Atomkraft wird es auch in Zukunft geben, aber anders als Sie denken
Atomkraft - und die Alternativen (Teil II)
Haben Erneuerbare Energien das Potenzial, die Kernenergie bei einem Atomausstieg zu ersetzen? Die Kritiker der Erneuerbaren Energien weisen gerne auf das schwedische Beispiel hin: Das Land hatte 1980 - kurz nach dem Unfall von Three Mile Island (USA) - beschlossen, dass es seine 12 AKWs bis 2010 abschalten würde. 1986 gab es nach Tschernobyl viel Druck, den Ausstieg vorzuziehen. Die Stromkraft sollte mit Sparmaßnahmen und Erneuerbaren Energien ersetzt werden. Diese Aufgabe hat sich jedoch als äußerst schwierig erwiesen und so beschloss die Regierung 1995, den Ausstieg zu überdenken. Im Moment wäre dennoch bei einer Laufzeit von 40 Jahren das letzte AKW in Schweden 2025 abgeschaltet.
Beweist das Beispiel von Schweden nicht, dass Erneuerbare Energien kein Ersatz für Atomstrom sein können? Keineswegs, denn das Beispiel von SMUD (siehe Teil I) zeigt, dass Energiesparen und Erneuerbare Energien dieser Aufgabe 1995 durchaus gewachsen waren.
Ein weiteres Beispiel: 1978 haben die Österreicher per Volksentscheid gegen den Bau eines AKWs gestimmt und in Erneuerbare Energien und Sparmaßnahmen investiert. Damals haben 86% der Vorarlberger gegen das AKW votiert. Heute produziert Vorarlberg mehr Ökostrom, als dort überhaupt verbraucht wird, d.h. die Region ist zu einem Exportland für Ökostrom geworden.
Heute hat die Windkraft alle Erwartungen übertroffen. Eine Studie der Prognos AG sagte 1990 im Status-quo-Szenario voraus, dass im Jahre 2005 0,64 Milliarde kWh durch Windkraft erzeugt werden würden. Im Jahre 2001 waren es jedoch bereits 10,5 Milliarden kWh - über 16 Mal mehr als prognostiziert. Zur Zeit boomt die Photovoltaikindustrie, allerdings ausgehend von einem ähnlich geringen Niveau wie 1990 die Windindustrie. Die ersten geothermischen Kraftwerke gehen jetzt erst in Betrieb; 2003 war es die Anlage in Neustadt-Glewe (Das Erd-Dorado), und bis April wird bei Unterhaching die tiefste Bohrung für ein Geothermie-Kraftwerk in Deutschland abgeteuft.
Die Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, den Anteil der Erneuerbaren Energien von derzeit knapp 8% auf 12,5% bis 2010 zu erhöhen. Die EU-Richtlinie 2001/77/EG sieht folgende Ziele für alle 15 EU-Länder im Jahre 2010 vor:
Hier macht die Wasserkraft in vielen Fällen (z.B. Schweden und Österreich) sehr viel aus, aber das Wachstum werden vor allem andere Erneuerbare Energien wie Windkraft, Photovoltaik, oder Biomasse verbuchen; in Großbritannien sollen z.B. vor allem Offshore-Wind, Gezeiten- und Strömungskraftwerke gefördert werden. Für 2020 - 5 Jahre vor dem Atomausstieg Deutschlands - peilt die deutsche Bundesregierung sogar einen Anteil von 20% für Erneuerbare Energien an - fast 8% mehr als 2010. Wir müssen also wegen des Atomausstiegs 30% unserer Stromproduktion bis 2025 ersetzen, aber bis 2020 sollen 12% an Erneuerbaren Energien dazukommen. Es fehlen also nicht etwa im Jahre 2020 alle 30% der Atomkraft, sondern lediglich 18%, und selbst dann hätte man noch 5 Jahre Spielraum bei rund 1% Wachstum jährlich.
Selbst eine vollständige Versorgung mit Erneuerbaren Energien ist vorstellbar
Es ist durchaus denkbar, dass wir die Differenz mit Effizienzsteigerungen und Sparmaßnahmen decken könnten, worauf wir in einem späteren Beitrag zurückkommen werden. So viel sei hier vorab gesagt: Es sind nicht nur Öko-Gruppen, die Sparpotential sehen, sondern auch der Öl-Multi Esso hat 2003 einen Rückgang des Primärenergieverbrauchs in Deutschland bis 2020 um 7 Prozent prognostiziert - nicht zuletzt deshalb, weil es immer weniger Deutsche geben wird. Und wenn wir immer mehr Kraft-Wärme-Kopplungen verwenden, steigt die Effizienz, da wir dann die Abwärme unserer Kraftwerke als Heizwärme o.ä. verwenden. So wundert sich Johannes van Bergen, Geschäftsführer der Stadtwerke Schwäbisch-Hall, über die Skeptiker des Atomausstiegs:
Obwohl diese Landesregierungen selbst als Ziele vorgegeben haben, den Anteil der Erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2012 zu verdoppeln und im Übrigen auf Grund von Gutachten der Landesregierungen feststeht, dass der Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung an der Stromerzeugung einen Anteil bis zu 30 % an der gesamten Stromproduktion erreichen kann, muss man sich doch jetzt sehr wundern, dass die bestehenden Vereinbarungen zwischen Industrie und der Bundesrepublik zum Atomausstieg in Frage gestellt werden.
Global ist sogar eine vollständige Versorgung mit Erneuerbaren Energien durchaus denkbar, d.h. man könnte langfristig nicht nur AKWs, sondern alle Kohlekraftwerke, Gasturbinen, Otto-Motoren, usw. mit EE-Anlagen ersetzen.
Die obigen Zahlen können natürlich nie erreicht werden, denn sie beziehen sich nur auf das theoretische Energie-Angebot. Man kann aber schöne Zahlenspiele damit machen: So hat ein britisches Unternehmen errechnet, dass die jährlich solare Einstrahlung auf London und seine Vororte so groß ist wie der gesamte weltweite Konsum fossiler Energien. Oder dass die Solarenergie, die in einer Stunde auf die Erde fällt, rund zwei mal größer als der weltweite Energiekonsum in einem ganzen Jahr ist.
Die Effizienz von EE-Anlagen würde diese Zahlen mehr als halbieren. Z.B. beträgt der höchste theoretische Wirkungsgrad einer Windanlage 59% (das Betz'sche Gesetz), aber in der Praxis liegen die Werte weit darunter. Und dann will man auch nicht überall Windräder haben. Aber schließlich müssten wir auch nie 325 Mal mehr Energie produzieren, als wir verbrauchen, sondern nur einmal so viel, und das nicht mit Windenergie alleine, sondern mit einem Energiemix.
Selbst wenn man die viel konservativeren Zahlen vom Worldwatch Institute nimmt, ist noch viel Spielraum drin: Christopher Flavin hat nämlich errechnet, dass das weltweite Windenergiepotenzial unter realistischen Bedingungen fünf mal größer als der Weltenergiekonsum ist, und dass die USA 20% ihres Strombedarfs decken könnte, wenn Windräder auf lediglich 0,6% des Landes installiert würden. Nach den Zahlen des "U.S. PIRG Education Fund", dass die Windenergie in vier US-Bundesstaaten - North Dakota, South Dakota, Kansas and Nebraska - reichen würde, um den Strombedarf der ganzen USA zu decken.
Solche Zahlenspiele dürfen uns jedoch nicht irreführen: Es geht nicht darum, ein ganzes Land mit einer Energiequelle aus wenigen Gebieten zu versorgen. Interessanter sind deshalb Studien, die zeigen, dass ein erneuerbarer Energiemix den Bedarf eines Landes decken kann. Im Oktober 2003 wurde z.B. die Studie Energy Rich Japan veröffentlicht, an der das deutsche Wuppertal Institut mitgewirkt hat. Die Studie zeigt, dass selbst ein ressourcenarmes Land wie Japan den kompletten Umstieg auf Erneuerbare Energien schaffen kann. Und wenn Japan das schafft, dann könnte es fast jedes Land, wie die Autoren betonen:
If it is possible to achieve a 100% renewable energy system in Japan using today's best available technology, it would be possible to transfer and adapt the results to many other locations even to cover the whole globe.
Energy Rich Japan
20% Windenergie (wie von Flavin kalkuliert) könnten durchaus genügen, wenn der Rest aus Photovoltaik, Geothermie, Biomasse usw. bestünde. Ganz ohne Umweltverschmutzung - und das Risiko einer Atomkatastrophe. Selbst Verfechter des Ausbaus der Atomkraft geben zu, dass die Atomkraft in absehbarer Zukunft nicht risikolos sein kann, und sprechen von einem "Restrisiko". In der Dezember-Ausgabe der Technology Review wird die Einschätzung von Adolf Birkhofer, Risiko-Bewerter für AKWs, für künftige 500 AKWs weltweit (derzeit: 440) folgendermaßen zusammengefasst: "Alle 200 Jahre passiert irgendwo auf der Welt ein schwerer Unfall." Wenn ein solcher Mix aus Erneuerbaren Energien unseren Bedarf zu 100% decken könnte, wer wollte noch überhaupt das sogenannte Restrisiko der Atomkraft eingehen? Welche Vorteile würde uns dann die Atomkraft bieten?
Energie auf Knopfdruck
AKWs bieten einen einzigen Vorteil: Im Gegensatz zu fast allen Erneuerbaren Energien können sie Strom auf Knopfdruck liefern, und zwar auch mobil. Wind- und Photovoltaikanlagen produzieren bekanntlich nur Strom, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Das ist zwar weit weniger problematisch als allgemein angenommen, denn tagsüber ergänzen sich gerade Wind- und Solarenergie nahezu optimal: Wenn kein Wind weht, scheint meistens die Sonne, und umgekehrt, wie man aus vielen netzfernen Projekten und Inselnetzen ("microgrids"/"minigrids") weiß. Außerdem kann man viele Nachfragemanagementlösungen entwickeln, damit mehr Strom dann verbraucht wird, wenn welcher zur Verfügung steht (Das virtuelle Kraftwerk).
Die einzigen Erneuerbaren Energien, die Strom auf Knopfdruck liefern können, sind Biomasse, Geothermie und Wasserkraft. Von diesen drei ist jedoch nur Biomasse in der Lage, in mobilen Anwendungen Strom zu produzieren, z.B. in Schiffen. Hier hat die Atomkraft die Nase vorne. In der Tat wird heute sehr viel Wert auf die Entwicklung kleinerer AKW gelegt. Während ein AKW heute eine Kapazität von mehr als 1000 MW haben kann, sollen Modelle mit 200 MW und weniger weiter entwickelt werden. Warum?
Zum einen hat man eingesehen, dass große zentrale Kraftwerke verschwenderisch sind. Es werden Unmengen an Strom zentral produziert, der dann an dezentrale Verbraucher transportiert werden muss. In Frankreich gehen fast 6% der gesamten Stromerzeugung so verloren, weil das Land zu fast 80% von großen, zentralen AKWs versorgt wird. Im Vergleich: in Deutschland sind es rund 4%. Zum anderen kann man die Abwärme von kleineren Anlagen, die näher am Verbraucher sind, besser in Fernwärmenetzen verwenden. Die Japaner wollen sogar ein Mini-AKW so groß wie ein ausgewachsener Tannenbaum mit einer Kapazität von 10 MW bauen. Es soll in ländlichen Gebieten wie Alaska zur Verwendung kommen.
Kleinere AKWs bieten ganz andere Möglichkeiten, z.B. wenn sie in Schiffe eingebaut werden. Das erste "schwimmende" AKW war im US-Schiff Sturgis, das im Panama-Kanal verankert war; es hatte die Aufgabe, 45 MW an Strom für den Betrieb des Kanals zu produzieren. Ein solches Schiff könnte dann innerhalb kürzester Zeit überall eingesetzt werden und genug Strom für eine Kleinstadt an der Küste liefern.
Diese Idee will nun Russland nutzen, um bestehende internationale Gesetze zu umgehen. Russland will die 70-MW-Atomkraftwerke, die zur Zeit in russischen Eisbrechern verwendet werden, in Schiffe einbauen, die dann bis 2008 an der Küste Indiens verankert sein sollen. Der Strom wird dann ins indische Stromnetz gespeist und an Indien verkauft, aber das AKW bleibt in russischer Hand, weshalb die Auflagen für den internationalen Verkauf von AKWs hier nicht greifen. Eigentlich darf Russland keine AKW an Indien verlaufen, weil Indien nicht Mitglied der Nuclear Suppliers Group ist.
Die wahre Zukunft der Kernenergie
Über eine letzte Möglichkeit wird selten gesprochen. Wenn das Öl knapp geworden ist, womit fahren unsere Flugzeugträger? Schon heute fährt der französische Flugzeugträger Charles de Gaulle mit der Kraft zweier AKWs, jeweils mit einer Kapazität von 61 MW. Wer also in 50 Jahren militärisch mitmischen will, wird nicht nur Atomwaffen brauchen, sondern zunehmend Atomkraft. Projekte zu Herstellung von Wasserstoff aus Kernenergie sind auch deshalb interessant, weil andere Wasserstoff-betriebene Militärfahrzeuge vom Mutterschiff aus versorgt werden könnten.
Mit Solarenergie hingegen lässt sich schlecht Krieg führen. Aber das bedeutet eben nicht, wie der Fernsehjournalist Franz Alt meinte, dass das Ende des Ölzeitalters und der Anfang des Solarzeitalters den Frieden einläuten werde, sondern die Atomenergie - nicht nur Atomwaffen - wird immer wichtiger, wenn es darum geht, moderne Maschinen für Kriegszwecke in Bewegung zu setzen. Man kann dann immer noch gegen die Atomkraft sein, aber man muss eben wissen, ob man bereit ist, die Atomkraft anderen Staaten zu überlassen, die dann jederzeit ungehindert ihre Präventivkriege und dergleichen führen könnten.
Craig Morris ist Fachübersetzer in den Bereichen Energie, Technik und Finanzen bei Petite Planète.