Atomarer Zündstoff

Bei einer großen Koalition könnte es zu einer Laufzeitverlängerung von AKWs kommen, daher noch einmal ein Blick auf die Argumente der Atomlobby

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Die Koalitionsverhandlungen gehen schleppend voran. Da kommt der Streit um die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke gerade richtig, um neben den schwierigen Personalien das ganze Kartenhaus vielleicht noch zum Einsturz zu bringen. Aber auch die Gewerkschaften bringen sich mit ihrer neuesten Verlautbarung in Verlegenheit, weil sie leichtgläubig den Argumenten der Industrie folgen, anstatt eigene Positionen zu vertreten.

Der Ausstieg aus der Atomenergie ist ja ein lange gehegtes und gepflegtes Lieblingskind der Grünen. Das war nicht nur eine ihrer Gründungsideen, sondern ist letztlich auch einer der wenigen vorzeigbaren Erfolge ihrer siebenjährigen Koalition. Sie haben den Ausstieg aus der Kernkraft mit viel Mühe und zähen Verhandlungen mit den Energiekonzernen und ihrem eigenen Koalitionspartner geschafft und dafür im Gegenzug bei vielen anderen Forderungen einer ökologischen Entwicklung klein beigegeben.

Jetzt soll das alles wieder in Frage gestellt werden. Die Union hat ja schon vor Monaten mit der Idee einer Laufzeitverlängerung für die Atomlobby gespielt und sich damit zu ihrem Sprachrohr gemacht. Letzte Woche kam dann noch Unterstützung von den Gewerkschaften. In einer gemeinsamen Erklärung haben die Stromkonzerne mit den Gewerkschaften IGBCE und Verdi für eine Verlängerung der Laufzeiten geworben. Besondere Beachtung hat dabei gefunden, dass auch Verdi-Chef Bsirske seine Unterschrift unter den Aufruf gesetzt hat.

Der Aufruf basiert auf einer passgenau zum Regierungswechsel fertiggestellten Studie des BDI. Darin wird sowohl mit den verringerten CO2-Emissionen als auch zusätzlichen Arbeitsplätzen einer Laufzeitverlängerung geworben, 42.000 sollen es nach Angaben der Industrievertreter sein. Dabei wird allerdings vergessen, dass es jetzt bereits etwa 130.000 Arbeitsplätze im Bereich der Erneuerbaren Energien gibt, die beim weiteren Ausbau der regenerativen Energien auf bis zu einer halben Million ansteigen könnten, also mehr als zehn mal soviel wie beim Szenario der Atomlobby.

Und auch die CO2-Minderung durch Atomenergie ergibt sich ja nur, wenn man der Logik der Stromkonzerne folgt, nach der die regenerativen Energien gar nicht in der Lage sind, unsere Energieversorgung zu sichern. Hier wird einfach angenommen, dass anstelle der abgeschalteten Atommeiler dann eben Gas- und Kohlekraftwerke eingesetzt werden müssen. Dabei sind die erneuerbaren Energien doch zur Genüge vorhanden und die bisherigen Erfolge bei ihrem Einsatz übersteigen bei weitem die Prognosen der Skeptiker, wie Craig Morris sehr schön an anderer Stelle gezeigt hat (Atomkraft wird es auch in Zukunft geben, aber anders als Sie denken).

Das Potenzial der Wasserkraft ist halb so groß wie der Weltenergieverbrauch von 1995. Dafür könnte man 16 Mal mehr Energie durch Biomasse, 80 Mal mehr durch Wellen- und Meeresenergie, 325 Mal mehr durch Windenergie und ganze 16.044 mal mehr durch Sonnenenergie gewinnen, als 1995 verbraucht wurde. Die Zahlen sind theoretische Rechenbeispiele, zeigen aber eindeutig, dass Erneuerbare Energien kein Nischendasein fristen müssen. Quelle: Eurec Agency, entnommen aus Craig Morris: Atomkraft wird es auch in Zukunft geben, aber anders als Sie denken

Märchen der Atomlobby

Auch an dieser Studie des BDI sieht man, wie von der Atomlobby immer wieder einfach mal Äpfel mit Birnen verglichen werden und daraus dann - schön wissenschaftlich verpackt - mundgerechte Häppchen für die Medien und die Politiker herausgerechnet werden. Es ist daher an der Zeit, noch einmal mit einigen Märchen der Atomlobby aufzuräumen:

Atomenergie ist sicher. Wie bei allen technischen Gerätschaften sind auch Kernkraftwerke nicht restlos sicher. Die Befürworter der Kernenergie sprechen hier gerne von einem "Restrisiko". Bei allen in Deutschland betriebenen Reaktortypen ist ein Durchschmelzen des Reaktors wie in Tschernobyl nicht ausgeschlossen, auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird. Kleinere Störfälle sind sogar an der Tagesordnung. Und bei etwa 450 Reaktoren weltweit gehen statistische Analysen von einem Super-GAU irgendwo in der Welt etwa alle 100 bis 200 Jahre aus. Die haben aber die Bedrohung durch zunehmend spitzfindigere Terroristen noch nicht eingerechnet.

Und was von den Befürwortern gerne verschwiegen wird: Zivile und militärische Nutzung der Atomenergie sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die Europäische Kommission hat im Jahr 2003 eine Studie veröffentlicht, nach der bis zu 65 Millionen Menschen bereits an den Folgen der militärischen und zivilen Nutzung der Atomenergie gestorben sind (Atomenergie soll für über 65 Millionen Tote verantwortlich sein).

Ab einer Betriebsdauer der Reaktoren von etwa 20 Jahren nimmt das Risiko von Betriebsstörungen und damit eines Unfalls erheblich zu. Die angestrebte Verlängerung der Restlaufzeiten von bis zu 60 Jahren macht die Atomenergie also noch sehr viel gefährlicher, als sie es ohnehin schon ist.

Atomenergie ist billig. Atomenergie ist wahrscheinlich eine der teuersten Energieerzeugungen, die wir heute betreiben. Die verdeckten Kosten des Atomstroms werden nicht nur den heutigen Steuerzahlern aufgebrummt, sondern auch gleich noch künftigen Generationen für die nächsten Jahrtausende.

Das beginnt schon bei den gewaltigen Forschungs- und Entwicklungskosten für die Atomtechnologie, die fast ausschließlich auf Kosten der Steuerzahler erfolgt ist. Auch jetzt wird immer noch die Atomforschung weit stärker gefördert als alle regenerativen Energien zusammen.

Müssten die Atomkraftwerksbetreiber ihre Anlagen genauso versichern wie jeder andere Betrieb, könnten sie gleich dichtmachen. Aber auch hier gibt es Sonderkonditionen: Die Kraftwerksbetreiber dürfen sich gegenseitig versichern und die Schadenssumme wird einfach per Dekret auf 2,5 Milliarden begrenzt. Selbst vorsichtige Schätzungen gehen aber von einer mehr als tausendfachen Schadenssumme bei einem GAU aus. Im Falle aller Fälle wären die Deutschen also nicht wesentlich besser versichert als die Menschen von Tschernobyl.

Das endet dann bei der Entsorgung. Die Atomstromproduzenten legen zwar einen bestimmten Betrag für die Entsorgung des Mülls zurück, dürfen das Geld aber erst einmal behalten und damit spekulieren. Ob das Geld dann noch vorhanden ist, wenn es gebraucht wird, ist fraglich. Und wieviel Geld die Entsorgung kosten wird, steht auch überhaupt noch nicht fest. Aber allzu viel kann es gar nicht sein, da es sich bei dem Problem der Endlagerung ja nur um ein paar Jahrtausende handelt. Das werden die nächsten Generationen dann schon richten.

Atomenergie hat Zukunft. Selbst bei optimistischen Schätzungen reichen die Uranvorräte noch höchstens 60, wahrscheinlich aber eher 30 bis 40 Jahre. Das gilt beim Betrieb der bestehenden Atommeiler, wenn man auch die vermuteten Reserven mit einbezieht. Wird die Atomkraft weiter ausgebaut, verringert sich der Vorrat entsprechend.

Einzig die Brüter-Technologie verspricht hier einen Ausweg. Aber das ist bisher auch nur ein Versprechen geblieben. Der Schnelle Brüter in Kalkar ist aus verschiedenen Gründen, vor allem aber wegen sicherheitstechnischer Probleme nie ans Netz gegangen. 5 Milliarden Steuergelder in den Sand gesetzt. Auch in allen anderen Ländern ist die Brüter-Technologie nach gigantischen Investitionen und kläglichem Scheitern meist wieder eingestellt worden.

Bis heute ist zudem immer noch kein Endlager in Sicht. Daran haben auch fast 30 Jahre intensive und mit Steuergeldern finanzierte Forschung und Erkundung nichts ändern können. Wir wissen also immer noch nicht, wohin mit dem ganzen hochradioaktiven Müll, der in den letzten Jahrzehnten angehäuft worden ist und noch kommt. Der wird derweil erst mal wiederaufbereitet, zwischen- und umgelagert oder nach amerikanischem Beispiel einfach als panzerbrechende Munition im Kosovo oder Irak fein verteilt. Auch eine Form der Ent-Sorgung.

Dass Atomenergie zukunftsfähig ist, lässt sich wohl nicht wirklich behaupten. Eher widerspricht sie allen Regeln der Nachhaltigkeit: Sie ist gefährlich, zeitlich nur sehr begrenzt verfügbar und hinterlässt den nächsten Generationen unkalkulierbare Risiken

Warum also auf Atomkraft setzen?

Der eigentliche Kern der Geschichte ist doch wohl ein ganz anderer. Regenerative Energien lassen sich dezentral erzeugen und einsetzen. Dafür benötigt man keine großen Stromkonzerne mehr, die spielen dann höchstens noch eine Rolle als Grundlastversorger und Resteverwerter. Wenn erst jeder seinen Strom selbst erzeugen kann, werden nicht nur die Strukturen der Energieerzeugung sondern auch die Strukturen ihrer Finanzierung vollkommen umgestellt. Und genau davor haben die derzeitigen Nutznießer der mächtigen Stromkartelle Angst. Eine Verzögerung des Atomausstiegs schreibt die alten zentralen Strukturen wenigstens noch für eine Weile fest. Vor allem gibt sie jetzt das falsche Signal für die Zukunft.

So macht dann auch das Angebot der Stromriesen, die Gewinne aus den verlängerten Laufzeiten ihrer Atommeiler in die Erforschung der regenerativen Energien zu stecken, durchaus Sinn. Erstens verzögert das den Umstieg auf die regenerativen Energien nochmals um mindestens ein Jahrzehnt und zweitens wollen sie sich den unvermeidlichen Umstieg auf die neuen Energien dann auch noch großzügig finanzieren lassen. Mit den daraus gewonnenen Patenten lassen sich wenigstens die Herstellung und der Vertrieb der neuen Energieträger monopolisieren.

Gewinn werden die Stromkartelle mit den Laufzeitverlängerungen ordentlich machen. Ist ein Atommeiler nämlich erst einmal abgeschrieben, ist der Betrieb tatsächlich relativ preiswert. Für die Folgekosten zahlen schließlich alle anderen, nur nicht die Betreiber.

Die Anti-Atombewegung hat der ganze Rummel dann auch aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Die ruft jetzt wieder zu bundesweiten Demonstrationen auf - ganz wie in alten Zeiten. Ganz im Stil der neuen Mediokratie kann man aber auch einen Brief an die Verhandlungsführer der SPD unterzeichnen, bei den Koalitionsverhandlungen doch bitte nicht einzuknicken. Ob’s wirklich hilft, bleibt abzuwarten.

Literatur