Asyl ade

Der Hamburger Innensenator Udo Nagel will Tausende Flüchtlinge in das Kriegsland Afghanistan abschieben lassen

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Während Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai über eine militärische Großoffensive verhandelt, rüstet der Hamburger Senat zu einer anderen Großoffensive: Ab Anfang Mai 2005 sollen mehrere Tausend Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben werden. Die Durchführung dieser Maßnahme wäre der Probelauf für eine hemmungslose Abschiebepolitik.

Verteidigungsminister Struck auf Besuch in Kabul. Bild: Bundeswehr

In der vergangenen Woche wurden in den Medien Bilder von Karsai und Struck gezeigt, wie sie einträchtig beieinander sitzen und nett miteinander plaudern. Doch der Schein trügt, statt Smalltalk stand Kriegsplanung auf der Tagesordnung. Mehr als drei Jahre nach dem offiziellen Ende des NATO-Krieges kann von Frieden am Hindukusch keine Rede sein. Über die Hälfte der Provinzen - vor allem im Norden des Landes - werden von den Warlords beherrscht und gelten als Gebiete mit hohem Sicherheitsrisiko.

Strucks Patentrezept, um der Lage endlich Herr zu werden.: Die Aufstockung des Kontingents der Bundeswehr um 2.500 Mann, von jetzt etwa 2.000 auf künftig ca. 4.500 Soldaten. Die deutschen Truppen sollten im Norden für Sicherheit sorgen, heißt es nüchtern in den Verlautbarungen der Bundesregierung. Im Klartext bedeutet das eine militärische Großoffensive, denn 4.500 Soldaten im Einsatz gegen schwer bewaffnete einheimische Gotteskämpfer ist nichts anderes als Krieg.

Ungefähr zur gleichen Zeit wie Struck bereiste auch der Hamburger Innensenator Udo Nagel (parteilos) Afghanistan. Er wollte sich persönlich vor Ort ein Bild davon machen, inwiefern die Sicherheitslage Massenabschiebungen afghanischer Flüchtlinge zulässt. Zum allgemeinen Erstaunen kam Nagel zu dem Ergebnis, dass mit den Zwangsrückführungen Anfang Mai 2005 begonnen werden kann.

In Hamburg, der größten afghanischen Gemeinde Europas, leben etwa 18.000 Afghaninnen und Afghanen, von denen laut Pressemitteilung des Senats "rund 11.000 staatliche Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder Bundessozialhilfegesetz beziehen" (Stand September 2003). Eine Menge ungebetener Gäste, die "unseren Wohlstand verfrühstücken", wie der ehemalige Innensenator Ronald Barnabas Schill in einer Rede auf dem Hamburger Landesparteitag der Partei der Rechtsstaatlichen Offensive (PRO) zum Thema Flüchtlingspolitik formulierte.

Schon Schill drängte seinerzeit auf eine rasche Entscheidung der Innenministerkonferenz (IMK) zum Thema Afghanistan. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) schlug im Sommer 2003 vor, anerkannten Asylbewerberinnen und -bewerbern aus Afghanistan und dem Irak ihre Asylberechtigung wieder abzuerkennen und sie abzuschieben, da sich die politische Lage in ihren Herkunftsländern positiv verändert habe. Das wurde bisher zwar nicht umgesetzt, im Zuwanderungsbegrenzungsgesetz, das am 1.1.2005 in Kraft trat, ist indes u.a. eine Einzelfallprüfung für alle anerkannten Asylsuchenden nach drei Jahren festgeschrieben. Sollte sich in der Zwischenzeit die politische Lage in ihren Herkunftsländern "positiv verändert" haben, ist laut dem Regelwerk das Asyl zu widerrufen.

Aufgrund der bedrohlichen Lage in Afghanistan und dem eindeutigen "Nein" der ISAF wurde eine endgültige Entscheidung der Innenminister von Konferenz zu Konferenz vertagt (im Übrigen auch in Bezug auf den Irak). Ende 2003 wurde Schill wegen seines verbalen Ausfalls Bürgermeister Ole von Beust (CDU) gegenüber aus dem Amt entlassen. Sein Nachfolger Dirk Nockemann (Schill-Partei) kündigte zu Beginn seiner Amtszeit vollmundig einen Hamburger Alleingang an. Die Hansestadt sieht in Bezug auf Afghanistan einen höheren Handlungsbedarf als andere Bundesländer, in denen es wenig oder gar keine afghanischen Flüchtlinge gibt. Doch Nockemann konnte zunächst aufgrund von Protesten und Drucks der afghanischen Regierung gebremst werden.

Also ließ der Senat sich etwas anderes einfallen: eine finanzielle Unterstützung für die freiwillige Rückkehr nach Afghanistan. 100.000 Euro wurden im Hamburger Haushalt für dieses Programm zur Verfügung gestellt - angeblich nicht nur zum Besten der Flüchtlinge, sondern auch zum Nutzen des Staatssäckels: "Derzeit kostet ein mittelloser Asylbewerber Hamburg monatlich mindestens ca. 550 Euro, so daß sich die Rückkehrhilfen von maximal 1.000 Euro pro Person bereits nach drei Monaten wieder rentieren. Außerdem erspart die freiwillige Rückkehr eine mögliche spätere langwierige und kostenintensive zwangsweise Rückführung", erläuterte Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) in einer Pressemitteilung. Das Programm fruchtete jedoch nicht so recht, schließlich sind 1.000 Euro kein wirklicher Anreiz für ein Leben in purer Armut in einem Land, in dem schon lange kein Stein mehr auf dem anderen steht und in dem nach wie vor Krieg herrscht. Der geplante Militäreinsatz der Bundeswehr wird diesen Zustand noch verstärken.

Präzedenzfall für Zwangsrückführungen

Auf Druck von Hamburg segnete die IMK inzwischen die Abschiebung von so genannten Straftätern ab, Nockemanns Nachfolger Nagel macht davon rigoros Gebrauch. Ab Anfang Mai 2005 will er im großen Stil in das Land abschieben lassen. Zunächst sind alleinstehende Männer zwischen 16 und 80 Jahren an der Reihe - Väter, Frauen und Kinder haben vorerst eine Galgenfrist, von der indes niemand weiß, wie lange sie andauern wird.

Die Durchführung der geplanten Massenabschiebung würde einen Präzedenzfall für Zwangsrückführungen ohne jede Hemmschwelle schaffen: Künftig wäre es möglich, einen Krieg gegen ein Land zu führen und die von dort geflohenen Menschen noch während der Dauer des Krieges wieder zurückzuschieben. So fern sie nicht vorher schon in Schilys Wüstencamps verschwinden, den vom Innenminister geplanten "heimatnahen Auffanglagern" für Flüchtlinge, die er in Afrika und Asien errichten lassen will. Aber das wäre ein anderes Thema. Das von den Vereinten Nationen garantierte Recht auf Schutz vor Verfolgung wird durch die hierzulande geltenden Gesetze und geplanten Maßnahmen zur Farce, das Asylrecht zum Vabanquespiel und die Chance auf Bleiberecht letztendlich geringer als die Aussicht auf sechs Richtige im Lotto.

Gegen die geplanten Zwangsrückführungen regt sich seit Herbst 2003 breiter Widerstand. Eigentlich sind alle dagegen: die Betroffenen, Flüchtlingsorganisationen, Menschenrechtsgruppen, die Kirche, die Opposition in der Hamburger Bürgerschaft und die IMK. Die afghanische Regierung bittet seit langem inständig, vorerst von dem Flüchtlingstransfer abzusehen. Als "große Katastrophe nicht nur für Afghanistan, sondern für die gesamt Menschheit", bezeichnete die stellvertretende Frauenministerin Soraya Rahim auf einer Veranstaltung des Flüchtlingsrat Hamburg im November 2003 die geplanten Massenabschiebungen. Das Land könne auf keinen Fall noch mehr Menschen gebrauchen, denen eine Existenz in bitterer Armut und bar jeder Perspektive - noch dazu an einem nicht selbst gewählten Ort - aufgezwungen würde, so Rahim.

Daran hat sich offenbar nichts geändert, denn jetzt schaltete sich auch der afghanische Minister für Flüchtlingsfragen, Azam Dadfar, in die Debatte ein und bezeichnete Nagels Vorhaben als "zu dieser Zeit kontraproduktiv". Doch der Hamburger Innensenator bleibt hart - und er hat letztendlich die Entscheidungsgewalt. Er ließ die Meldung von seinem Pressesprecher Reinhard Fallak dementieren. Dafdar habe sich lediglich dagegen ausgesprochen, alle Flüchtlinge auf einmal aufzunehmen, so Fallak. Deshalb werde in den nächsten Tagen wie geplant mit der Maßnahme begonnen.