Arbeitsmarkt: Sorgen über Langzeitarbeitslose und Jugendliche
Zwar gibt sich BA-Chef Scheele noch immer überzeugt von einem "robusten Arbeitsmarkt", aber auch er sorgt sich wegen krisenhafter Entwicklungen durch die Corona-Pandemie
Beruhigung ist wichtig in Zeiten, in denen sich Existenzängste breitmachen. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes war in den letzten Jahren auf den Umfrage-Ranglisten der Befürchtungen und Sorgen nach unten gerückt. Mit der Corona-Krise dürfte sich das verändern. Die guten Zeiten sind vorbei, so der vielgehörte Abgesang.
Bislang, so der Eindruck, treffen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise die Festangestellten mit weniger Wucht als die Selbstständigen und die Beschäftigten ohne Absicherung. Doch wird die Sorge um den Arbeitsplatz in Gesprächen spürbarer. Hier spielen nicht nur die Corona-Maßnahmen mithinein, sondern auch die Umgestaltung der Arbeitsmärkte, die sich schon vor der Corona-Epidemie abzeichnete, und die aber nun durch die Auswirkungen der Krise eine andere Schärfe und Dringlichkeit bekommt.
Die monatliche Bilanz des Statistischen Bundesamtes (Destatis) zur Erwerbstätigkeit ist da nur ein Augenblicksbild, das den subjektiven Eindrücken und Stimmungsbildern mit Zahlen begegnet. Ähnliches gilt auch für die Zahlen der Bundesagentur der Arbeit. Deren Chef bleibt aufgrund der neuen Zahlen seiner Behörde bei einer beruhigenden Lageeinschätzung: Alles in allem zeige sich der Arbeitsmarkt weiter in einer robusten Verfassung, so Detlev Scheele.
Die Lage habe sich seit Pandemiebeginn nicht weiter verschlechtert, "sondern eher etwas gebessert", hatte Scheele zuvor in einem Interview mit der FAZ zur Lage des Arbeitsmarkts im Lockdown erklärt. Auch wenn die Kurzarbeit in dieser Phase jetzt wieder etwas zunehme, sei die augenblickliche Situation nicht annähernd mit der im April 2020 vergleichbar.
44,6 Millionen Personen mit Wohnort in Deutschland (Inländerkonzept) waren im Dezember 2020 erwerbstätig, meldet das Statistische Bundesamt heute. Saisonbereinigt bleibe die Zahl der Erwerbstätigen im Dezember 2020 nahezu unverändert. Nicht saisonbereinigt sei die Zahl der Erwerbstätigen im Dezember 2020 gegenüber dem Vormonat "wie saisonal üblich" gesunken. Um 148 000 Personen (-0,3 %).
Im Vergleich mit dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre ist dies aber ein stärkerer Rückgang gegenüber dem Vormonat als zuvor, wird notiert. Als Vergleichsgröße wird hier der Rückgang von 127.000 Personen herangezogen.
Unterschied zur Zeit vor der Corona-Krise
Die Veränderung gegenüber dem Vorjahr wird auch noch durch eine andere Zahl bestätigt: "Gegenüber dem Dezember 2019 nahm die Zahl der Erwerbstätigen deutlich um 1,6 % ab (-731 000 Personen)." Hier wird ein Trend angedeutet. "Der Rückgang der Erwerbstätigenzahl im Vorjahresvergleich setzte sich damit unvermindert fort: Die Veränderungsrate gegenüber dem Vorjahreszeitraum hatte von Mai bis Oktober 2020 bei -1,4 % beziehungsweise -1,5 % und im November ebenfalls bei -1,6 % gelegen."
Bei der Erwerbslosenzahl zeigt sich ein deutlicher Unterschied zur Zeit vor der Corona-Krise:
Nach Schätzungen auf Basis der Arbeitskräfteerhebung lag die Zahl der Erwerbslosen im Dezember 2020 bei 1,95 Millionen Personen. Das waren 0,5 % mehr als im November 2020. Im Vergleich zum Dezember 2019 stieg die Zahl der Erwerbslosen um 562 000 Personen (+40,3 %). Die Erwerbslosenquote lag im Dezember 2020 unverändert gegenüber dem Vormonat bei 4,4 %.
Destatis, 29. Januar 2021
Zu beachten sei im Gesamtbild der Beschäftigungssituation allerdings die Kurzarbeit, wie die Statistiker betonen. Die Kurzarbeit spielt als Instrument zur Krisendämpfung eine wichtige Rolle, zugleich macht sie Konturen unschärfer, da Kurzarbeiter "nach den Konzepten der Erwerbstätigenrechnung und der Arbeitskräfteerhebung als Erwerbstätige und nicht als Erwerbslose zählen" (Destatis). Sie sind aber dennoch in einer unsicheren Lage.
Nach vorläufig hochgerechneten Daten wurde im November für 2,26 Millionen Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld ausgezahlt worden, berichtet die Tagessschau heute. Sie stützt sich auf die aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit.
Nach dem bisherigen Höchststand im April mit knapp sechs Millionen Beziehern hatte die Kurzarbeit sukzessive abgenommen, seit November gibt es wieder einen Anstieg. Vom 1. bis zum 25. Januar sei für 745.000 Beschäftigte neu Kurzarbeit angezeigt worden.
Tagesschau
Die Zahl der der Arbeitslosen in Deutschland ist demnach im Januar um 193.000 auf 2,901 Millionen gestiegen. Im Vergleich zum Januar 2020 sind damit 475.000 Menschen mehr ohne Job. Die Arbeitslosenquote stieg im Vergleich zum Dezember um 0,4 Prozentpunkte auf 6,3 Prozent.
Langzeitarbeitslosigkeit, Niedriglohnjobs und Ausbildung
Äußerungen der vergangenen Woche hatten auf zwei größere Problemfelder aufmerksam gemacht: die Langzeitarbeitslosigkeit und die Ausbildung. So wurde berichtet, dass die Zahl der Personen, die ein Jahr oder länger ohne Arbeitsstelle waren, auf 930.000 angewachsen ist, und damit einen Höchststand erreicht hat (der letzte sei im Dezember 2016 verzeichnet worden). Verglichen mit Dezember 2019 sei dies eine Zunahme um gut 230.000 Personen.
Diejenigen, die schon vor der Corona-Krise arbeitslos waren, treffe es nun besonders, so Detlev Scheele im oben erwähnten Interview.
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen war vor der Pandemie auf unter 700 000 gesunken, inzwischen ist sie wieder auf über 900 000 gestiegen. Wer zuvor schon arbeitslos war oder eher wenig qualifiziert ist, trägt auf dem Arbeitsmarkt das höchste Risiko in dieser Pandemie. Und Strukturveränderungen - Stichworte: technologischer Wandel und Transformation - kommen nun hinzu. Ich befürchte, dass wir es erstmals seit den Arbeitsmarktreformen der 2000er Jahre wieder mit steigender Sockelarbeitslosigkeit zu tun bekommen.
Detlev Scheele
Die Pandemie beschleunige die Transformation, so der Chef der Arbeitsagentur. Ein Boom sei vorbei. Scheele bezieht sich dabei besonders auf den Niedriglohnsektor, auf "Arbeitsplätze für Un- und Angelernte". Die habe es vor der Corona-Krise in größerer Menge gegeben, was den vielen Arbeitssuchenden den Einstieg erleichtert habe, "zum Beispiel auch Geflüchteten". Diese Bedingungen, prophezeit Scheele, "werden aber wahrscheinlich nicht zurückkehren".
Geht es um die Ausbildung der Jüngeren, so klingt Scheele weniger beruhigend als bei seiner eingangs zitierten Äußerung zum robusten Arbeitsmarkt. Die Jugendlichen zwischen Ausbildung und erster Anstellung seien in den ersten drei Monaten der Pandemie "tatsächlich die Hauptleidtragenden" gewesen. Deren Arbeitslosigkeit habe sich zwischenzeitlich um weit über 30 Prozent erhöht. Aktuell seien es noch etwa 20 Prozent mehr.
Zwar glaube er, dass Jugendliche, die eine Ausbildung absolviert haben, schnell Arbeit finden werden, wenn es wieder aufwärtsgehe, aber: "Das größte Risiko, das wir bei jungen Leuten zurzeit sehen, ist der nächste Ausbildungsjahrgang." Hier mache er sich mehr Sorgen als vor der Corona-Krise. Im letzten Jahr hatten viele Jugendliche ihren Ausbildungsplatz schon im März, dieses Jahr sei es anders.
Dieses Mal starten wir mitten im Lockdown und können nicht zur Berufsberatung in die Schulen. Viele Unternehmen stecken zudem noch mitten in der Krise. Wir merken daher schon jetzt, dass die Arbeitgeber uns deutlich weniger Ausbildungsplätze melden. Zugleich gibt es viel weniger Bewerber, und auch mit Praktika halten sich die Unternehmen zurück. Das macht mir Sorgen. Wenn sich daran bis März, April nichts ändert, wird es sehr schwer.
Detlev Scheele