Atomare US-Alleingänge und die Debatte um die Nukleare Teilhabe

Seite 3: Teilhabe an der atomaren Kriegsführung

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Von der US-Wende zur atomaren Kriegführung bleibt auch die Nukleare Teilhabe alles andere als unberührt - denn mit der aktuellen "Modernisierung" (sprich: "Aufrüstung") der in Europa lagernden Atombomben fügen diese sich "perfekt" in die US-Kriegführungsambitionen ein. Kürzlich berichtete die Deutsche Welle:

[D]ie Modernisierung der US-Atombomben vom Typ B61-3 und B61-4 [steht] an, die gut 30 Jahre alt und am Ende ihrer Lebensspanne angelangt sind. Sie sollen durch die brandneue B61-12 ersetzt werden, die lenkbar ist und Ziele dadurch viel genauer treffen kann. Nach Ansicht von Atomwaffen-Experte [Hans] Kristensen ist das 'ein bedeutender militärischer Vorteil'. Geschätzte zehn Milliarden Dollar geben die USA für das gesamte Modernisierungsprogramm aus. ‚Es gibt Berechnungen, nach denen es billiger wäre, die Bombe aus massivem Gold zu bauen‘, betont Kristensen. […] Kritiker befürchten nun, dass mit den neuen, präziser einsetzbaren Bomben die Gefahr eines Nuklearangriffs steigen könnte. […] Wann die neuen Atombomben im kleinen deutschen Ort Büchel ankommen, steht noch nicht fest - Experten rechnen damit frühestens ab dem Jahr 2022.

Deutsche Welle

Nun argumentieren die Befürworter der Nuklearen Teilhabe, nur dadurch werde es ermöglicht, den atomaren Einsatzplänen der USA einen Riegel vorschieben zu können - das wirft aber gleich mehrere Fragen auf.

Denn wenn die Mitspracherechte, die Deutschland in der Nuklearen Planungsgruppe anscheinend erhält, so substantiell sind, weshalb wurde dann der "Modernisierung" des Atomwaffenarsenals nicht Einhalt geboten? Entweder, weil sie befürwortet wurde, oder, was wahrscheinlicher ist, weil die tatsächlichen politischen Mitspracherechte gegen Null tendieren, auch wenn stets das Gegenteil versichert wird. So zumindest lautet auch die Einschätzung von Hans Kristensen, einem der renommiertesten Experten auf dem Gebiet: "Sie [die Befürworter der Nuklearen Teilhabe] glauben, das gebe ihnen die Möglichkeit, das Denken der USA über den Einsatz von Atomwaffen zu beeinflussen. Soweit ich das beurteilen kann, ist das eine völlige Fantasie."

Etwas widerwillig musste dies auch Außenamtssprecher Christopher Burger in der Bundespressekonferenz am 4. Mai einräumen, als ihm die Frage gestellt wurde: "Hat Deutschland durch seine Teilhabe ein Vetorecht in der nuklearen Planungsgruppe?" Antwort Burger: "Klar ist, dass wir durch die nukleare Teilhabe in die strategische Diskussion und in Planungsprozesse einbezogen sind."

Doch selbst wenn man der Auffassung ist, die Teilnahme an der Nuklearen Planungsgruppe sei für Deutschland von unverzichtbarem Wert, bedeutet das noch lange nicht, dass deshalb zwingend US-Atomwaffen beherbergt werden müssten. Schließlich steht die NPG allen NATO-Staaten offen, unabhängig davon, ob sie über Atomwaffen verfügen oder ob sie bereit sind, US-Atomwaffen auf ihrem Boden zu stationieren und Trägersysteme zu stellen. Deshalb forderten kürzlich drei Forscher vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik:

Entgegen der landläufigen Meinung hängt die Mitwirkung an der Teilhabe nicht an der Stationierung von US-Atomwaffen. Vielmehr nehmen alle Alliierten (bis auf Frankreich) an der nuklearen Planungsgruppe der Nato teil und das völlig gleichberechtigt. Befürworter müssen also darlegen, welch größerer Einfluss auf die Atomwaffenpolitik der Allianz sich durch die Stationierung der Fallbomben ergibt.

Mit sich daraus ergebenden politischen Mitspracherechten lässt sich die Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland also nicht rechtfertigen. Ein anderes Argument, das von ihren Befürwortern deshalb buchstäblich ins Feld geführt wird, läuft darauf hinaus, sie seien der Schlüssel, um riskante nukleare Alleingänge der USA verhindern zu können.

Atomkrieg im US-Alleingang?

Die im Rahmen der Nuklearen Teilhabe in Europa gelagerten Atombomben waren lange die einzigen taktischen Waffen, über die die USA in Übersee verfügten. Tatsächlich ist ihr Einsatz ohne eine Zustimmung der die Trägersysteme stellenden und die Waffen beherbergenden Länder nur schwer vorstellbar. Dadurch sei, so Befürworter der Nuklearen Teilhabe, sichergestellt, dass die USA keine Alleingänge in Sachen Nuklearwaffeneinsatz auf europäischem Territorium unternehmen könnten.

Dieses Kalkül hat sich mit den jüngsten U-Boot-Atomwaffen der USA allerdings erledigt, wie der Friedensforscher Otfried Nassauer, Leiter des "Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit", kürzlich überzeugend argumentierte. Durch diese neuen Waffen bestünde nun die Möglichkeit, einen Atomwaffeneinsatz auch komplett an den Verbündeten und der Nuklearen Teilhabe vorbei durchzuführen. Für die Teilhabe selbst wie auch für den Ankauf teurer Trägersysteme gäbe es aus diesem Grund kein plausibles Argument mehr, so Nassauer:

Für die NATO und deren System der nuklearen Teilhabe und Konsultationen hat diese Entwicklung wahrscheinlich erhebliche Konsequenzen. Denn die Ausgangslage für europäische Wünsche nach Mitspracherechten beim Einsatz atomarer Waffen in Europa verändert sich grundlegend. […] Die mit der nuklearen Teilhabe verbundene Erwartung der Europäer, man könne ggf. Einfluss nehmen auf einen Ersteinsatz von US-Atomwaffen, dürfte durch die Modernisierung des Nukleararsenals hinfällig werden. Damit wird der geplante Kauf von nuklearfähigen US-Kampfflugzeugen aber zum Selbstbetrug. Er erfüllt seinen eigentlichen Sinn nicht mehr.

Otfried Nassauer

Aufgeregte Debatte

Sowohl Teile der Medien als auch der konservative Koalitionspartner reagierten auf Mützenichs und Walter-Borjans Äußerungen überaus empfindlich. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Henning Otte, etwa warf ihnen "Naivität" vor, die "gefährlich für die Sicherheit Deutschlands" sei.

Man muss allerdings nicht einmal jedem der hier präsentierten Argumente folgen, um einzusehen, dass es zumindest eine Menge berechtigter Bedenken und guter Einwände gegen eine Beibehaltung der Nuklearen Teilhabe gibt. Dass diese Position jedenfalls unverantwortlich und bar jeder Grundlage wäre, wird dem Ernst der Angelegenheit ebenso wenig gerecht, wie das aufgeregte Getue, das interessierte Akteure nun veranstalten.

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