Ashraf Ghani: Parallelwelt eines Technokraten
Afghanistan: Superlative des "failed state"? Teil 3
Teil 1: Afghanistan: Superlative des "failed state"?
Teil 2: Afghanistan: Separatismus und Warlordismus
Die Überraschung war groß, als Hanif Atmar - der Sicherheitsberater der afghanischen Regierung - Ende August plötzlich seinen Posten räumte und zurücktrat. Atmar gehörte zu den wichtigsten Figuren der Regierung der Nationalen Einheit in Kabul.
Der ehemalige Kommunist, der aufgrund seines Studiums in London in der internationalen Presse stets mit einem unverkennbaren britischen Akzent auffiel, galt als Technokrat und Stratege der ersten Stunde. In vielerlei Hinsicht war er das Rückgrat einer ohnehin schon instabilen Regierung. Doch dieses Rückgrat ist seither weg - und die Gründe hierfür sind auch Wochen danach kaum bekannt.
Es ist alllerdings auffallend, dass auch Atmar sich letztendlich immer schwerer tat, mit Präsident Ashraf Ghani eine gemeinsame Linie zu finden. Der Präsident gilt nämlich als cholerisch, stur und egozentrisch. Seit seiner Machtübernahme im Jahr 2014 hat er immer mehr Personen in seinem Umfeld entfremdet. Es scheint ganz so, als sei dies auch mit seinem Sicherheitsberater geschehen.
Personalwechsel als Symptom
Umso bezeichnender ist die Auswahl jener Person, die Atmars Posten übernommen hat, Hamdullah Mohib. Bis vor Kurzem war der 35-Jährige noch afghanischer Botschafter in Washington. Bereits diesen wichtigen Posten erhielt Mohib weniger aufgrund seiner Erfahrungen, sondern vielmehr aufgrund seiner Nähe zu Ghani. Während der Wahlkampagne im Jahr 2014 führte Mohib das Social-Media-Team des jetzigen Präsidenten.
Einige Journalisten haben ihn teils verärgert in Erinnerung, was vor allem damit zu tun hat, dass Mohib regelmäßig Journalisten verbal angriff oder diese gar bei ihren Arbeitgebern anzuschwärzen versuchte. Mit Diplomatie - vor allem in der "Hauptstadt des Imperiums" - hatte der studierte Informatiker nichts am Hut. Ähnlich verhält es sich mit seiner neuen Arbeitsstelle.
Ob der junge Politiker überhaupt weiß, wie Drohnen-Angriffe, geheime Spezialoperationen der US-Kräfte oder des afghanischen Geheimdienstes NDS ablaufen, ist unklar. Überhaupt betrachten es viele als ein Affront, dass so jemand ein Schwergewicht wie Atmar ersetzen soll.
Der Personalwechsel im afghanischen Regierungspalast ist allerdings nur das neueste Symptom der jener Probleme, die seit der Amtsübernahme Ashraf Ghanis im Jahr 2014 bestehen. In mancherlei Hinsicht hat man den Eindruck, dass der aktuelle afghanische Präsident sein Amt ernster nimmt als sein Vorgänger Hamid Karzai, der die Korruption im Land förderte wie kein anderer und zeitgleich mächtige Warlords und Drogenbarone an die Macht brachte.
Ghani ist der Co-Autor des Werkes "Fixing Failed States"
Trotz Turban und traditioneller Kleidung ist Ghani nämlich vor allem eines: ein westlicher Technokrat. Seine Biografie macht dies mehr als deutlich. Der ehemalige Weltbank-Mitarbeiter, Ex-Universitätsprofessor und Co-Autor des Werkes "Fixing Failed States" scheint klare Vorstellungen zu haben, wie er den afghanischen Staat transformieren möchte.
Er betrachtet sich als politischen Realisten, der auf regionale Staaten wie Indien und China aber vor allem auf Washington angewiesen ist, um diese Transformation erfolgreich durchzuführen.
Dieser vermeintliche Realismus scheint allerdings - wie so oft in der Geschichte - in Afghanistan zu scheitern. Teil der Realität sind nämlich auch andere Verhältnisse, etwa dass Ghanis Regierung morgen fallen würde, wenn es ebenjene US-amerikanische Unterstützung nicht geben würde. Nicht nur die Taliban, sondern auch andere politische Akteure würden sich in einem solchen Fall sofort breitmachen.
Ein Beispiel hierfür sind etwa all jene Kriegsfürsten der ehemaligen Nordallianz, die in der Karzai-Ära an die Macht kamen und von Ghani in den letzten Monaten entmachtet wurden. Diese wiederum dürften sich auch nur in Grenzen an die Macht halten können, wenn man die jüngsten Erfolge der Taliban in Betracht zieht.
Weg vom Alltag der Menschen
Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass die Aufständischen so stark sind wie schon lange nicht mehr und zahlreiche Landesteile kontrollieren. Den afghanischen Staat, der in seiner Gesamtheit von Kabul ausgehend regiert wird, gibt es schon lange nicht mehr - und die Frage, ob es ihn jemals wieder geben wird, steht weiterhin im Raum.
Hanif Atmars Rücktritt hat gewiss mit der Tatsache zu tun, dass der afghanische Präsident kein wirklicher Realist ist, sondern viel mehr in seiner eigenen Realität lebt. Viele Afghanen sind mittlerweile der Meinung, dass Ghani im Präsidentenpalast in einer Parallelwelt lebt, die mit dem Alltag der Menschen nichts mehr zu tun hat. Dies bemerkt auch Ghanis politisches Umfeld, sprich, seine Mitarbeiter, Berater und Minister.
Der Präsident will keine Experten um sich haben, sondern Ja-Sager. Immerhin betrachtet er sich selbst, der täglich stundenlang mit der Lektüre von Medienberichten und akademischen Artikeln beschäftigt ist, als Experte auf so ziemlich Gebieten, die von Relevanz sind. Ghani ist ein Intellektueller, das steht außer Frage. Doch dass diese in vielen Fällen lieber nicht regieren sollten, darauf wiesen in der Vergangenheit bereits andere Intellektuelle vorsichtig hin.
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