenannten Werner-Syndrom beginnt die Alternsbeschleunigung mit dem zwanzigsten Lebensjahr. Hier ergrauen die Betroffenen, ihre Haut wird faltig, sie erblinden am Grauen Star und leiden häufig an Herzkrankheiten, Arteriosklerose, Diabetes und Krebs.

Vor kurzem gelang es Forschern in den USA, die Bauanleitung für das Eiweiß zu isolieren, die für die frühzeitige Alterung beim Werner-Syndrom verantwortlich ist: die Helicase. Ihre Funktion ist es, die spiralig gedrehte DNA zu entflechten und somit Schäden zu reparieren. Bei Menschen mit Progerie ist die Helicase so verändert, dass die Reparaturfunktion nicht mehr wahrgenommen werden kann und sich somit Schäden am Erbgut einstellen.

Das Gen für Langlebigkeit

Wissenschaftler um Gary Ruvkun von der Harvard Medical School in Boston gelang es, ein Gen für Langlebigkeit bei dem Fadenwurm "Caenorhabditis Elegans" zu entdecken. Der Wurm kann sein Leben dadurch verlängern, dass er sich abkapselt und in eine Art Winterschlaf verfällt. Das Gen, das für diesen Prozess verantwortlich ist, hat hierbei große Ähnlichkeit mit dem Gen für den menschlichen Insulinrezeptor, das die Aufnahme des Zuckers in die Zellen reguliert (Eine Pille zur Verlängerung des Lebens).

Bei C. elegans" kann scheinbar eine geringer werdende Menge an Zucker im Stoffwechselkreislauf den Alterungsprozess für eine Weile stoppen. Der Wurm lebt somit länger, weil er hungert. Bei Mäusen, bei denen man die Kalorienzufuhr um 40 % reduzierte, konnte man ein Verdopplung der Lebensdauer gegenüber den wohlgenährten Artgenossen beobachten. Die These für den Menschen ist, dass bei einer Kalorienzufuhr von lediglich 1600 bis 1800 Kalorien am Tag, sich der Stoffwechsel verlangsamt, weniger aggressive Radikale entstehen und dadurch der Alterungsprozess verzögert werden könnte. Was für diese These spricht ist, dass viele Hundertjährige mäßige Esser gewesen sind (Warum man durch Hungern länger lebt).

Lebensverlängerung durch Kryonik

Die Idee, die hinter der Kryonik steckt, ist es, den Menschen solange einzufrieren, bis die Wissenschaft Therapien für bisher unheilbare Krankheiten entwickelt hat. Die Kryonik wurde von Robert C. E. Ettinger, den man den "Vater der Kryonik" nennt, mit seiner Schrift "The Prospect of Immortality" geprägt.

Wenn heute jemand für tot erklärt wird, sind im allgemeinen die meisten seiner Zellen noch am Leben und die für Persönlichkeit und Gedächtnis wichtigen Strukturen des Gehirns noch voll funktionsfähig. Wird ein Toter bei Temperaturen unter - 180 Grad Celsius eingefroren, so lässt sich der Status Quo beibehalten, da keine weiteren chemischen Reaktionen und Zerfallsvorgänge mehr auftreten können. Damit hat der Eingefrorene eine Chance, dass die zukünftige Medizin seine Erkrankung heilen kann. So hält der Mediziner Dr. Avi Ben-Abraham kryostatische Zeitreisen für möglich, da die durch das Einfrieren auftretenden Schädigungen zukünftig durch molekulare Maschinen heilbar sein werden.

Bei der Kryonik unterscheidet man grundsätzlich zwei Arten: die Neurokonservierung und die Ganzkörperkonservierung. Während bei der Neurokonservierung der Kopf mit dem Gehirn eingefroren wird, wird bei der Ganzkörperkonservierung der komplette Mensch eingefroren. Bei der Neurokonservierung wird davon ausgegangen, dass aus der DNS der menschlichen Gehirnzellen zukünftig ein neuer Körper geklont werden kann, der dann als Träger für das eingefrorene Gehirn dienen würde.

Verlängerung der Lebenserwartung

Betrug die Lebenserwartung eines männlichen Amerikaners im Jahre 1900 lediglich 48,3 Jahre, so stieg sie bis zum Jahr 1996 bereits auf 75,7 Jahre an, d.h. während eines Jahrhunderts hat die Lebenserwartung um nahezu 60 % zugenommen.

Dieser Trend ist hauptsächlich auf die Verringerung der Kindersterblichkeit zurückzuführen, durch die moderne Biotechnologie wird heute hingegen die Alterssterblichkeit direkt angegangen. Fast ist es so, als ob der Gilgamesh-Epos aus der Morgendämmerung der menschlichen Zivilisation zu neuem Leben erweckt wird. Ebenso wie König Gilgamesh Untersterblichkeit suchte, strebt auch die heutige Wissenschaft nach der Erfüllung dieses Ideals. Dabei ist jedoch zu erwarten, dass als Nebenprodukt der menschlichen Forschung die Abenddämmerung für die Spezie Mensch eingeleitet wird. Ein Mensch, der nicht mehr sterben kann, wird Apparate benötigen, die ihm die Langeweile nehmen und ihn immer leistungsfähiger machen. Ohne kybernetische Hilfsmittel, die wohl oder übel zum Cyborg führen, wird dies jedoch kaum zu realisieren sein.

Überwindung des Zeitpfeils

Erste Erfolge im Rahmen der Verzögerung des Alterns wurden in der Forschung durch den Wirkstoff Melatonin erzielt, der durch die Zirbeldrüse erzeugt wird. Eine andere Möglichkeit das Altern zu verhindern, ist den Zelltod, d.h. die Selbstzerstörung der Zellen, zu blockieren. Alle neuen Technologien scheinen auf eine Stoßrichtung hinzuwirken, die wir die Überwindung des Zeitpfeils nennen können. Wir wollen im Jetzt leben, ohne sterben zu müssen. Wir wollen handeln können, ohne unter Zeitdruck zu stehen, wir wollen wissen, ohne dass unser Wissen durch den Tod verloren wird. Alles was wir tun, ist auf eine Aufhebung des Zeitpfeils gerichtet.

Durch die Molekulartechnologie steht der Mensch vor der Überwindung seiner eigenen Grenzziehung. Die Lebensfähigkeit des Menschen wird dadurch aufrecht erhalten, dass sich Zellen ständig teilen und sich selbst reparieren. Wird dieser Prozess gestoppt, stirbt der Mensch. Reparaturmaschinen bringen deshalb eine neue Form von Reversibilität in das menschliche Leben. Hier stellt sich die Frage, ob Nanoroboter, die Zellen reparieren, oder die gentechnische Verlängerung des Lebens sich von der Zeitumkehr im Computer unterscheiden? Ich glaube ja, denn trotz einer "quasi-simulierten" Lebensverlängerung durch Genmanipulationen werden wir weiter altern.

Die Folge der Unsterblichkeit

Der Mensch stirbt, wenn er sich nicht selbst umbringt und durch äußere Kräfte den Tod erleidet, weil seine Zellen den Tod in ihrem Programm haben. Wenn wir sterben, sterben auch all unsere mühsam erlernten Erfahrungen. Dass der Mensch immer mehr Wissen bekommt und dieses durch den Tod nicht mehr zu verlieren braucht, ist ein alter Menschheitstraum, der jedoch auch neue Gefahren eröffnet. Verliert der Mensch durch ewiges Leben nicht seine kulturelle Vielfalt, seine Kreativität oder seinen freien Willen?

In Jorge Luis Borges Erzählungen findet sich in seinem Band El Aleph die Eingangserzählung "El Imortal", der Unsterbliche. Für den Unsterblichen ist die Welt ohne Gedächtnis, ohne Zeit, d.h. seine Unsterblichkeit bedeutet ihm zufolge die Auflösung von Raum und Zeit und somit nur noch die Existenz des Jetzt. Ein unsterblicher Mensch erlebt alles, was Menschen erleben können, und das nicht einmal, sondern unendlich oft. Individualität gäbe es nicht mehr, Handeln würde letztlich sinnlos, weshalb dem Unsterblichen als einziger Ausweg das Nicht-Handeln erscheinen würde.