Warum man durch Hungern länger lebt

Wissenschaftler vom MIT haben einen einfachen genetischen Mechanismus entdeckt, der die bereits in Experimenten bei Tieren nachgewiesene lebensverlängernde Wirkung einer kalorienreduzierten Ernährung erklärt

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Biologen vom MIT konnten erstmals nachweisen, warum eine kalorienärmere Ernährung zur Verlangsamung des Alterprozesses führt. Möglicherweise ließe sich aus diesem Mechanismus, wenn man ihn direkt beeinflusst, auch einmal eine Pille für die Menschen entwickeln. Bislang aber haben die Experimente nur gezeigt, dass Hefezellen, Ratten und Mäuse länger leben, wenn sie weniger fressen.

Ratten und Mäuse können ihre Lebenszeit bis zu 40 Prozent verlängern, wenn man sie auf eine Diät setzt, die bis zu 70 Prozent weniger Kalorien als üblich, allerdings mit den notwendigen Nährstoffen und Vitaminen enthält. Das scheint zu helfen, die alterungsbedingten Krankheiten fernzuhalten und auch sonst ganz gesund zu sein, nur sind sie offenbar weniger fruchtbar. Mit Rhesus-Affen findet seit 1987 bereits ein Experiment mit einer kalorienreduzierten Diät am National Institute of Aging statt, woraus sich aber noch keine signifikanten Auswirkungen auf die Lebenserwartung ergeben haben, schließlich leben die Affen normalerweise etwa 25 Jahre lang. Doch in der auf Diät gesetzten Gruppe kam es bislang zu weniger Sterbefällen als in der normal fressenden Vergleichsgruppe.

Zumindest bei Hefezellen scheinen der Cofaktor eines Enzyms und ein Gen bei geringerer Ernährung dafür verantwortlich zu sein, dass das Programm für das Altern hinausgeschoben wird, wie Leonard Guarente und sein Team in der neuesten Ausgabe von Science berichten. Bei dem Gen handelt es sich um SIR2 (silent information regulator), das bei einer geringeren Kalorienaufnahme mehr SIR2-Protein freisetzt, durch das das Ausschalten von Gensequenzen bewirkt wird, das aber auch Bedeutung für die Reparatur von Genen hat. Insgesamt kennt man vier SIR-Loci - Regulatoren der "stummen Information" -, die als "Silencer" wirken, also die Expression von bestimmten Gensequenzen unterdrücken. Wird hingegen das SIR2-Gen bei Hefezellen ausgeschaltet, lassen sich keine lebensverlängernden Auswirkungen einer kalorienärmeren Ernährung mehr feststellen.

Bei Hefezellen wird das Alter durch die Anzahl der Teilungen bestimmt, durch die eine Zelle neue Zellen bildet, bevor sie stirbt. Normalerweise kann sich eine Hefezelle 20 Mal teilen. Bei den Experimenten von Guarente lebten die Hefezellen 30-40 Prozent länger, wenn sie nur ein Viertel der normalerweise von ihnen aufgenommenen Glukose erhielten. Und sie lebten auch länger, wenn ein weiteres SIR2-Gen in ihr Genom eingebaut wurde. Guarente ist der Überzeugung, dass das SIR2-Gen, von dem es Homologe bei vielen Organismen und auch beim Menschen gibt, stets auf ähnliche Weise wie in Hefezellen wirkt. Das würde heißen, man muss nur ein wenig gezielt den Metabolismus der Zelle beeinflussen, um längeres Leben zu bewirken, was sich auch direkt, ohne den Umweg über die kalorienreduzierte Diät, machen ließe, wenn man den genauen Mechanismus kennt.

Um Nahrung verarbeiten zu können, müssen in der Zelle bestimmte Cofaktoren bei den Enzymen vorhanden sein. Ein wichtiger Cofaktor ist das unter Beteiligung des Gens NPT1 erzeugte Molekül NAD (Nicotinamidadenindinucleotid), das durch Oxidierung energiereiche Elektronen einfängt, die entstehen, wenn Glucose aufgespalten wird. Wenn keine oder wenig Nahrung aufgenommen wird, wird das Molekül nicht mehr für die Verarbeitung benötigt und steht dem SIR2-Protein (SIR2p) zur Verfügung., das erst dann die Expression von Genen unterdrücken und damit das Leben verlängern kann. Solange also immer ein Glucose-Strom in die Zelle dringt, altert diese auch, weil für SIR2p dann keine NAD-Moleküle zur Verfügung stehen.

Durch die Inaktivierung von genetischen Sequenzen scheint das SIR2-Gen beispielsweise einen Vorgang aufzuhalten, der normalerweise bei älteren Zellen auftritt. Dort werden manchmal auch Gene aktiviert, die stumm bleiben sollten. Ihre Expression führt zu Problemen, die durch Anhäufung zum Tod führen können. In älteren Hefezellen brechen beispielsweise, wie Guarente beobachtet hat, bei der Bildung neuer Proteine manchmal winzige Bruchstücke aus dem Chromosom, die sich dann in der Zelle anhäufen und schließlich zu deren Tod führen. Das SIR2-Gen scheint durch Inaktivierung von Gensequenzen auch dieses Phänomen zu verhindern, da es die Gene gut und eng verpackt, wodurch sie weniger leicht in Interaktion mit ihrer Umgebung treten können.

Guarente schließt keineswegs aus, dass normalerweise für das Altern nicht nur eines, sondern viele Gene verantwortlich sein können. Aber er vermutet, dass es trotzdem auch diesen einzelnen Mechanismus zur Verhinderung des Alterns gibt, weil er durchaus evolutionär sinnvoll sei: als beste Strategie für einen Organismus, bei Nahrungsknappheit die Reproduktion hinauszuschieben und zu warten, bis sich die Lebensumstände wieder verbessert haben. Wenn Organismen mit einem Gen wie SIR2 das Altern hinausschieben können, wenn die Nahrung knapp ist, könnten diese durch die natürliche Selektion bevorzugt worden sein.

Wenn das zutreffen sollte und auch Menschen diesen einfachen, nur von einem Gen ausgehenden Mechanismus besitzen, dann stünden die Türen offen, Medikamente zu entwickeln, die auf diesen Mechanismus einwirken. Beispielsweise könnte man den Körperzellen immer ausreichend viel NAD zuführen, damit das SIR2p aktiv werden kann. Doch das Molekül ist zu groß, um durch die Membran in die Zellen gelangen zu können: "Wenn man ein Medikament herstellen könnte", so die Hoffnung von Guarente, "das dieselbe Wirkung auf SIR2 wie NAD hat, dann kann man sich vorstellen, dass man eine gute Gesundheit und vielleicht auch ein längeres Leben bewirken kann." Dass die Eingabe bestimmter Wirkstoffe lebensverlängernd sein kann, hatten erst kürzlich Forscher demonstriert (Eine Pille zur Verlängerung des Lebens). Sie konnten die Lebensspanne beim Fadenwurm C. elegans durch Medikamente um bis 50 Prozent im Vergleich zu unbehandelten Würmern verlängern. Die Medikamente, bestehend aus künstlichen Enzymen, die Sauerstoffradikale binden, konnten auch die Lebensdauer von mutierten Würmern verlängern, die in ihren Mitochondrien geschädigt waren, was eine zunehmende Erzeugung von Sauerstoffradikalen und damit eine vorzeitige Alterung zur Folge hat.