Atomverhandlungen mit dem Iran: Die Summe aller schlechten Kompromisse
Seite 2: Militärische Abschreckung
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Dass die Sanktionen weitgehend wirkungslos sind, weiß man spätestens seit Trumps Kündigung 2018: Danach begann man im Iran, Uran immer weiter anzureichern; im Juni hatte man nach Angaben der IAEA 43 Kilogramm Uran bis zu einem Reinheitsgrad von 60 Prozent angereichert. Für den Bau von Atomwaffen sind ungefähr 90 Prozent erforderlich.
Auch dass immer wieder Mitarbeiter am Atomprogramm ermordet werden, hat es nicht nachhaltig aufhalten können. Gleichzeitig ist damit auch die Sorge gestiegen, dass es irgendwann zum offenen Krieg zwischen dem Iran und Israel und / oder Saudi-Arabien kommen könnte.
Die beiden letztgenannten haben zwar bis heute offiziell keine diplomatischen Beziehungen aufgenommen, haben sich aber in den vergangenen Jahren unter dem Eindruck der Iran-Frage stark angenähert. Auch von einem informellen Verteidigungsbündnis wird immer wieder gesprochen.
Diese Mischung aus Abkommen und militärischer Abschreckung wird auch von US-Präsident Joe Biden favorisiert. In einem Telefonat mit den deutschen, französischen und britischen Regierungschefs am Montag ging es ebenfalls um die Eindämmung der "destabilisierenden Aktivitäten in der Region" sowie um das Atomabkommen.
Allerdings würde militärische Abschreckung auch bedeuten, Staaten auf der arabischen Halbinsel auf- und auszurüsten, die in den vergangenen Jahren im Jemen Luftangriffe zur Unterstützung der dortigen Regierung geflogen sind; bei Angriffen auf bevölkerte Märkte kamen dabei auch mehrere hundert Menschen auf einmal ums Leben.
Auf der anderen Seite jedoch verhalten sich die Revolutionsgarden nicht wie ein normales Militär: In vielen Ländern der Region unterstützen sie kleine und große militante Gruppen und haben im Laufe der Zeit Strukturen zur Umgehung der Sanktionen geschaffen.
Gleichzeitig sind die Revolutionsgarden eng mit der iranischen Wirtschaft verwoben. Ob die Terrorgruppen im Ausland tatsächlich auf Seiten der Iraner kämpfen würden, ist offen. Ausgeschlossen werden kann es aber nicht.
Ein Faktor, den Beobachter aktuell, noch, auf theoretischer Ebene diskutieren, aber ebenfalls auf die Hoffnung drückt ist, was passiert, wenn der 83-jährige Ajatollah stirbt oder abtritt. Diejenigen, die durch ihre Waffen den wahren Einfluss im Iran haben, sind die Revolutionsgarden. Im Machtgefüge ordnen sie sich, aktuell, offiziell der Autorität des Ajatollahs unter. Er ist noch da, weil es die Revolutionsgarden gibt, und die wiederum beziehen ihre Daseinsberechtigung aus dem Schutz des Ajatollahs und der islamischen Revolution.
Nun ist es allerdings so, dass es trotz Chameneis fortgeschrittenen Alters niemanden gibt, der sich zwangsläufig als Nachfolger aufdrängt, der für alle, Öffentlichkeit, Politik, Klerus und Militär, gleichermaßen akzeptabel wäre; die Entscheidung wird im Expertenrat gefällt werden.
Da die Revolutionsgarden bewaffnet sind, haben sie letzten Endes das letzte Wort und sollte ihnen ein, für die Führung der Revolutionsgarden nicht akzeptabler Kandidat aufgezwungen werden, oder ein längeres Machtvakuum entstehen, könnte eine Machtübernahme des Militärs die Folge sein.
Die Frage, die viele westliche Diplomaten und Politiker schon seit Jahren bewegt ist, ob und falls ja wie man die Zukunft des Iran jetzt in eine bestimmte Richtung steuern könnte. So arbeitete Trumps ehemaliger Sicherheitsberater auf einen Regime-Wechsel hin. Andere hoffen darauf, durch ein Atomabkommen, eine Aufhebung der Sanktionen und eine stärkere Einbindung in die internationale Gemeinschaft Kräfte stärken zu können, die man als moderat betrachett.
Der ehemalige Präsident Hassan Ruhani war eine solche Kraft; an ihm zeigten sich aber auch die Schwierigkeiten. Nach außen hin gab er sich offen für Frauen- und Menschenrechte. Doch wirtschafts- und sozialpolitisch ist er eher dem liberalen Lager zuzuordnen, das auf Privatisierung und Abbau des Sozialstaats setzt. So gerne man ihn im Ausland als die Zukunft sah, ihn teilweise als nächsten Ajatollah handelte, so unbeliebt war er zuletzt in der Heimat.