Audiovisionen // Vor und nach dem Kino

Wir erleben, was in der Geschichte der Zivilisation nur wenigen Generationen vergönnt war: das Entstehen einer gänzlich neuen Variante audiovisueller Kunst und Kommunikation

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Ihre technologische Basis bildet digitale Hard- und Software. Das unterscheidet sie kategorial von der Vielfalt analoger, ob nun handwerklich-mechanischer oder industriell-automatischer Apparaturen, die in den Jahrhunderten zuvor Audiovisuelles erfahren ließen. Unter digitaler Perspektive erweist sich das Medium Film als Glied in einer langen historischen Kette: der Entwicklung immer besserer Verfahren zur Produktion und Speicherung, Distribution und Rezeption lebensähnlicher Audiovisionen.

Die Zukunft der Vergangenheit // Realismus & Fotorealismus

Die Geschichte neuzeitlicher Audiovisualität kennzeichnet kontinuierliche Rationalisierung. Dieses Bemühen, überkommene Verfahren durch solche zu ersetzen, die der Herstellung lebensgleicher Bilder, Töne und Szenen besser dienten, begann mit dem Blick in den Spiegel. Die Erfahrung des eigenen Ebenbilds in – anachronistisch gesprochen – fotorealistischer Qualität haben wir uns als Urszene neuzeitlicher (Audio-) Visualität vorzustellen. Möglich wurde sie um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert durch die Herstellung kristallener Spiegel. Die dramatische soziale wie ästhetische Vorbildwirkung dieses innovativen Handwerksprodukts, seine Popularisierung zwischen Renaissance und Aufklärung vom feudalen Luxusgegenstand, der Staatshaushalte ruinierte, zum Alltagsgegenstand, der in keinem bürgerlichen Haushalt fehlen durfte, seine Nutzung vor allem zur Selbstkontrolle und individuellen Stilisierung, aber auch über Jahrhunderte hinweg zu unterhaltenden Zwecken ist vielfach beschrieben worden. Im Fotorealismus avant la lettre, den immer bessere und klarere Kristall-, schließlich Flachglasspiegel erzeugten, gewann der neuzeitliche Mensch sein Selbstbild und wurde mittels der Korrekturen, die er an sich durchführte und am interaktiven Ebenbild probte, erst zum Individuum im modernen Sinne, zum Einen und Einzigartigen.

"Am Anfang war der Spiegel: Vom Winde verweht (USA, 1993) und Matrix (USA, 1999)

Vorindustrielle Audiovisualität: Realismus

Das Bild, das der Spiegel gab, nach zu erschaffen, dauerhaft zu speichern und in der Inszenierung ästhetisch zu übertreffen, wurde so mit der Renaissance zum Ideal. Ihr zentrales Mittel fand diese handwerkliche Imitation der Realität in der Perspektivlehre. William Mitchell hat beschrieben, wie ihr Verfahren zur realistischen Bildkonstruktion aus Spuren des Empirischen in die Richtung industrieller Reproduktions- wie digitaler Konstruktionspraktiken strebte. Als Urtext benennt er Della pittura (1435), da Alberti zum ersten Mal, was Brunelleschi praktisch demonstriert hatte, theoretisch als exakte Konstruktionsmethode zur Bildproduktion konzipierte, als „einen genauen Schritt-für-Schritt-Algorithmus zur Konstruktion, mit Hilfe von Zeichenapparaten, eines stimmigen monoperspektivischen Blicks auf eine Szene“

Laterna magica

Dem in der Perspektivlehre fundierten Ideal eines spiegelähnlichen Realismus visueller Darstellung entsprangen medientechnische Anstrengungen, die Zuverlässigkeit, Produktionsgeschwindigkeit und Qualität visueller Darstellungen durch mechanische Hilfsmittel zur Realitäts- und Bildprojektion zu steigern. In ihrem Zentrum standen immer kleinere und kompliziert verspiegelte Varianten der Camera obscura, des Urmodells der Foto- und Filmkamera, sowie die Laterna magica, das Urmodell aller Projektionsapparaturen. Den Höhepunkt mechanisch produzierter und perspektivisch ermächtigter Audiovisualität bedeutete schließlich seit dem 16. Jahrhundert die Guckkastenbühne. Ihre spezifische ästhetische Leistung glich darin dem fortgeschrittensten Bildmedium, dem perspektivischen Tafelbild, dass sie – im Gegensatz zu ihren Vorgängern – den Blick auf das Geschehen präzise steuerte. Der Illusionsraum, den sie erschuf, wirkte auf die Zeitgenossen nicht minder revolutionär als Jahrhunderte später das Kino. Der neue Horizont, den diese audiovisuelle Nachahmung des Lebens eröffnete, ließ die Bühne zum Leitmedium werden – zu den Brettern, die der vorindustriellen Epoche die Welt bedeuteten.

Das halbe Jahrtausend zwischen Renaissance und Aufklärung, zwischen dem Beginn der Mechanisierung und den Anfängen der Industrialisierung, war so die Epoche eines imitierenden Realismus. Er betrieb, dem Vorbild zeitgenössischer Handwerksarbeit folgend, die Nachahmung des Wirklichen mittels mathematischen Wissens, einfacher Werkzeuge sowie natürlicher oder handwerklich zugerichteter Materialien. Das erstrebte Ergebnis der künstlerischen Arbeit war ein Original, das handwerklich hergestellte Einzelstück. Visuell dominierten Varianten der Perspektivtechnik, audiovisuell die Guckkastenbühne.

Die kategoriale Differenz freilich, welche sie von nahezu allen Medien trennte, die ihr seit Beginn der industriellen Epoche nachfolgten, war der Umstand, dass sie jeden Abend neu bespielt werden musste, also – wie freilich um die Mitte des 20. Jahrhunderts auch das Fernsehen für einige Jahrzehnte – zur medial adäquaten Speicherung ihrer Audiovisionen nicht befähigt war. Darin glich um 1800, am Ende der mechanischen Epoche, die bald die vorindustrielle heißen sollte, ihr Leitmedium noch dem Spiegel, dessen Erfahrung um 1300 am Anfang der Entwicklung gestanden hatte. Dieser nachhaltigen Behinderung zum Trotz stellte die Guckkastenbühne, weil sie anders als etwa sakrale Riten und Spiele oder der Karneval auf der Produktionsseite den Einsatz avancierter Medientechnik erforderte, eine bedeutende Entwicklungsstufe dar – von natürlicher zu künstlich produzierter Wahrnehmung, von der primären zur sekundären Audiovisualität.

Industrielle Audiovisualität: Fotorealismus

Der Fortschritt zu zuverlässigeren, schnelleren und erschwinglicheren Produktionsweisen audiovisueller Kunst, Unterhaltung und Information eskalierte mit der Industrialisierung. Analoge Bild- wie Tonaufzeichnungsgeräte reproduzierten Reales auf prinzipiell gleiche Weise: durch automatisierte Fixierung von Licht- und Tonspuren, durch Realitätsabdruck also. Technisch setzte die Entwicklung nach 1800 mit der parallelen Entwicklung zahlreicher fotografischer Verfahren zur Erzeugung von perspektivischen Einzelbildern ein. Was der Spiegel zeigte, automatisch zu speichern, wurde dann erstmals um 1840 mit der Daguerreotypie in begrenztem Umfang möglich – Daguerreotypien reproduzierten zwar fotorealistisch durch Speicherung fossilen Lichts, waren jedoch Originale, spiegelverkehrte Unikate.

Sehr frühe Daguerreotypie

Mit der sukzessiven Beschleunigung dieses ursprünglich langwierigen, erst Stunden, dann Minuten dauernden fotografischen Prozesses auf Sekundenbruchteile wurde es um die Wende zum 20. Jahrhundert erstmals möglich, visuelle Ereignisse im Augenblick ihres Geschehens standardisiert „festzuhalten“. Wo zuvor Flüchtigkeit herrschte oder allenfalls mühsame Handarbeit ex posteriori ein Abbild zu erzeugen vermochte, das selbst in avancierten Fällen mehr subjektives Können als die realen Geschehnisse dokumentierte, die es abbildete, da erschufen Foto- und bald auch Filmkameras nun recht mühelos objektive, weil vom Objektiv eingefangene Bilder, die im Prinzip eins zu eins der Realitätsvorlage entsprachen. Hinzu traten analog-maschinelle Verfahren der Tonspeicherung. Binnen weniger Jahrzehnte stieg dann das Intermedium Tonfilm zum Leitmedium und die auf ihm basierende audiovisuelle Narration, der tönende Spielfilm, zum ästhetischen Vorbild auf.

„Filmische“ Züge gewannen bald der moderne Roman, die Lyrik, das Drama, die Malerei, ja selbst weite Bereiche der Musik. In der Hochzeit des Industrialismus beherrschte der Fotorealismus alle Bereiche der Kulturproduktion bis hin zu den vorindustriellen Künsten, die zu ihm zwar technisch nicht imstande waren, auf sein erdrückendes Vorbild gleichwohl ästhetisch reagierten. Um 2000, kurz nach dem hundertsten Geburtstag des Mediums, konnte Eric Hobsbawm daher schreiben:

Es kann schwerlich bestritten werden, dass die wirkliche Revolutionierung der Künste im zwanzigsten Jahrhundert nicht den Avantgarden des Modernismus gelang, sondern außerhalb des Gebiets geschah, das förmlich als ‘Kunst’ anerkannt ist. Auslöser des Gelingens war die Verbindung der Bestrebungen von Technologie und Massenmarkt […], vor allem natürlich das Kino, Kind der Fotografie und die zentrale Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts.

Die zwei Jahrhunderte zwischen Früh- und Postmoderne beziehungsweise zwischen Beginn der Industrialisierung und Postindustrialisierung wurden so zur Epoche eines Realitätsspuren speichernden Fotorealismus. Sein Grundkennzeichen war Automatisierung, eine zumindest partielle Übertragung menschlicher Tätigkeiten auf Maschinen und Medien, die selbst maschinell produziert werden konnten. Erstrebt wurde nicht länger Imitation, sondern Reproduktion. Deren Resultat war kein Original, sondern die Kopie, das Negativ, welches wiederum massenhafte Vervielfältigung ermöglichte.

Der hier veröffentlichte Text von Gundolf Freyermuth ist eine gekürzte und leicht veränderte Version eines Artikels aus dem von Daliela Kloock herausgebenen Buch: Zukunft Kino. the End of the Reel World. Schüren Filmbuch Verlag. 352 S. 400 farb. Abb., z.T. doppelseitig. 49,00 €

Die siebte Kunst ist dabei sich radikal zu verändern: Unter dem Vorzeichen der Digitalisierung entstehen neue Filmbilder, Wahrnehmungs- und Rezeptionsformen, neue Techniken des Sehens, Erzählens und Produzierens. Filmpublizisten, Medienwissenschaftler, Psychiater, Informatiker und Filmemacher gehen den Spuren dieser Transformationsprozesse nach und kommen zu provozierenden und kontroversen Ergebnissen. Interviews mit Tom Tykwer, Benedict Neuenfels, Edgar Reitz.

Die kategoriale Differenz freilich, welche den analogen Film von allen vorherigen audiovisuellen Medien und Kunstformen trennte, war der Umstand, dass er Realitätsspuren speicherte, Licht und Tonwellen, und insofern künstlerisch nur mit dem operieren konnte, was auf die eine oder andere trickreiche Weise einmal vor das Objektiv einer Kamera beziehungsweise vor das Mikrofon eines Tonaufzeichnungsgeräts gebracht worden war. Diese einzigartige Eigenschaft erschien den Zeitgenossen zugleich als Nach- und Vorteil.

Einerseits gab die fotorealistische Reproduktion, da sie die Realität nicht mehr imitierte, sondern deren unmittelbarer Abdruck war, materielles Zeugnis. Die indexikalische Verbindung der visuellen und auditiven Speichermedien zu dem, was sie bewahrten, garantierte medial Authentizität. Andererseits waren dem Spielfilm als Erzählform mit dieser Fundierung in realem Handeln im Vergleich etwa zum Roman starke Fesseln angelegt. Der nachhaltigen Behinderung zum Trotz bedeutete der Tonfilm, da er nicht nur auf Seiten der Produktion den Einsatz industrieller Medientechnik erforderte, sondern auch auf Seiten der Vorführung im Kino (und später im Fernsehen), medienhistorisch die nächste Entwicklungsstufe – von der sekundären zur tertiären Audiovisualität.

Krise des Fotorealismus

Ungenügen an den Qualitäten des industriellen Fotorealismus, insbesondere am klassischen Hollywood-Spielfilm, wurde seit der Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich. Die Krise reproduzierender Bildlichkeit: dass mit Postindustrialisierung und Digitalisierung gesellschaftlich ästhetische Bedürfnisse aufkamen, die von den industriellen Medien und den auf ihnen basierenden Darstellungs- und Erzählformen nicht mehr gänzlich zu befriedigen waren, konstatierte Robert Sklar (in Movie-made America: A Cultural History of American Movies, 1976) bereits für den kommerziellen Film der unmittelbaren Nachkriegszeit. Zu seinen medialen Mängeln zählte das zeitgenössische Kunstwollen neben der Beschränkung auf die Reproduktion des Realen auch die sensorische Depravation in der Reduktion auf fixierte audiovisuelle Zweidimensionalität. Was das Kino um die Jahrhundertmitte zu behindern schien, noch mit analog-maschinellen Mitteln zu überwinden, wurde auf dreifache Weise versucht.

Technische Experimente

Erstens kam es bereits seit den fünfziger Jahren innerhalb des Mediums zu einer Reihe von Experimenten, die auf eine den Fotorealismus transzendierende Bildlichkeit und Immersion zielten. Ihren unmittelbaren Anlass hatten sie in der Etablierung des Fernsehens, das reine Realitätsreproduktion, ob nun tatsächlicher oder inszenierter Ereignisse, billiger und schneller besorgte. Das Hollywoodkino reagierte auf diese Konkurrenz mit in einer Vielzahl von Experimenten zur sensorischen Aufladung des Filmerlebnisses, u. a. Cinemascope, Panavision und Cinerama. Die horizontale Erweiterung verstärkte das subjektive Empfinden der Immersion: das Gefühl, in eine andere Welt einzutauchen, mittendrin und dabei zu sein. Darüber hinaus wurden die Farben bunter, die Töne lauter und lebensechter. Dem dermaßen gesteigerten Fotorealismus entsprach künstlerisch eine Welle kostspielig ausgestatteter Filme, die sich auch thematisch der heimeligen Alltäglichkeit der Fernsehbilder entgegenstemmten und deren tricktechnisch erzeugte Welten – der Fantasie, der Geschichte, der Zukunft – die bunteren Bilder umso spektakulärer wirken ließen.

Zweitens versuchten Pioniere einer postindustriellen Audiovisualität ebenfalls seit den 1950er Jahren, das filmische Erleben in die dritte Dimension zu katapultieren und dadurch interagierender Immersion und multisensorischer Erfahrbarkeit zu erschließen. Dies geschah innerhalb des Kinos über technische Aufrüstung (3-D-Filme, Smell-O-Vision, AromaRama etc.). Es geschah weiterhin mit Hilfe von innovativen Apparaturen, die – wie vor allem Mort Heiligs multisensorisches Experience Theater und Sensorama – zugleich auf Edisons Kinetoskopen zurück- und auf Erfahrungen mit digitalen Simulatoren und Virtual-Reality-Filmritten voraus wiesen, wie sie erst ab Mitte der 1980er Jahre möglich und zur populären Attraktion werden sollten. Und es geschah – auf Anhieb am erfolgreichsten –, indem jene audiovisuellen Filmwelten, die im analog-maschinellen Reproduktionsmedium interagierender Immersion nicht zugänglich waren, schlicht herbeigebaut und damit betretbar gemacht wurden.

Disneyland

Pionier dieser Anstrengung war Walt Disney. Was er erstrebte und was ihm der Film verwehrte, war dreidimensionale Lebensechtheit: „ein Zeichentrickfilm, der das Publikum umhüllt“. Die Mittel, die Beschränkungen fotorealistischer Audiovisionen zu überwinden, fand er in den Filmfabriken selbst. Disneyland, 1955 als erster in einer langen Reihe von Themenparks eröffnet, nutzte die gesamte Palette des in Hollywood akkumulierten Illusions-Know-hows: realistischen Kulissen- und Modellbau, Bewegungsplattformen, elektronische Steuerung und Automatisierung, technische Kontrolle visueller und akustischer Sensationen. Wie die ästhetischen Verfahren entnahm Disney auch die Themen und Motive des Parks seinen erfolgreichsten Filmproduktionen.

Geschichten und Erzählräume zweidimensionaler Filme wurden in der Dreidimensionalität rekonstruiert und in Bewegungsattraktionen von Vergnügungsparks verwandelt.

Erkki Huhtamo

Utopische Konzepte

Drittens schließlich entwickelten sich – wie zu Zeiten des handwerklichen Realismus mit der Utopie des Gesamtkunstwerks – nun auch spekulative Reflexionen auf eine Zeit nach dem farbigen Tonfilm. Zwei Theorien des Films, die kurz nach der Mitte des 20. Jahrhunderts formuliert wurden, indizieren den Übergang von der industriellen zur postindustriellen Sicht des Mediums. Siegfried Kracauer schrieb (in Theory of Film: The Redemption of Physical Reality,1960) den Status quo als Aufgabe fest, die Errettung der äußeren Wirklichkeit zu betreiben. Der Gedanke, die Verpflichtung des Films auf die Dokumentierung von – zudem inszenierter – Wirklichkeit könne wie einst seine Verpflichtung zur Stummheit technischen Mängeln geschuldet sein, lag jenseits von Kracauers Perspektive. Für ihn stellte das Kino seiner Gegenwart eine mehr oder weniger fertige Kunst dar.

Dagegen behauptete André Bazin (in What Is Cinema, 1967) die Sehnsucht nach einem anderen, einem „vollkommenen Kino“ – „the myth of total cinema“ –, das die Wahrnehmung der Realität in ihrer Multisensorik reproduzieren sollte und in dessen Konturen dasselbe Verlangen nach Lebensechtheit aufschien, das damals auch Mort Heilig oder Walt Disney trieb. Summierte Kracauer den historischen Stand, zur Theorie gewendet, so operierten Bazins Gedanken, gerade weil sie utopisch waren, dicht an den Bedürfnissen künstlerischer Praxis. Die meisten Filmkünstler nämlich verlangten, so lange es Kino gab, nach der Befreiung von den Zwängen der materiellen Realität und erstrebten, frei wie Romanciers oder Maler über ihr Material auch über die Inhalte der laufenden Bilder bestimmen zu können.

Die Mittel zu einer solchen souveräneren Filmproduktion ließen sich industriell kaum zur Verfügung stellen. Filmemacher waren es denn auch eher als Filmtheoretiker, die in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf die sukzessive Ablösung analoger durch digitale Verfahren mit Imagination reagierten, mit utopischen Entwürfen neuer, medial gesteigerter Formen audiovisuellen Erzählens: von Douglas Trumbulls Verlangen nach einem postcinematischen Illusionspunkt „an dem ein Film wie ein Geschehen des wirklichen Lebens erscheint”, über George Lucas’ Hoffnung auf ein biotechnisch induziertes Drogenkino – „Bilder zu erschaffen, ohne sie tatsächlich herzustellen, so, wie man sie in einem Traum erzeugt“ – bis zu Walter Murchs Zukunftsvision eines Cinema of the Mind, einer „einer Blackbox, eines schwarzen Zauberkastens, der die Gedanken einer einzelnen Person unmittelbar in sichtbare cinematische Realität verwandeln könnte.”

Mit der Krise des Industrialismus wuchs so in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Ungenügen an dem prinzipiellen Verfahren der industriellen Medien, Realitätsspuren zu speichern. Nicht anders, als im 18. und 19. Jahrhundert die Effekte des Tonfilms sowohl ersehnt wie herbeigebastelt wurden, kam es nach 1950 zu einer Reihe von technischen und formalen Experimenten sowie utopischen Reflexionen. In ihrer Gesamtheit arbeiteten sie deutlich auf Effekte und Rezeptionserlebnisse hin, wie sie erst digitale Bild- und Tonproduktion leisten konnten, und damit auf eine nach dem handwerklichen Realismus und industriellen Fotorealismus nun dritte Variante der Audiovisualität. Ihr herausragendes Kennzeichen sollte es sein, folgt man dem Telos der audiovisuellen Experimente wie Gedankenspiele, die ästhetischen Qualitäten des Fotorealismus zu bieten, ohne dessen indexikalische Anbindung an Reales noch zu erfordern.

Digitalisierung der Töne & Bilder

Die technologische Basis der Digitalisierung wurde um die Mitte des 20. Jahrhunderts gelegt. John von Neumann konzipierte die Virtualisierung der Werkzeuge und Geräte (Programme), Claude Elwood Shannon die der Materialien und Speichermedien (Dateien). Damit war die kategoriale Scheidung von Hard- und Software vollzogen. Erste technische Realisierungen gelangen um 1960 mit der Analog-Digital-Konversion von Tönen und Bildern beziehungsweise deren synthetischer Generierung. Ein weiteres Vierteljahrhundert jedoch verging, bis digitale Hard- und Software leistungsfähig genug war, dass sie vom experimentellen zum regulären Mittel audiovisueller Produktion werden konnte.

Praktiken digitaler Audiovisualität

Im Bereich der Bildherstellung schälten sich zwei grundlegende Verfahrensweisen heraus: einerseits die Konversion analoger Abbilder (scanning) beziehungsweise analoger Realität (capture) als Basis für die nachfolgende arbiträre Manipulation im Medium der Software; andererseits die komplette Neukonstruktion (Computer Aided Design – CAD) und Animation (Computer Generated Imaging – CGI). Diese Generierung knüpfte, wie William Mitchell beschreibt, an Verfahren der frühen Neuzeit an, Spuren des Realen aufzunehmen und Bilder gleich „ohne Kamera eingefangenen Fotografien” herzustellen. Die von Künstlern und Wissenschaftlern der Renaissance erprobten Verfahren gewannen nun neue Bedeutung: „Alberti etablierte eine Allianz zwischen Malerei und Wissenschaft, die bis zum Aufkommen der Fotografie währte; mit der Computergrafik wurde sie neu belebt. Anfang der 1960er Jahre hatten Pioniere der Computergrafik (insbesondere Steven A. Coons und Larry G. Roberts) eine Version des Algorithmus zur perspektivischen Konstruktion entwickelt, die vom Computer kalkuliert werden konnte ... ein Ereignis, das auf seine Art nicht weniger bedeutend war als Brunelleschis Demonstration der Perspektivtechnik.”

Annäherung an fotorealistische Qualität: Jurassic Park. Bild: UIP

Die erste Variante digitaler Visualität dominierte, als sie aus den Forschungslaboren in die Filmstudios drang, zunächst in der Realfilm-Produktion. Die zweite Variante kam dagegen in der Herstellung von digitalen Spielen und Trickfilmen zum Einsatz, bis CAD und CGI sich um die Mitte der neunziger Jahre – nach Jurassic Park (1993) – fotorealistischer Qualität annäherten. Diese Spaltung und spätere Verschmelzung der Digitalisierung von Real- und Trickfilm wird besonders deutlich am Beispiel von Pixar. Mitte der achtziger Jahre von George Lucas an Steve Jobs verkauft, weil ILM wenig Interesse an der Entwicklung nicht-fotorealistischer Animation hatte, ermöglichte das von Pixar weiterentwickelte Programm Renderman dann Anfang der neunziger Jahre ILM die Erschaffung des Terminator 2 und der Jurassic-Park-Dinosaurier in fotorealistischer Qualität und wurde seitdem in der Produktion einer Vielzahl von Realfilmen eingesetzt. Seit der Wende zum 21. Jahrhundert finden denn auch generell beide Varianten digitaler Bildherstellung in allen Bereichen der A/V-Produktion Verwendung.

Mediale und kulturelle Konsequenzen

Terminator 2

Deren Resultat sind so Szenen, die nicht länger Resultat analog-maschineller Reproduktion in Hardware-Medien sind, sondern sich arbiträrer Konstruktion im Medium digitaler Software verdanken. Wer in ihm heute arbeitet, dem stellt sich treuliche Reproduktion als lediglich eine Option unter anderen dar – im Falle der Konversion als eine von vielen Filterungen, im Falle der Generierung als eine unter unzähligen Gestaltungsmöglichkeiten. Digitale Audiovisionen entbehren so jenseits der Frage, wie im einzelnen Fall ge- und bearbeitet wurde, indexikalischer Authentizität prinzipiell. Solch Realismus, der die Anmutung fotografischer Reproduktion erzeugt, freilich nicht mehr das Ergebnis eines automatisierten Abdrucks von Realität ist, sondern subjektiver Schöpfung entspringt, heißt, seit er in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ästhetisch entworfen und zuerst mit malerischen Mitteln realisiert wurde, Hyperrealismus.

Das Verlangen nach ihm, nach Audiovisionen, die an die Speicherung realer Ereignisse und Handlungen nicht mehr gefesselt sind, lässt sich – nicht anders als der Übergang von der (audio-)visuellen Imitation mit handwerklichen Mitteln zur Reproduktion mit industriellen Mitteln – auf einen nachhaltigen Wandel ästhetischer Ansprüche und künstlerischer Ziele zurückführen. Der soziokulturellen Erfahrung der Industrialisierung begegnete die Kunstproduktion einst mit automatisierter Reproduktion von Bildern und Tönen, indem also die zentrale Innovation industrieller Technologie, die Möglichkeit zur von künstlicher Energie getriebenen Hardware-Automatisierung, ästhetischen Zwecken adaptiert wurde. Gegenwärtig nun vollzieht sich das digitale Komplement:

Mit der virtuellen Konstruktion von Bildern und Tönen adaptiert sich die audiovisuelle Produktion der zentralen Innovation digitaler Technologie: der Virtualisierung, das heißt der Ersetzung von Hard- durch Software. Auch diese Modernisierungsleistung wird wesentlich von einem Wandel ästhetischer Interessen getrieben. Hinter ihm steht die historisch neue Erfahrung der Befähigung zu virtuellem Handeln im Datenraum und speziell der wertschöpfenden Manipulation von Bits statt Atomen sowie des aus ihr folgenden Aufstiegs einer neuen sozialen Schicht digitaler Wissensarbeiter.

Mit der Digitalisierung entstand so in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein neues A/V-Medium, vergleichbar dem mechanischen Medium Theater / Guckkastenbühne und dem industriellen Medium Kino / Film: digitale Software. Sie freilich ist ein universelles Medium, das eine Vielzahl analoger Künste in sich zu bergen vermag. Für die Spielarten analoger Visualität und Audiovisualität bedeutet Digitalisierung daher ihre transmediale Aufhebung unter dem Vorzeichen einer Ermächtigung zu arbiträrer Konstruktion, wie sie zuvor die Malerei kennzeichnete: „Film wird ein besonderer Zweig der Malerei – Malerei in der Zeit“, schreibt Lev Manovich (in The Language of New Media, 2000): „Nicht länger ein Kino-Auge, sondern ein Kino-Pinsel.“

Die Gegenwart der Zukunft // Hyperrealismus

Noch nicht herausgeformt hat sich freilich ein Äquivalent zu den dominierenden A/V-Künsten der mechanischen und der industriellen Epoche, dem Drama und dem Spielfilm. Im – recht groben – Vergleich mit der Vor- und Frühgeschichte industrieller Audiovisionen ähnelt der aktuelle Stand allenfalls dem Ende des 19. Jahrhunderts. Wie damals, jedenfalls im Rückblick, wesentliche ästhetische Elemente der künftigen Spielfilmkunst bereits versammelt waren – in den Perspektiven des Panoramas, in den visuellen Effekten von Wagners Bayreuther Bühnenbetrieb, in den rudimentären Narrationen der chronofotografischen Clips und der Kurzstreifen von Edisons Kinetograph –, so lassen sich gegenwärtig wohl drei Elemente zukünftiger digitaler Audiovisionen ausmachen.

Auf der Suche nach einer digitalen Ästhetik

Die digitale Aufbesserung des 20 Jahre alten Blockbusters: Star Wars – The Phantom Menace. Bild: Fox

Erstens hat das Unterhaltungskino sich kontinuierlich digitale Mittel und Verfahren erobert. Technisch wie ästhetisch vorangetrieben wurde die Digitalisierung des Films dabei seit Mitte der 1970er Jahre vor allem durch George Lucas. Seine Firma Industrial Light & Magic (ILM) produzierte in den 1980er und 1990er Jahren mehr Meilensteine des (proto-) hyperrealistischen Kinos als alle Konkurrenten und bestimmte mit den eigenen Forschungsschwerpunkten den Verlauf der A/V-Digitalisierung. Seit den frühen neunziger Jahren hob Lucas die etablierten Strukturen industrieller Studioproduktion sukzessive zugunsten der individualisierten Praktiken digitaler Wissensarbeit auf. Die Kombination der Innovationen, zu denen es schließlich 1999 kam – von der Premiere des ersten gänzlich digital bearbeiteten Kinofilms Star Wars – The Phantom Menace über die Reihe erster öffentlicher digitaler Vorführungen bis zur Erprobung der ersten digitalen Filmkamera –, ließ die Jahrtausendwende zur Sattelperiode werden, auf die filmhistorisch die Geburt des digitalen Films datiert. Lucas wurde damit, wie Rob Sabin in der New York Times schrieb, „derjenige, der einem Vater des digitalen Kinos am nahesten kommt.“ Er selbst bemerkte im Jahr 2000 zur Zukunft von Zelluloid als materialem Träger audiovisueller Erzählungen:

Ich liebe Film, aber er ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Das Jahrhundert des Films ist vorbei. Wir leben jetzt in der digitalen Epoche ...

Zwar schuf George Lucas keine neue Kunst- und Erzählform, er modernisierte mit dem Übergang ins digitale Transmedium das tradierte filmische Erzählen aber so nachhaltig wie einst die Einführung des Tonfilms, der Übergang also von visueller Monomedialität zur audiovisuellen Intermedialität. Wie Wagner im Medium der Bühne Elemente industrieller Audiovisualität antizipierte, so Lucas im Medium des Films digitale Audiovisualität. Verschlossen blieb beiden jedoch jenes Moment, das den Kern der neuen Medien ausmachte: Wagners Bühnenspektakeln die Bewegung durch Raum und Zeit, wie sie erst der Film leisten konnte; Lucas’ Filmspektakeln der interaktive Umgang mit der Fiktion, wie er im digitalen Transmedium dank Flüssigkeit und Rückkanal technologisch gesetzt ist.

In dieser Hinsicht dürften zweitens die grafisch wie narrativ einfachen Video- und Computerspiele, die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts aufkamen, jenen Part einnehmen, den die Chronofotografie im Prozess der medialen Industrialisierung spielte. Denn wenn auch ästhetisch inferior blieb, was vor dem Film an visueller Bewegung mittels fotografischer Apparaturen erzeugt wurde, so gelang doch medientechnisch die Herstellung des zentralen Effekts industrieller Audiovisualität, die Verräumlichung der Zeit und ihre Rekombination zum Lauf der Bilder. Ebenso realisieren digitale Spiele, wenn auch – noch – nicht in hyperrealistischer Bildqualität, mittels individualisierter Steuerung des audiovisuellen Geschehens und subjektiver Blickkontrolle eine mitspielerische Immersion und Echtzeit-Interaktivität bis hin zu virtueller Präsenz.

Hyperrealistische Synthespians: Final Fantasy (USA/Japan, 2001). Bild: Sony

Conditio sine qua non fiktionaler Partizipation sind freilich drittens Software-Darsteller, deren Handeln in der Produktion wie bei der Rezeption arbiträr manipulierbar bleibt. Die Bemühung, solch hyperrealistische Synthespians zu erschaffen, währt bereits zwei Jahrzehnte. Fotorealistische Präsenz von Stars in Verbindung mit ihrer medialen Existenz außerhalb der Fiktionen unterminiert die Wirkung hyperrealistischer Audiovisionen und steht auch deren interaktiver Steuerung entgegen. Adäquater „verkörpern“ virtuelle Helden die digitale Menschheit und ihre ästhetischen Sehnsüchte. Auf den Niedergang des Filmschauspielers deutet nicht nur seit Mitte der neunziger Jahre der Aufstieg virtueller Helden, die wie in Casper (1995), Toy Story (1995), Dragonheart (1996), Shrek (2001) oder gar Final Fantasy (2001) ganze Filme tragen. Deutlicher noch indiziert ihn die kuriose Konversion fotorealistischen Spiels in hyperrealistisches, etwa in Sin City (2005) oder A Scanner Darkly (2006).

Shrek. Bild: Universal

Ein Grund mag im Zerfall der industriellen Ordnung der Dinge und des Lebens liegen. Immer weniger erscheinen wir uns als gefestigtes bürgerliches Original, wie es der Theaterschauspieler auf der Bühne darstellt, oder als stets gleiche massenmenschliche Kopie, wie sie der Filmstar auf die Leinwand bringt, sondern eher als situativ wechselnde Varianten teils konkurrierender, teils komplementärer Lebensentwürfe. Dieser Beobachtung korreliert, dass der fantasmatische Profanraum, in dem aktuelle Wissensarbeiter ihre – multiplen – Identitäten erproben, sich nicht länger im Real-, sondern im Datenraum findet. Dort vollendet sich der Prozess entmaterialisierender Entortung, der mit dem Film begann: Wo auf der Bühne noch Menschen aus Fleisch und Blut stehen, zeigt das Kino Lichtbilder. Online streifen nun nach den Darstellern auch die Zuschauer, indem sie zu virtuellen Mitspielern werden, ihre Körperlichkeit zugunsten medialisierter Präsenz ab. Das ideale Publikum hyperrealistischer Helden stellen Avatare.

Quartäre Audiovisualität

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts schwindet so die kulturelle Dominanz des reproduzierenden Fotorealismus. Wenn nicht an seine Stelle, dann doch an seine Seite tritt hyperrealistische Audiovisualität. Bietet mechanische Audiovisualität eine nicht speicherbare Spiegelung und industrielle Audiovisualität eine gespeicherte Spiegelung, die nur zeigen kann, was sich vor einem Objektiv tatsächlich zutrug, so bringt das digitale Transmedium die Befähigung zu fiktiver Spiegelung, beliebiger Speicherung und Nachbesserung. Bilder und Töne, gleichwohl sie fotorealistisch anmuten, entstammen dem technischen Prinzip nach unabschließbarer und arbiträrer Filterung, Konstruktion und Manipulation. Erstrebt wird anstelle manueller Imitation oder maschineller Reproduktion nun virtuelle Konstruktion. Deren Resultat ist weder Original noch Kopie, sondern eine Variante, die sich wiederum nicht nur endlos kopieren, sondern ebenso endlos variieren lässt.

Digitale Audiovisualität, das ist ihre kategoriale Differenz, verschmilzt gestalterische Souveränität, wie sie handwerklicher Bildlichkeit eignet, mit den Qualitäten industrieller Reproduktion. Diese einzigartige Ermächtigung erscheint gleich der Durchsetzung des Fotorealismus als Nach- und Vorteil. Ersteren sieht man im Verlust indexikalischer Authentizität. Er macht das Abbildparadigma der industriellen Medien als historisches Intermezzo erkennbar. Denn im digitalen Transmedium stellt sich die Frage nach der Authentizität der Gehalte wieder wie zu vorindustriellen Zeiten: als etwas, das sich nicht an mediale Qualitäten, sondern an Autorenschaft bindet.

Als Vorteil dagegen tritt die Manipulierbarkeit hyperrealistischer Audiovisionen durch Produzierende wie Rezipierende hervor. Ihre Popularisierung, wie sie sich in OFF- und Online-Spielwelten ankündigt, beruht dabei auf dem qualifizierten Einsatz digitaler Medientechnik nicht nur – wie bei Film und Fernsehen – durch Produzenten und Distributoren, sondern zur Nutzung des Rückkanals auch auf Seiten der Rezipienten selbst. Damit bedeutet digitale Audiovisualität medienhistorisch die nächste Entwicklungsstufe – den Übergang von der tertiären zur quartären Audiovisualität.

Resümee & Ausblick

Medienhistorisch stellt sich die Entwicklung neuzeitlicher Audiovisualität vor und nach dem Kino so dar als ein Medien wie Darstellungsformen akkumulierendes Fortschreiten:

  1. vom Realismus der Bühne
  2. über den Fotorealismus des industriellen Kinos
  3. zum virtuellen Hyperrealismus des digitalen Transmediums.

Realistische Bilder und Audiovisionen wurden und werden mit handwerklichen Mitteln als imitierende Komposition produziert, fotorealistische Bilder und Audiovisionen mit industriellen Mitteln als kopierende Selektion (und Hardware-Montage), hyperrealistische Bilder und Audiovisionen mit digitalen Mitteln als arbiträre Konstruktion (und Software-Montage).

Kulturgeschichtlich zeigt sich dabei die audiovisuelle Produktion als gleichermaßen ästhetisch, technisch und soziokulturell determiniert. An ihrem Anfang stand das Interesse, Leben so realistisch abzubilden, wie es sich vor dem Spiegel reflektierte. Im Theater verband sich diese Sehnsucht mit den Möglichkeiten mechanischer Technologie sowie dem bürgerlichen Wille zu Selbstrepräsentation und Selbstreflexion. Im analogen (Ton-) Film adaptierte die fortdauernde ästhetische Sehnsucht das gesteigerte Potenzial industriell produzierter Medien wie das Bedürfnis, die Erfahrungen der Industrialisierung, großstädtisches Leben und tayloristisches Arbeiten, audiovisuell zu verarbeiten. Eine vergleichbare Aufgabe stellt sich nun: die Erfahrung der Digitalisierung, des virtuellen Lebens und Arbeitens, im digitalen Transmedium adäquat zu gestalten. Neue, genuin transmediale Genres audiovisueller Produktion kündigen sich denn auch in den ästhetischen Neuerungen des Digitalfilms, den technischen Experimenten digitaler Spiele und nicht zuletzt in der Popularisierung virtueller Akteure an.

Ähnlich der Steigerung analoger Audiovisualität vom Realismus zum Fotorealismus mittels Hardware-Automatisierung könnte die ästhetische Innovation aus der Software-Automatisierung des – bis dato eher von Hand und Maus – gefertigten Hyperrealismus resultieren. Die medientechnische Basis: dass laufende Bilder von nahezu hyperrealistischer Qualität sich aus je subjektiver Perspektive in Echtzeit generieren lassen, jedenfalls ist gelegt. Audiovisuelle Fiktionen, die unter den Bedingungen des Realismus als handwerklich-materielle Imitation herzustellen sind, unter denen des Fotorealismus als automatisiert-materielle Reproduktion und beim aktuellen Stand des Hyperrealismus als handwerklich-virtuelle Konstruktion, könnten damit demnächst als automatisiert-virtuelle Simulation entstehen – vor den Augen ihrer Produzenten / Zuschauer / Nutzer / Mitspieler.