Arbeit macht unfrei

Die Verherrlichung "deutscher Arbeit" im Naziregime. Über die Karriere eines Ideologems und seine Kontinuitäten in der Nachkriegszeit.

Die Vorstellung, dass Deutsche besonders gut, hart, effizient, präzise, tüchtig und fleißig arbeiten – ihre Beziehung zur Arbeit gilt in der Welt als einzigartig – hat eine lange Tradition und hält sich bis heute.

Besonders wirkmächtig war dieser Topos während des Naziregimes. Aber, so stellt Nikolas Lelle in seinem sozialphilosophischen Buch "Arbeit, Dienst und Führung. Der Nationalsozialismus und sein Erbe" fest, Analyse und Kritik der NS-Arbeitsauffassung kamen in der Forschung bislang zu kurz und es sei erstaunlich, wie wenig sich die Auseinandersetzungen mit dem Naziregime "um dessen Verhältnis zu Arbeit drehen".

Man muss an dieser Stelle einschränkend hinzufügen, und für diese Feststellung reicht bereits ein Blick in das 31 Seiten umfassende Literaturverzeichnis, an einer kritischen, elementaren Analyse deutscher Arbeit in der NS-Zeit fehlte es bisher. Denn an verharmlosender, beschönigender und verherrlichender Literatur zu dieser Thematik hat es weder vor noch nach 1945 gemangelt.

Aber in Bezug auf eine fundamentale, alle Aspekte deutscher Arbeit – einschließlich der Vernichtung durch Arbeit – in dieser Zeit betreffenden Kritik, hat der Autor eine eindrucksvolle, lehrreiche und richtungweisende Fleißarbeit vorgelegt.

Das besondere Verhältnis

Dieses besondere Verhältnis der Deutschen zu ihrer Arbeit beginnt sich "im langen 19. Jahrhundert" (Eric Hobsbawm) zu entfalten, auch wenn, wie Lelle richtig anmerkt, bereits in Martin Luthers Schriften Vorläufer dieser Idee aufzufinden sind.

In Literatur und Wissenschaft, in Kunst und Politik treten zunehmend Positionen auf, und der Autor exemplifiziert aus allen Bereichen prägnante Beispiele, die die Verherrlichung von "deutscher Arbeit" schildern und als Gegenbild "den Juden" entwerfen.

Deutsche Arbeit wird als Pflichtgefühl definiert, das den Arbeitenden an die (Betriebs-)Gemeinschaft binde. Die Arbeit wird erledigt, nicht um des Verdienstes willen, sondern zum Wohl des Ganzen geleistet.

Das Gegenteil sei die "jüdische Arbeit", die allein für den eigenen Nutzen getan werde. Entscheidend sei nicht die Art der Tätigkeit, sondern wie sie ausgeführt werde. Der (deutsche) Kaufmann arbeitet ehrlich und gemeinnützig, der (jüdische) Händler jedoch suche immer nur seinen eigenen Vorteil.

Und das Ideologem deutsche Arbeit, auch hierzu finden sich bei Lelle Beispiele, ist nicht auf den Antisemitismus beschränkt. Auch der "gute deutsche Kolonisator" des Imperialismus arbeitete stets an der Erziehung zur Arbeit und kolonialisierte grundsätzlich nur gemeinnützig und nachhaltig.

An diese Tradition konnten die nationalsozialistischen Frühschriften von Gottfried Feder, Anton Draxler und Dietrich Eckart nach dem Ersten Weltkrieg nahtlos anschließen und von ihren Texten spannt sich ein Netz zu Hitlers frühen Reden und Schriften.

Die "erste Pflicht jedes Staatsbürgers"

Lelle untersucht die Texte systematisch mit dem Ziel, die NS-Arbeitsauffassung zu bestimmen: "Die Macht des Leihkapitals müsse gebrochen werden" und es gelte, sich von der "Zinsknechtschaft des Geldes zu befreien", hinter dem Kapitalismus, der Sozialdemokratie und dem Kommunismus stünden die Juden, ihren "Mammonismus, die geheimnisvolle Herrschaft der großen internationalen Geldmächte" gelte es zu bekämpfen, nicht den Kapitalismus insgesamt.

Diese Schimären bilden die Grundlage von Hitlers 25-Punkte-Programm von 1920. Um es zu erreichen, ist es die "erste Pflicht jedes Staatsbürgers (…) geistig oder körperlich zu schaffen", und zwar zum Nutzen aller.

Das sich hieraus ergebende Konstrukt der Volksgemeinschaft bildet die ideologische Verbindung zwischen Antisemitismus und Arbeitsauffassung. Eingegrenzt durch den Begriff der Rasse, definiert sich der NS-Arbeitsbegriff: Arbeit ist Dienst an der Volksgemeinschaft.

Aus dieser Definition ergibt sich zum einen, dass nicht allein die Erwerbsarbeit als Arbeit gilt, sondern jede Tätigkeit, die der Volksgemeinschaft nützt, also auch die Haushalts- und Reproduktionstätigkeiten, die ausschließlich den Frauen zugeordnet war.

Selbst Arbeitslose wurden symbolisch zu Arbeitenden umgewertet, wenn sie zum Beispiel eine ehrenamtliche Tätigkeit ausübten. Zum anderen ergibt sich aus der Überhöhung der Arbeit als Dienst die Abwertung der Nicht-Arbeit. Sie gilt, dieser Logik zufolge, als schädlich. Die Verfolgung "Asozialer" und "Arbeitsscheuer" hat hier ihr ideologisches Fundament (vgl. dazu: "Noch immer nicht in der deutschen Erinnerungskultur angekommen").

Politische Ökonomie des Naziregimes

Diese NS-Arbeitsauffassung schildert der Autor als Versuch, eine Antwort auf die Probleme moderner, industrieller Arbeit, auf die Entfremdung der Arbeit zu finden. Allem voran der Antisemitismus ermöglichte eine Kapitalismuskritik, ohne den Kapitalismus abzuschaffen.

Nicht die Verhältnisse, die entfremdete Arbeit produzieren, sollten abgeschafft oder auch nur verändert werden, sondern die Art und Weise, wie sich Menschen in diesen aufeinander beziehen.

Man präsentierte sich als Gegenbild sowohl der liberalen Arbeitsauffassung, organisiert in kapitalistischen Marktbeziehungen, als auch gegen einen sozialistischen Begriff, der auf eine demokratische und kollektive Organisation zielte. Arbeit wurde, so zitiert Lelle an dieser Stelle, zu Recht Franz Neumann (1900 – 1954) nicht mehr als Ware verstanden, sondern als Ehre. In der Propaganda wähnte man sich auf einem dritten Weg.

Es gehörte zur politischen Ökonomie des "dritten Reiches" eine Verbindung zur Arbeiterklasse herzustellen, die Arbeiter sozial in das Regime zu integrieren, um sich deren Legitimität langfristig zu sichern.

Die Einsicht, dass faschistischer Kapitalismus nicht auf die "Passivierung des Proletariats" setzt, sondern auf dessen "Aktivierung" findet sich bereits bei Walter Benjamin (1892-1940), bei Herbert Marcuse (1898-1978): "Die totale Aktivierung und Politisierung entreißt breite Schichten ihrer hemmenden Neutralität (...)" und Max Horkheimer (1895-1973): "Die Aktivierung der Massen ist Aufgabe des faschistischen Apparats".

Neue Formen der Menschenführung

Damit die Arbeiter auch wollen, was sie sollen, experimentierte man in ausgewählten Betrieben mit neuen Formen der Menschenführung:

Bekanntestes Beispiel sind die Kölner Klöckner-Humbold-Deutz-Werke (KHD). Hier wurden Mitte der 1930er-Jahre Formen des Personalmanagements eingeführt, die auf die Eigenverantwortung der Arbeiter setzten. Ziel war es, den Arbeiter zum Mitarbeiter zu machen. Der Betriebsdirektor verlieh einigen besonders effektiven Arbeitern den Titel "Selbstkontrolleur", erkennbar an dem Schriftzug "Ich prüfe selbst".

Das bedeutete, dass sie, ohne eine materielle Zusatzvergütung dafür zu erhalten, ihre Produkte selbst auf etwaige Mängel überprüfen und gegebenenfalls reklamieren konnten. Auch wurde einigen ausgezeichneten Facharbeitern der Titel "Selbstkalkulator" verliehen. Sie durften ihre Akkorde selbst festsetzen und somit ihr Gehalt selbst bestimmen.

Die NS-Presse feierte die neue Personalführung als Realisierung der eigenen Ideologie und in der SS-Zeitung Das Schwarze Korps war zu lesen: "Hier ist der Nationalsozialismus zur Tat geworden."

Die NS-Herrschaftsform strafte also nicht nur, sie aktivierte auch und brachte eine bestimmte Subjektform des deutschen Arbeiters hervor, das der Autor das "folgende Selbst" nennt. Die "klassenlose NS-Klassengesellschaft" (Theodor W. Adorno 1903 – 1969) machte den Arbeiter zum Mitarbeiter.

Das folgende Selbst ist der Arbeitertypus des NS-Kriegsfordismus und an diese Gesellschaftsordnung gebunden. Im kapitalistischen Normalvollzug der Nachkriegszeit konnte an diese Tendenzen angeschlossen werden, aber der Wegfall des Führers musste kompensiert werden.

Statt Führer und Gefolgschaft hieß es ab jetzt Vorgesetzter und Mitarbeiter. Erforderlich wurde eine modifizierte Subjektform des deutschen Arbeiters, die Lelle das "führende Selbst" nennt.

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