Anti-Trump Carly Fiorina

Mainstreammedien feiern die Präsidentschaftsbewerberin, obwohl ihre Bilanz bei HP und Lucent wenig Anlass dazu gibt

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Nach der Zweiten republikanischen Vorwahl-Fernsehdebatte feiern Mainstreammedien in den USA und in Deutschland die ehemalige HP-Chefin Carly Fiorina als Anti-Trump. Die massiv gesteigerte Medienaufmerksamkeit schlägt sich inzwischen auch in Umfragen nieder: Bei NBC liegt sie hinter Donald Trump (29 Prozent) und dem vor allem religiöse Wähler ansprechenden schwarzen Neurochirurgen Ben Carson (14 Prozent) mit elf Prozent auf Platz drei. Bei CNN, wo Trump mit 24 Prozent führt und Carson ebenfalls bei 14 Prozent liegt, erreicht sie mit den selben elf Prozent den selben dritten Platz. Auch Morning Consult sieht sie mit zehn Prozent auf Platz drei. Hier führt Trump mit 36 Prozent; Carson kommt auf zwölf. Ein Ausreißer ist Gravis Marketing: Diese Firma sieht als einzige Trump und Fiorina mit jeweils 22 Prozent gleichauf und Carson mit zwölf Prozent auf Platz drei.

Ob Fiorina diese Positionen halten oder verbessern kann, hängt auch davon ab, wie die anderen Kandidaten darauf reagieren. Als sie 2010 kalifornische Senatorin werden wollte, verlor sie unter anderem deshalb krachend, weil ihre demokratische Gegenkandidatin Barbara Boxer im Wahlkampf thematisierte, was passierte, nachdem die Italo-Amerikanerin mit dem etwas an Livia Soprano erinnernden Gesicht HP-CEO wurde: Sie setzte 30.000 der damals 85.000 Mitarbeiter frei, während sie sich selbst 100 Millionen Dollar und eine Luxusjacht und dem Management fünf neue Firmenjets gönnte. Trotzdem (oder gerade deshalb) verfehlte das Unternehmen Gewinnprognosen und der Aktienkurs ging in den Keller.

Die Techniker, die sie zugunsten der Manager entmachtete, werfen ihr vor, dass sie dem IT-Konzern damals die Innovationskraft nahm und deshalb langfristig massiv schadete. Technology Review schrieb 2005, nachdem Fiorina schließlich selbst entlassen wurde, tanzten die HP-Angestellten "wortwörtlich in ihren Büros". Auf die Frage nach eigenen Fehlern meinte die entlassene Managerin lediglich, sie hätte noch früher noch mehr Leute entlassen sollen.

Bevor sie zu HP ging, war Fiorina bei bei Lucent Technologies tätig - einer Firma, deren Aktien in den Nuller Jahren auf weniger als einen Dollar Wert sanken, bis sie schließlich mit Alcatel fusionierte. Fortune zeigte 2010, dass Fiorinas oft an sehr kurzfristigem Scheinerfolg orientierte Entscheidungen maßgeblichen Anteil an diesem Niedergang hatten - auch wenn sie bei ihrem Weggang 1999 noch wie echte Erfolge verkauft wurden. Ausbaden mussten die Fehlentscheidungen auch hier entlassene Mitarbeiter, deren Armutsreserve und Altersversorgung häufig aus Lucent-Aktien bestanden hatte.

Was den entlassenen Lucent- und HP-Mitarbeitern blieb, ist ihr Schicksal, von dem sie öffentlich erzählen können - auch in Videos von Fiorinas Gegenkandidaten.

Carly Fiorina erzählt eine Abtreibungsvideo-Gruselszene, die es gar nicht gibt

Dass sie mit diesen Bilanzen wenig erreichen kann, dürfte auch Fiorina klar sein. Sie versucht deshalb, die Aufmerksamkeit auf andere Themen zu lenken, die die republikanische Wählerschaft emotional packen: Bei der Fernsehdebatte stellte sie sich als kompromissloseste Gegnerin von Abtreibung dar und meinte, sie würde sogar einen Haushaltsstillstand in Kauf nehmen, um der Organisation Planned Parenthood die staatlichen Fördermittel zu streichen. Später kam heraus, dass es die Gruselszenen über angebliche "Hirnernten" bei künstlich am Leben gehaltenen Embryos, mit denen sie ihre Position begründete, (zumindest in den von ihr thematisierten Videos) gar nicht gibt.

Und als die Kandidaten gefragt wurden, welche Frau die Zehn-Dollar-Note zieren sollte, war sie zusammen mit Ted Cruz die einzige, die dafür plädierte, den Gründervater Alexander Hamilton dort zu belassen. Dabei kam ihr ihr Geschlecht zugute, dass sie relativ unangreifbar gegen Kritik macht: Jeb Bush (der die Ausländerin Maggie Thatcher nannte), Mike Huckabee (der seine Frau als Geldscheinportraitmodell empfahl), Ben Carson (dem dafür - fast schon zu klischeehaft - seine Mutter vorschwebt) und die anderen männlichen Bewerbern fürchteten sich möglicherweise davor, dass die wahrscheinlich von vielen Bürgern geteilte naheliegendste Antwort als Tabubruch skandalisiert worden wäre.

Ein Grund, warum die republikanischen Eliten derzeit auf Fiorina setzen, dürfte sein, dass ihr vormaliger Favorit Jeb Bush in den Umfragen und Debatten bei weitem nicht so abschnitt wie erwartet. Er erreicht nur einstellige Werte und liegt meist noch hinter seinem ehemaligen Schützling Marco Rubio. Möglicherweise hat man unterschätzt, wie sehr Bush mit seinem Bruder assoziiert wird, von dem Donald Trump in der letzten Fernsehdebatte meinte, er habe so katastrophal regiert, dass nach ihm nicht einmal Abraham Lincoln als republikanischer Kandidat eine Chance gehabt hätte (weshalb er indirekt auch für Obama verantwortlich sei).

Ein anderer Grund könnte in dem Kalkül liegen, dass Fiorina als Frau bessere Chancen gegen die (trotz der Führung von Bernie Sanders in den beiden ersten Vorwahlstaaten) immer noch wahrscheinlichste demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton haben würde. Darauf zu setzen, wäre jedoch insofern ein Risiko, als die beiden Kandidatinnen vom Habitus her viel gemeinsam haben - einem Habitus, der nicht alle Amerikaner anspricht und der viele Wähler dazu bringen könnte, der Urne im November 2016 fernzubleiben.

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