Auch ohne Neun-Euro-Ticket: Bahn-Boom überfordert Österreich

Seite 2: Österreich: Bahn glaubte nicht an Erfolg der eigenen Branche

Ein Blick auf den vor knapp zehn Jahren neu errichteten Wiener Hauptbahnhof macht dies sinnbildlich. Wien war einst umringt von unpraktischen Kopfbahnhöfen, wohl weil die Habsburger im 19. Jahrhundert die Eisenbahn für eine vorübergehende Modeerscheinung hielten und die Innenstadt nicht verschandeln wollten.

Der Süd- und Ostbahnhof lagen in einem Wiener Außenbezirk unmittelbar nebeneinander und wurden zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einem, um eine leichte Kurve geführten, Abzweigbahnhof zusammengeführt.

Eine grundsätzlich sehr sinnvolle Maßnahme. Allerdings wurden die Verkehrsflächen dabei drastisch reduziert und in Bauland umgewandelt. Heute ragen unmittelbar neben den Gleisen des neuen Hauptbahnhofs Hochhäuser in die Höhe.

Der Bahnhof ist, wie Österreichs umstrittenster Verkehrsexperte, Hermann Knoflacher zu dessen Eröffnung konstatierte, schlicht zu klein für zukünftige Aufgaben dimensioniert. Weil nicht anzunehmen ist, dass die Hochhäuser eines Tages für Gleiserweiterungen zur Seite treten werden, ist ein Kapazitätsausbau weitgehend ausgeschlossen.

Die ÖBB gossen damit gewissermaßen in Beton, dass sie selbst nicht an einen Zuwachs des Bahnverkehrs glauben, aber sehr gerne die Einmaleffekte verkauften Baulandes und eigener Immobilienentwicklungen in ihren Bilanzen vermerken.

Sicherlich ist die computergestützte Logistik des 21. Jahrhunderts effizienter als jene aus Habsburger-Zeiten. Aber irgendwann braucht das Mobilitätswende-Wachstum auch physischen Platz und der wurde und wird allerorten in Österreich verkauft.

Statt an Konzepten zu arbeiten, wie möglichst viel Waren- und Personenverkehr auf der Schiene abgewickelt werden könnte, zogen sich die Bundesbahnen insbesondere mit ihren Frachtbahnhöfen nobel aus der Innenstadtnähe zurück und ließen dort gewinnbringend Immobilien entwickeln. So konnte der Konzern unmöglich auf die Mobilitätswende vorbereitet sein, an die er selbst nie geglaubt hat.

Die Frage nach der Rentabilität von Bahnstrecken ist möglicherweise an sich falsch. Denn nur wenn auch wenig ausgelastete Strecken bedient werden, kommt das Mobilitätsangebot der Schiene auch auf dem Land an. Dieses Bewusstsein ist noch unterentwickelt.

Selbst in der Metropole Wien, die bereits einen recht ansehnlichen Modal Split hat, bezeichnet der Bürgermeister Michael Ludwig beim Streit um den Lobautunnel den Ausbau von Autostraßen als entscheidend für die "Lebensqualität" der Menschen in Wien. Subtext: "Bahnfahren ist eher Notlösung".

Diese Sichtweise gilt wohl immer noch für die meisten Politiker in Österreich. Eine Mobilitätswende ist so kaum zu machen. Diejenigen, die jetzt umsteigen, werden frustriert durch überfüllte Züge, zu wenige Verbindungen und bald wohl auch durch die Preissteigerungen mit Beginn des Winterfahrplans. Eine Gesellschaft, die den Umstieg will, muss sich allerdings klar werden, dass dies etwas kostet.