Atom-Frankreich: Dann waren nur 28 Reaktoren am Netz
Wegen der Korrosionsprobleme müssen immer neue Atomkraftwerke abgeschaltet werden, die Kapazität ist mit 28 Gigawatt nun so niedrig wie nie zuvor
Es wird immer enger bei der Stromversorgung im Atomstromland Frankreich, das sich mit seinem überalterten Atompark tief in eine Sackgasse manövriert hat. Wie Telepolis berichtet hat, sehen auch Experten weltweit eine "Katastrophe" in Frankreich auf die Tagesordnung rücken.
Es könnte schon in diesem Herbst zum Blackout im Nachbarland kommen, der auch erhebliche Auswirkungen auf das europäische Stromnetz haben dürfte. Ohnehin war es Anfang des Monats fast wieder soweit, als die Franzosen – wieder einmal – zum Stromsparen aufgefordert waren, damit das Netz nicht kollabiert. Es war etwas kälter geworden.
Es ist klar, dass die Korrosionsprobleme in den Atommeilern immer größere Kreise ziehen. Lieferte der Atompark Anfang des Monats ohnehin nur noch eher lächerliche 32 Gigawatt, ist die Leistung nach Abschaltung weiterer Meiler nun sogar auf 28 Gigawatt gesunken und damit "so schwach wie nie zuvor", berichtet France info.
Von insgesamt 56 Atommeilern sind derzeit mit 28 gerade noch die Hälfte am Netz. Der Sender fragt: "Wird das Phänomen der sogenannten Spannungsrisskorrosion den französischen Atompark ins Wanken bringen?"
Dabei entstehen Risse im Sicherheitssystem des Primärkreislaufs um den Reaktorkern. Brisant dabei ist, dass die neueren Reaktoren bisher besonders betroffen zu sein scheinen, worauf der Atom-Experte Mycle Schneider im n-tv-Interview gerade hingewiesen hat.
Dezember 2021 wurden bei den vier neuesten und größten Atomkraftwerken Risse in den Not-Einspeisesysteme gefunden. Das ist ein elementares Sicherheitssystem und springt ein, wenn es ein Leck im primären Kühlsystem gibt.
Mycle Schneider
Deshalb seien diese Reaktoren sofort abgeschaltet worden, womit eine "ein Zehntel der installierten Kapazität" auf einen Schlag ausgefallen ist. Seither kommen immer neue Reaktoren hinzu. Alle Reaktoren wiesen die gleichen Probleme auf.
Jetzt geht es darum, die Risse in Schweißnähten zu untersuchen, die bei Ultraschallkontrollen aufgetaucht sind. Dafür müssen die Schweißnähte im Labor aufgeschnitten werden. Das ist eine zeitaufwendige Sache, bei denen die betroffenen Reaktoren natürlich abgeschaltet sein müssen. Schon jetzt sind allein mindestens elf Meiler betroffen, darunter die mit besonderer Leistung.
Man darf davon ausgehen, was auch der Betreiber EDF tut, dass weitere Risse in den Überprüfungen in anderen Atomkraftwerken gefunden werden. Schon jetzt liegt die Atomkraftkapazität unter 50 Prozent und Abhilfe ist bei den Atomfreunden natürlich nicht in Sicht, die derzeit am europäischen Strom-Topf hängen.
Einen Spitzenverbrauch von 102 Gigawatt wie vor zehn Jahren kann das Land keinesfalls auffangen, zumal der Verbrauch steigt. Fast ein Fünftel aller neu verkauften Autos in Frankreich waren 2021 schon E-Autos.
Wahnsinniges Glück
Frankreich hatte in diesem Winter wahnsinniges Glück, dass der sehr mild war und eine kältere Periode erst zum Frühlingsanfang kam, als mit erneuerbarem Strom ein Teil der Ausfälle kompensiert werden konnte, da zudem ein guter Wind wehte. Das sollte dem Land eine Lehre sein, schnell auf erneuerbare Quellen umzusteigen, statt zum wiederholten Male die Renaissance der Atomkraft zu beschwören, die seit fast 20 Jahren in Flamanville vor die Wand fährt.
Die Laufzeiten der uralten Atommeiler nun auf bis zu 60 Jahre zu erhöhen, ist keine Lösung für eine Stromknappheit, die ständig größer wird. Die Versprödung des Materials und die Rissbildung gehen weiter und werden zu immer neuen Ausfällen führen, womit die Neigung zunehmen dürfte, wie in Fessenheim lange Zeit auch gefährliche Meiler am Netz zu lassen oder wieder ans Netz zu lassen, obwohl Bauteile nicht den Sicherheitsanforderungen entsprachen.
Die Stromknappheit kann auch nicht mit der angekündigten Inbetriebnahme schon abgeschalteter Kohlekraftwerke abgefangen werden, die ohnehin nur zwei Prozent zur Stromerzeugung beigetragen hatten.
Auch die Ankündigung von immer neuen Atomkraft-Neubauten von Präsident Macron hilft nichts, da die frühestens in zehn bis 15 Jahren ans Netz gehen könnten. Natürlich kommt das Frankreich-Problem zur Unzeit für Europa, da auch russisches Gas zur Stromerzeugung immer mehr auf der Kippe steht.