Atommacht Pakistan: Weg vom bisherigen politischen Standardmodell?

Wahlsieger Nawaz Sharif wird sich mit der Macht des Militärs auseinandersetzen müssen

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Die Hoffnung auf Stabilität, auf weniger Gewalt, auf weniger Korruption, auf einen Ausweg aus der schweren Energiekrise, auf bessere wirtschaftliche Aussichten und auf bessere Verhältnisse mit den Nachbarstaaten: Es ging um einiges bei den Parlamentswahlen in Pakistan, nicht zuletzt auch darum, wie die neue Regierung die Beziehung zu den USA künftig gestalten wird. Viele hatten sich Wandel hatte man sich gewünscht, das war der Tenor, der seit Wochen aus der Berichterstattung über den Wahlkampf herauszulesen war. Das zeigte sich auch im kurzfristigen Erfolg des Predigers Tahir ul-Qadri, der im Januar mit seinen als Revolution angekündigten Märschen zehntausender Anhänger für weltweite Aufmerksamkeit und einigen Wirbel in Pakistan sorgte.

Der nächste religiöse Populist, der in dem failed state, der in der von Korruption, Vetternwirtschaft und gewalttätigem Extremismus heimgesuchten Atommacht, bekannt für putschende Generäle, einen allgegegenwärtigen Geheimdienst mit eigener Agenda für die nächsten Unruhen sorgt? Das war damals die Frage, die sich angesichts der Massenbewegung, die Qadri im Januar mobilisieren konnte, in der internationalen Öffentlichkeit stellte. Doch Qadris "Revolution" war nur ein Strohfeuer. Ihm wurde schnell der Wind aus den Segeln genommen; als konkrete politische Forderung verlangte er nur, was sowieso anstand: die Auflösung des Parlaments und Wahlen. Das Signal aber blieb: In Pakistan hat sich in den letzten Jahren sehr viel Frustration über die politischen Verhältnisse breitgemacht.

Am Wochenende wurde nun gewählt. Die Regierungspartei PPP (Pakistan People's Party)- ihr gehört auch der Präsident Asif Ali Zardari an - kam laut vorläufigen Ergebnissen nur auf knapp über 30 Sitze und muss auf die Oppositionsbank. Es sei denn der Wahlsieger, Nawaz Sharif, der sich selbst bereits als solcher erklärt hat, geht eine Koalition mit der Partei ein, die sein politischer Gegner ist. Für die Partei Sharifs, die Pakistanische Muslimliga (PML-N), wurde bis kurz vor Mitternacht (in der Nacht auf Montag) 130 Sitze gezählt; sie bräuchte 137, um die Mehrheit im Parlament zu haben. Deutlicher Wahlsieger ist Sharif, der aus einer bekannten Unternehmerfamilie stammt, und bereits zuvor Ministerpräsident in Pakistan war, auf jeden Fall.

Am dritter Stelle liegt die Partei des früheren Cricketspielers Imran Khan. Dessen PTI (Pakistan Tehrik-i-Insaaf) kommt nach bisherigen inoffiziellen Angaben auf knapp unter dreißig Sitze. Die Partei, die in den letzten Jahren sehr populär wurde, vor allem in der Mittelschicht, ist damit ein neuer Faktor im Parlament, wenn auch das Ergebnis schlechter ausfiel, als es der Hype der letzten Jahre um Imran Khan vermuten ließ. Aber der säkulare Politiker hat es immerhin geschafft, in der wichtigen Grenzprovinz zu Afghanistan, in der Khyber Pakhtunkhwa Provinz (früher Nordwestliche Grenzprovinz genannt - North-West Frontier Province) einen wichtigen Sieg zu landen. Khan will mit den Taliban reden, das war eine wesentliche Botschaft seines Wahlkampfes. Das will auch der Wahlsieger Nawaz Sharif.

Die Hoffnung wäre also, dass es beiden Männern gelingt, woran die Vorgängerregierung gescheitert ist, bzw. wofür sie gar keinen echten Willen gezeigt hat: den Extremismus in der Grenzregion, der auf ganz Pakistan ausstrahlt - und vor allem ins Nachbarland Afghanistan - mit politischen Mitteln, über Verhandlungen, einzudämmen. Ob Sharif als Ministerpräsident dem Ziel näher kommt, hängt von dem großen Machtfaktor in Pakistan ab: vom Militär; und vermutlich auch vom Geheimdienst ISI.

In einer sehr klaren und konzisen Analyse legt der bekannte pakistanische Journalist Ahmed Raschid (in Deutschland bekann durch sein Buch: "Taliban, Afghanistans Gotteskrieger und der Dschihad") dar, dass es mehrere heikle politische Punkte gibt, wo es sehr darauf ankommt, wie Sharif mit der Armee zusammenarbeiten kann: die Beziehung zu Indien, die Verhältnisse in Afghanistan angesichts des Abzugs der US-Truppen, das Verhältnis zu den USA, das Pipeline-Projekt mit Iran, bitter nötig für die Gasversorgung Pakistans und wegen der miserablen pakistanischen Wirtschaftslage, Verhandlungen mit der Weltbank und dem IWF wegen dringend benötigten finanziellen Hilfen.

Die Beziehung zu den USA

Vieles hängt von der Beziehung zu den USA ab. Von dort kommen, wie auch aus Indien, erste freundliche Reaktionen auf die Wahl. Immerhin es war die erste Wahl in Pakistan, bei der die politische Macht ohne Putsch von einer Regierung, die über die volle Legislaturperiode an der Macht war, an eine neue übergeben wird. Die Wahlbeteiligung war mit etwa 60 Prozent für Landesverhältnisse sehr hoch. Die Wähler trotzten, wie in vielen Berichten herausgestellt, den Drohungen und Anschlägen der Taliban (Unsicher ist noch, wie schwer Irregularitäten bei der Wahl, die von Sharif und Khan kritisiert werden, ins Gewicht fallen).

Doch wie wird das Verhältnis zu den USA aussehen, wenn Sharif, der im Wahlkampf auf antiamerikanische Gefühlslagen abzielte, das Urteil des Gerichts in Peshawar ("Drohnenangriffe sind Massenmord, ein unentschuldbares Verbrechen") beherzigt, und keine CIA-Drohnenangriffe mehr auf pakistanischen Boden zulässt? Wird das Militär auf US-Drohnen schießen lassen?

Die ersten Reaktionen auf das Wahlergebnis in Pakistan weiesn auch darauf hin, dass mit Sharif möglicherweise doch nicht der ersehnte Wandel kommt; er ist ein gut bekannter Politiker in Pakistan, eben kein neues Gesicht, sondern aus der alteingesessenen Elite stammend. Ob er aufräumen kann mit der Politik der klientelistischen Netzwerke, die Pakistan seit Jahrzehnten dominiert, ist ungewiss.