Arbeit macht unfrei

Seite 2: Kontinuitäten in der Nachkriegszeit

Die Nachkriegsgeschichte ist in der Justiz, der Verwaltung, der Politik und den Ministerien, das ist bekannt und an Literatur hierzu mangelt es nicht, geprägt durch personelle Kontinuitäten.

In den 1950er-Jahren lag beispielsweise der Anteil der führenden Mitarbeiter des Arbeitsministeriums mit NSDAP-Parteibuch im Schnitt bei 60 Prozent.

Lelle geht es in seiner Arbeit auch nicht um personelle, sondern um ideologische Kontinuitäten: Um das Fortbestehen der deutschen Arbeitsauffassung, die jedoch, zumindest oberflächlich und nach außen hin, vom Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und Sozialchauvinismus bereinigt werden musste.

Ganz ohne personelle Kontinuität geht allerdings auch das nicht. Den bruchlosen Sprung vom faschistischen Chefideologen zum Chefausbilder im Dienst des Kapitals gelang unter anderem: Reinhard Höhn. Der 1904 geborene stramme Antisemit und Jurist baute Heidrichs Sicherheitsdienst (SD) mit auf, dessen Ziel es war, "Volksfeinde" aufzuspüren, um die Verhältnisse zu stabilisieren.

Von Himmler zum SS-Oberführer ernannt, lieferte er Argumente für eine europaweite Vertreibungs- und Vernichtungspolitik. 1953 wurde er Geschäftsführer der Deutschen Volkswirtschaftlichen Gesellschaft und baute die Bad Harzburger Gesellschaft für Führungskräfte auf. Deren Akademie war bald die erste Adresse in der BRD für Management-Training und unternehmerische Führungsmodelle.

Nicht zuletzt wegen der umfangreichen Unterstützung alter SS Kameraden, die sich jetzt bei Höhn als Führungskräfte in Unternehmen ausbilden ließen.

Schulungen mit prominenten Kunden

Zu den Kunden zählten zum Beispiel AEG-Telefunken, Aldi Nord, Bayer, BMW, C&A Brenninkmeyer, Esso, Ford, Hoechst, Karstadt, Kaufhof, Krupp, Mannesmann, Opel, Thyssen, das Versandhaus von Beate Uhse, VW und viele mehr. Auch der Gründer der Drogeriemarktkette dm, erfahren wir von Lelle, wurde von seinem Vater zur Schulung nach Harzburg geschickt.

Die alte Logik vom Führer und Gefolgschaft hat sich angepasst und modernisiert, lebt aber in "entnazifizierten" Formen fort. Nach der Befreiung hieß es nicht mehr "Führer befiel – wir folgen", sondern "Führer befiel – wir managen", wie die Zeitschrift Konkret titelte.

Anfang der 1970er endete der staatlich gelenkte Kapitalismus und oktroyiert wurde die bis heute andauernde neoliberale Variante. Nicht allein, weil diese von Beginn an wegen ihres politisch-ökonomischen Autoritarismus kritisiert wurde, sondern vor allem auch wegen der ideologischen Nähe zur politischen Ökonomie des NS – zum Beispiel erfolgte damals wie heute der Ausschluss aus der (Volks-)Gemeinschaft mit und durch Arbeit – hätte man sich hier eine etwas ausführlichere Darlegung gewünscht.

Lelle belässt es bei der Feststellung: Das "führende Selbst" hat ausgedient und wurde durch das (unternehmerische) folgende Selbst ersetzt, das für sich allein steht. Die Aktivierung der Selbststeuerungspotentiale liegt in der Selbstverantwortung, Ziel ist, sich selbst möglichst gut zu verkaufen und Gewinn zu machen.

Das kapitalistische Leistungsprinzip

Kritisiert wird noch in zwei Sätzen die neoliberal transformierte Regierungs-SPD und Vizekanzler Franz Münteferings verdrehtes und sozialdemokratisiertes Paulus-Postulat: "Wer arbeitet, soll auch essen", eine wiedererstarkte neue antisemitische Rechte samt Unterstellungen von Thilo Sarrazin bis Björn Höcke, aber das war es dann leider auch.

Bis heute ist die berufliche Karriere das Ideal der bürgerlichen Leistungsgesellschaft und des kapitalistischen Leistungsprinzips. Rassistisch aufgewertet und radikal zu Ende gedacht, impliziert es genau die Devise, die unter anderem über dem Eingangstor vom KZ Buchenwald zu lesen war: "Jedem das Seine."

Lelle resümiert ganz zu Recht, dass einem das Nachdenken über den Faschismus zwangsläufig immer wieder zurückwirft auf den Kapitalismus. Prägnant formuliert bereits am Vorabend des Zweiten Weltkrieges von Max Horkheimer:

"Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen."

Die Forderung nach einer radikalen Veränderung des Arbeitsbegriffes, auch darin ist dem Autor zuzustimmen, impliziert die Forderung nach einer radikalen Veränderung der Gesellschaft, ohne wird es nicht gehen.

"Die Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen", so noch einmal Horkheimer, "zielt auf den Marxschen kategorischen Imperativ": Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.

Arbeitsverhältnisse sind nur allzu oft ein solches Verhältnis. Ein kritischer Arbeitsbegriff dagegen muss versuchen, auch diejenigen zu integrieren, die sich weigern: Jeder kann, keiner muss, aber für alle wird gesorgt.

Nikolas Lelle
Arbeit, Dienst Und Führung. Der Nationalsozialismus und sein Erbe
Verbrecher Verlag, Berlin 2022
366 Seiten, 30 Euro

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