Atomare US-Alleingänge und die Debatte um die Nukleare Teilhabe
Seite 2: Argumente Pro-Contra-Teilhabe
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Innerhalb konservativer Kreise wird die Nukleare Teilhabe bislang kaum ernsthaft infrage gestellt. Falls dies überhaupt der Fall ist, dann von einigen wenigen Vertretern, wie etwa dem emeritierten Politikprofessor Christian Hacke, die stattdessen eine direkte deutsche Atombewaffnung fordern.
Da eine solche Forderung international - vorsichtig formuliert - nur schwer zu vermitteln wäre, findet die Idee, die Nukleare Teilhabe durch eine Europäisierung der französischen Atomwaffen zu ergänzen oder gar überflüssig zu machen, deutlich mehr Befürworter (siehe Atommacht auf Umwegen). Nachdem Frankreich aber mehr als deutlich gemacht hat, dass es nicht im Traum daran denkt, Deutschland über diesen Umweg substanzielle Mitspracherechte an seiner Nuklearpolitik einzuräumen, steht die Nukleare Teilhabe aus diesem Blickwinkel mehr oder weniger alternativlos da.
Lange wurde auch in der SPD allenfalls leise Kritik an der Teilhabe geäußert, allerdings zeigten sich bereits im November 2019 kleine Risse. Auslöser war damals die schon länger köchelnde Debatte um die Nachfolge der alternden Tornado-Kampfflugzeuge, die auch als Trägersysteme für die US-Atomwaffen der Nuklearen Teilhabe fungieren. Der Nachfolger muss von den USA für die US-Atomwaffen zertifiziert werden, wobei Washington unmissverständlich signalisiert hatte, dass es einer rein europäischen Eurofighter-Lösung als Tornado-Nachfolger jede Menge Steine in den Weg legen würde.
Aus diesem Grund bevorzugt das Verteidigungsministerium nun eine Mischlösung, die sowohl eine Anschaffung von zweierlei F-18-Varianten (Boeing) vor allem für die Nukleare Teilhabe und von Eurofightern (Airbus) für sonstige Kampfaufgaben vorsieht. Da dies jede Menge Mehrkosten verursacht und zulasten von Airbus geht, rumorte es nicht zuletzt aus industriepolitischen Erwägungen innerhalb der SPD und zumindest hinter vorgehaltener Hand wurde die Aufrechterhaltung der Nuklearen Teilhabe infrage gestellt.
Das veranlasste im Herbst letzten Jahres unter anderem SPD-Außenminister Heiko Maas sich zwar etwas verklausuliert, im Kern aber dennoch deutlich zur Nuklearen Teilhabe zu bekennen: "Es nützt nichts, wenn Atomwaffen von einem Land in das andere verschoben werden. Wenn sie verschwinden sollen, dann sollen sie überall verschwinden", so Maas. "Wir brauchen, was die atomare Abrüstung angeht, vor allen Dingen Vereinbarungen auf breiter Basis, nicht nur in einzelnen Ländern."
Damit war das Thema augenscheinlich aber nicht vom Tisch, nachdem SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nun Anfang Mai 2020 öffentlichkeitswirksam den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland forderte. Als Begründung gab er an: "Trumps Regierung hat verkündet, dass Atomwaffen nicht mehr nur der Abschreckung dienen, sondern Waffen sind, mit denen man Kriege führen kann. Das Eskalationsrisiko ist damit unüberschaubar geworden." Ihm sprang unmittelbar darauf auch der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans zur Seite: "Ich vertrete eine klare Position gegen Stationierung, Verfügungsgewalt und erst recht gegen den Einsatz von Nuklearwaffen."
Daraufhin erneuerte Maas sein Bekenntnis zur Nuklearen Teilhabe und ließ seinen Außenamtssprecher Christopher Burger auf den Koalitionsvertrag verweisen, um zu verdeutlichen, dass aus seiner Sicht die Teilhabe nicht zur Debatte steht. Besonders erbost zeigte sich auch Parteikollege und SPD-Verteidigungspolitiker Fritz Felgentreu, der Mützenich scharf kritisierte: "Wenn Deutschland sich aus der Abschreckung durch nukleare Teilhabe zurückzieht, dann verlieren wir Einfluss auf die Nuklearstrategie der NATO." Auch der abrüstungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Karl-Heinz Brunner erwiderte, er sei zwar "kein glühender Verfechter der nuklearen Teilhabe", aber sie sei "deutlich besser als keine Teilhabe", denn sie gebe Deutschland "echte Mitsprache". Die letzte Entscheidung über den Einsatz amerikanischer Atomwaffen von deutschem Boden aus liege schließlich "immer beim Bundeskanzler".
Augenscheinlich gehen die Bewertungen hier innerhalb der SPD doch weit auseinander, weshalb es lohnt, die einzelnen Argumente Pro-Contra-Teilhabe noch einmal näher unter die Lupe zu nehmen.
US-Nuklearstrategie: Offensiv
Die erste Frage, die es zu adressieren gilt, lautet, inwieweit die USA ihre nukleare Einsatzschwelle gesenkt haben und welche Rolle in diesem Zusammenhang der Nuklearen Teilhabe zukommt. Dass Atomwaffen in den USA seit eh und je nicht nur als Abschreckungsinstrumente betrachtet werden, sondern immer auch mit ihrem "praktischen" Einsatz als taktische Bomben auf dem Gefechtsfeld zumindest geliebäugelt wurde, ist nicht wirklich neu. Allerdings nahmen derlei Ambitionen sowohl in der offiziellen Strategieplanung als auch in daraus abgeleiteten Rüstungsvorhaben seit Amtsantritt der Trump-Regierung noch einmal deutlich bedrohlichere Gestalt an.
So wurde bereits in der Überprüfung der US-Nuklearstrategie ("Nuclear Posture Review") vom Februar 2018 die Einführung von "Miniatomwaffen" mit einer Sprengkraft unter fünf Kilotonnen angekündigt, weil sie sich aufgrund ihrer "geringen" Explosivkraft "besser" für den Einsatz auf einem taktischen Gefechtsfeld eignen würden.
Im Juni 2019 gelangte dann die eigentlich streng geheime US-Doktrin über den Einsatz von Atomwaffen (Joint Publication 3-72) "versehentlich" ins Netz und konnte nicht rechtzeitig gelöscht werden, sodass hier ein seltener Einblick in die diesbezüglichen Planungen möglich wurde: "Der Einsatz von Atomwaffen könnte Bedingungen für entscheidende Ergebnisse und die Wiederherstellung der strategischen Stabilität schaffen", heißt es in der Doktrin: "Insbesondere wird der Einsatz einer Atomwaffe grundlegend das Ausmaß einer Schlacht verändern und Bedingungen schaffen, die beeinflussen, wie Kommandeure in einem Konflikt siegen werden." (Pentagon: Ersteinsatz von Atomwaffen kann hilfreich sein)
Der Begriff der "Miniatomwaffe" ist hier allerdings ebenso grob irreführend wie Vorstellungen eines begrenzbaren Atomkrieges: Wissenschaftler des "Princeton’s Science and Global Security Lab" errechneten, auch ein "begrenzter" Atomkrieg könne bis zu 90 Millionen Opfer fordern. Insgesamt ist davon auszugehen, dass mit einer "besseren" Einsetzbarkeit auch die Schwelle für einen Ersteinsatz sinkt und die Gefahr eines Atomkrieges dementsprechend steigt.
Weil die USA aber die Auffassung vertreten, je maßgeschneiderter und plausibler sie mit einem Atomkrieg drohen könnten, desto unwahrscheinlicher werde er, wurde dann im Februar 2020 gemeldet, die USS Tennessee sei bereits zum Jahreswechsel als erstes U-Boot mit Miniatomwaffen (bestückt mit modifizierten Sprengköpfen vom Typ W76-2) in See gestochen (POentagon führte demonstrativ Atomkriegssimulation durch.
Nicht nur für Ulrich Kühn vom "Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik" handelt es sich hier um eine alarmierende Entwicklung:
Die konkrete Folge der Stationierung von kleineren Atomsprengköpfen auf US-Atom-U-Booten ist ja letztlich die, dass man hiermit zeigt, dass aus Sicht der Planer im Pentagon ein begrenzter Nuklearkrieg beziehungsweise begrenzte Nuklearschläge auch in Europa möglich sind. Und das ist ein Szenario, das eigentlich die Europäer sehr stark wachrütteln sollte. Kann man überhaupt mitreden, wenn die Amerikaner hier solche Nuklearsprengköpfe einsetzen wollen?
Ulrich Kühn
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