Atomwaffen: Was, wenn die nukleare Abschreckung scheitert?
- Atomwaffen: Was, wenn die nukleare Abschreckung scheitert?
- Atomwaffen: Widerspruch zwischen Gleichgewicht und Überlegenheit
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Bei wachsenden Spannungen setzt der Westen auf Abschreckung. Das ist ein gefährlicher Irrweg. Sicherheitspolitik muss demokratisiert werden. Ein Gastbeitrag.
Der Frieden ist das Meisterstück der Vernunft.
Immanuel Kant
Meines Erachtens hat es niemals eine Chance gegeben, dass die atomare Abschreckung das Friedensproblem für immer lösen würde: Diese Lösung wirkt auf mich wie eine hirnverbrannte Verrücktheit.
Carl Friedrich von Weizsäcker
Obwohl es um die Friedensbewegung ein wenig still geworden ist, bleibt die Sicherheitspolitik ein zentrales Thema von öffentlichem Interesse. Sicherheitspolitische Belange sind heute nicht mehr ausschließlich Wissenschaftlern, Politikern oder militärischen Experten vorbehalten.
Wenn auch die Entscheidungsverantwortung über Sicherheit und Frieden letztendlich im westlichen Bündnis bei den Mandatsträgern liegt, so sind diese zumindest vor einer sensibilisierten und kritischen Öffentlichkeit zu rechtfertigen, die die Bedeutung dieses existenziellen Politikbereiches erkannt hat.
Unterschiedlichste Konzepte zur Friedenssicherung werden bis heute kontrovers diskutiert, dies auch entsprechend der Werthaftigkeit des Themas mit emotionaler Vehemenz.
Trotz grundsätzlicher konzeptioneller Unterschiede wird allerdings deutlich, dass allen Positionen ein weitgehend gemeinsames Ziel zugrunde liegt: das Bemühen um eine dauerhafte Friedensordnung in Europa und auf dem gesamten Globus.
Die Wege, die zur Erreichung dieses Ziels beschritten werden müssen, sind aber nicht deterministisch festlegbar. Nicht alle möglichen Einflussgrößen können unter sich ständig ändernden Rahmenbedingungen a priori bestimmt werden, bzw. bedacht werden.
Der Weg zum Frieden bedarf vor allem kreativer Gestaltung und ist nur als ein konstruktiver, dynamischer Prozess beschreibbar.
So ist es überhaupt denkbar, dass wegweisende und zukunftsorientierte Konzeptionen entstehen können, die eine glaubwürdige Grundlage für eine handlungsorientierte Friedens- und Sicherheitspolitik bieten.
Um eine wegweisende Konzeption zu entwerfen, ist es zuerst notwendig, die Rahmenbedingungen zu untersuchen, die die heutige internationale Politik dominieren.
Dies ist zum einen das Phänomen der Macht und zum anderen das der grenzenlosen Zerstörungskraft der Atomwaffen. Beide bedingen sich wechselseitig und haben bis heute die Sicherheitsstrategien der Staaten wesentlich bestimmt.
In seinen negativen Auswirkungen gilt Macht in der internationalen Politik als Krisenfaktor ersten Ranges. Sie ist seit Jahrhunderten eine der gefährlichsten Herausforderungen der menschlichen Existenz.
Dies gilt nicht erst seit dem Vorhandensein der Atomwaffen. In seinen philosophischen Überlegungen "Zur Theorie der Macht" macht Carl Friedrich von Weizsäcker deutlich, dass die Gefahr menschlichen Machtverhaltens in seiner Zügellosigkeit und Unbegrenztheit begründet liegt.
Diese Unbegrenztheit lässt sich nur dadurch erklären, dass sich der Mensch in einem ständigen Existenzkampf Gefahren ausgesetzt sieht, denen er aus reinem Selbsterhaltungstrieb begegnen möchte.
Je größer er die Gefahren einschätzt, desto mehr Mittel (z. B. Werkzeuge, Waffen) hält er zu seinem eigenen Schutz für notwendig. Seine Intension, eigene Machtmittel bereitzustellen, ist folglich "zweckrational" und "defensiv".
Unbegrenztes Anhäufen von Machtmitteln erfolgt immer dann, wenn der Mensch aus Einbildung Gefahren überschätzt oder aus einem übertriebenen Sicherheitsbedürfnis heraus handelt.
Verschärfend wirkt dabei eine Konkurrenz oder Rivalität zweier Parteien, die kontinuierlich um ihre eigene Existenzsicherung fürchten.
Dieses von Weizsäcker entworfene Modell der Machtkonkurrenz findet auf der internationalen Ebene seine Entsprechung im Konflikt der Welt- und Atommächte USA, Russland, China und Indien.
In der ständigen Angst vor möglicher Machteinbuße oder vor aggressiven Übergriffen des Gegners haben sie gewaltige Zerstörungsarsenale angehäuft. Die eigentlichen Antreiber im politischen Schachspiel um Positionen im Weltgefüge sind machtpolitischen Ursprungs.
Trotz der Vielfältigkeit unterschiedlicher Machtmittel ist und bleibt das militärische Gewaltpotenzial das sichtbarste und gefährlichste Instrument internationaler Macht. Aber auch der Wirtschaftsmacht kommt entscheidende Bedeutung zu.
Macht durch Wirtschaft und Militär
Machtpolitische Ziele und ökonomische Interessen stehen international in enger Wechselwirkung. Obwohl Wirtschaftsmacht im Vergleich zur Militärmacht weniger offensichtlich ist, ist sie deswegen nicht weniger erfolgreich.
Die bis heute asymmetrischen Handelsstrukturen zwischen Ländern des Südens und den westlichen Industrieländern – auch als ein Resultat aus den Kolonialstrukturen – sind ein Beleg dafür.
Es bleibt festzuhalten, dass das schrankenlose Machtstreben eine wesentliche Bestimmungsgröße für die Konfliktträchtigkeit unserer heutigen Welt ist.
Die Existenz der Atomwaffen hat zu einer grundsätzlichen Veränderung im Umgang der Machtblöcke zueinander geführt. Im Bewusstsein der zerstörerischen Wirkung dieser Waffen ist es bisher noch zu keiner direkten militärischen Auseinandersetzung gekommen.
Unter dem Druck und der Belastung gegenseitiger Zerstörung ist der machtpolitische Interessenkampf so gewichtet, dass ein unmittelbares Aufeinandertreffen bisher vermieden werden konnte.
Durch zielgenaue Trägermittel, die jeden Punkt der Erde mit gewaltiger Zerstörung treffen können, dürfte ein Krieg zwischen den Atommächten kein vernünftiges Mittel der Politik sein. Heute steht einer möglichen Gewinnerwartung eines Angriffskrieges ein gewaltiges Schadensrisiko gegenüber.
Noch zu Moltkes Zeiten galt, dass der Krieg ein Element der von Gott eingesetzten Weltordnung sei. Krieg war unbedingtes Mittel der Politik und nach dem weltlichen Verständnis der Theorie vom gerechten Krieg nur noch politischen Zwecken des jeweiligen Herrschers unterworfen.
Die Existenz globaler Vernichtungskraft hat dem Menschen Grenzen aufgezeigt und signalisiert dringlich die Notwendigkeit, sich in der Anwendung militärischer Macht zu mäßigen. Um der möglichen Unbegrenztheit der Macht begegnen zu können, wurden Atomwaffen in ein sicherheitspolitisches Konzept eingebunden.
Ein Angriffskrieg wird mit einem so hohen Risiko belegt, dass der zu erwartende Schaden erheblich größer sein wird als der mögliche Gewinn. Dieses Sicherheitsverständnis entspricht dem einfachen Modell, Macht durch Gegenmacht auszugleichen.
Alle verteidigungspolitischen Bemühungen des Westens sind auf die Verhinderung eines Krieges ausgerichtet. Innerhalb dieser Logik ist Kriegsverhütung nur über die Fähigkeit zur Kriegführung glaubwürdig.
Kriegführungsfähigkeit beschränkt sich nicht auf eine spezielle Waffenart, sondern umfasst das gesamte Spektrum konventioneller und auch atomarer Waffen. Das entscheidende Fundament der heutigen Sicherheitspolitik bildet das Prinzip der Abschreckung.
Abschreckung will einen möglichen Gegner bereits vor dem Griff zur Waffe davon überzeugen, dass sich ein Angriff nicht lohnt. Sie ist nur als rationales Denkmodell funktionsfähig. Abschreckung kann nur dann wirksam sein, wenn der Kontrahent sie als glaubhaft einschätzt.
Das setzt voraus, dass neben der Fähigkeit zur Verteidigung auch die Entschlossenheit dokumentiert werden muss, die eigenen Zerstörungsinstrumente im Ernstfall einzusetzen.
Eng gekoppelt mit der Abschreckung ist das Prinzip des Gleichgewichts. Es besagt, dass sich die Gewichte aller politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kräfte in ihrer Gesamtheit die Waage halten müssen, um den Frieden und die Sicherheit des betroffenen Staates zu erhalten.
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