Athen: Von anarchistischen Luftlandetruppen und anderen Surrealitäten

Seite 2: Athen wie üblich im Tränengas

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Die Beamten setzten massiv Tränengas ein. Erstmals seit Jahrzehnten kamen zudem gepanzerte Wasserwerfer in Einsatz. Fast schon traditionell mutet an, dass es zu den üblichen Ausschreitungen im Athener Stadtviertel Exarchia kam. Doch diesmal war erneut eine Verschärfung der Sicherheitspolitik zu spüren. Anders als in den Jahren zuvor gab es noch mehr vorläufige Festnahmen, knapp 300 waren es heuer. Vieler dieser Aufgriffe finden ohne Vorliegen des Verdachts einer tatsächlichen Straftat statt.

Hilfreich für die Polizei sind dabei mehrere extra geschaffene Paragraphen. Wer bei einer Demo sein Gesicht verhüllt oder eine Kapuze auf dem Kopf hat oder aber eine Schimaske im Gepäck mit sich führt und dabei irgend eine Ordnungswidrigkeit begeht, verübt nach dem "Kapuzenparagraphen" eine schwere Straftat. Dabei ist es unerheblich, ob es so sehr regnet, dass es aus Kübeln gießt, oder ob Tränengasschwaden das Atmen unmöglich machen.

Ebenso ungeschickt ist es, die falschen Menschen zu fotografieren. Wer eine der zivilen Einsatztruppen ins Visier nimmt, verstößt gegen einen Gummiparagraphen, welcher die "Ausspähung von Polizeiaktionen" unter Strafe stellt. Was eine einfache Beobachtung ist und was bereits zum Ausspähen zählt, bestimmt der jeweilige Polizist. Nicht jedem Passanten ist bewusst, wie Anarchisten von Zivilbeamten unterschieden werden können.

Solche Tipps werden in einschlägigen Internetpräsenzen immer wieder verbreitet. Kaum ein argloser Bürger liest sie. Offensichtlich tappen deshalb immer wieder unbeteiligte, friedliebende Menschen in die Falle.

In der Regel haben die Anarchisten dunkle, bequeme Kleidung, eine Mütze und einen Rucksack. Gleiches gilt für die verdeckt operierenden Polizisten, die im Ruf stehen, selbst Randale anzuzetteln. Bei den Polizisten fällt jedoch auf, dass sie penibel gewaschen sind, die eventuell vorhandenen Bärte, auch wenn sie wild erscheinen, doch irgendwie frisiert sind und dass die gesamte Kleidung zumindest zu Beginn der Demo perfekt gereinigt und gebügelt ist. Wer nun solch eine Person fotografiert, wird bei Entdeckung eingekreist, wüst beschimpft und gestoßen. Die übliche Reaktion eines normalen Menschen ist, dass er sich verbal oder physisch wehrt. "Widerstand gegen die Überprüfung der Personalien" heißt die geringste mögliche Anschuldigung dann.

Bislang musste ein Bürger den Beamten einen Anlass liefern, damit er in ihre Fänge kam. Die Beamten solcher Einheiten sind ohne die Präsenz eines Staatsanwalts nicht befugt, Hausdurchsuchungen vorzunehmen. Genau das wird sehr schnell anders werden.

Denn während die beiden teuer aus Israel importierten Wasserwerfer nach imposanten Anfangserfolgen am Omonia Platz in den engen Gassen von Exarchia schnell an ihre physikalischen Grenzen stießen, flogen den Beamten und anderen durch die Straßen ziehenden Zeitgenossen von oben Molotow-Cocktails um die Ohren.

Bild: W. Aswestopoulos

Einige vermummte Gestalten hüpften auf den Dächern des Viertels herum. Sie wurden von den Wärmekameras der Polizeihubschrauber erfasst. In den Fernsehnachrichten wurden diese unidentifizierten Truppen dann allen Ernstes "Luftlandetruppen der Anarchisten" getauft. In dem Zusammenhang fiel es zudem weniger auf, dass auch Trupps der speziellen Verbrechensbekämpfungseinheit OPKE im Einsatz waren. Anders als die normale Polizei kann diese, seit dem vergangenen Januar noch einmal aufgewertete Einheit überall und jederzeit eingreifen, wenn sie "Gefahr in Verzug" sieht. Für eine Hausstürmung reicht dann die Begründung der "Bekämpfung der Luftlandetruppen".

Bereits jetzt ging im allgemeinen Trubel um die Luftlandetruppen unter, dass zahlreiche Hauseingänge in Exarchia am Sonntagmorgen blutüberströmt waren. Kaum jemand im übrigen Athen nahm Notiz davon, dass um das Hauptgebäude der Technischen Hochschule in Exarchia eine atypische nächtliche Ausgangssperre verhängt wurde. Das Gebäude ist von Sympathisanten Romanos besetzt. Auf den Straßen davor kontrollieren Beamte Passanten und verbieten je nach Gusto das Weitergehen. Es gibt nun Diskussionen, wie der Staat gegen die Gefahr der aus der Luft operierenden vorgeblichen oder realen Anarchisten vorgehen soll.

Bild: W. Aswestopoulos

Die angesprochenen Hauserstürmungen hat es in der Vergangenheit bereits gegeben. Telepolis ist ein Fall bekannt, bei dem eine alte Dame verletzt wurde. Beamte hatten im Dezember 2008 das Gebäude nahe der Technischen Hochschule gestürmt und die Tür zur Wohnung so eingetreten, dass die dahinter befindliche Frau schwer verletzt wurde. Auch heute noch kämpft ihr Sohn um eine Entschädigung.

Griechenland radikalisiert sich!

Beide Seiten, sowohl der immer strengere Staat als auch die immer vehementer protestierenden Demonstranten, fühlen sich im Recht. Tatsächlich aber haben sich die Sitten im Land verroht. Es läuft immer weiter auf eine Eskalation hinaus. Und weil Griechenland ein kleines Land ist, in dem fast jeder jeden kennt, lassen sich solche Entwicklungen leicht an einzelnen Personen manifestieren.

Der 2005 verstorbene Großvater Romanos, Athanassios Nasioutzik, war ein verurteilter Mörder. Die ihn in die Haft überführenden Beamten hatten Mitleid mit ihm. Niko Romanos Mutter Paulina, selbst auch Schriftstellerin, erinnert sich, dass die Beamten ihr und dem Vater das Leben leicht machten. Sie hielten mehrfach in Tavernen zum Essen an und ließen Vater und Tochter auf Ehrenwort allein. 1995 kam Nasioutzik, der seine Straftat mit mehr als neunzig Hammerschlägen gegen den Kopf des Mordopfers am 24.9.1984 beging, nach Verbüßung von 2/5 der Haft auf freien Fuß.