Auf dem Weg in den Handelskrieg

Getrieben von US-Präsident Obama und osteuropäischen Falken, bereiten sich die EU-Chefs nun auch auf eine weitere Eskalation der Krimkrise und auf russische Gegenmaßnahmen vor

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He did it again. Wie schon beim letzten EU-Ukraine-Krisengipfel vor 14 Tagen gab auch diesmal US-Präsident Barack Obama den Marschbefehl für die Europäer vor. Noch bevor Kanzlerin Angela Merkel und ihre Fellow-Chefs am Donnerstag ins Brüsseler Ratsgebäude einmarschiert waren, kündigte Obama schon neue Sanktionen gegen Russland an.

Zum ersten Mal ist auch eine russische Bank auf der Strafliste der USA. In einer neuen Verordnung habe er zudem die Grundlage für Sanktionen gegen "Schlüsselsektoren" der russischen Wirtschaft geschaffen, drohte Obama.

Damit ist der Fall da, den Merkel um jeden Preis verhindern wollte: Aus den symbolischen Sanktionen gegen ein paar willkürlich ausgewählte russische Politiker droht ein handfester Handelskrieg zu werden. Offiziell diskutierten die EU-Chefs beim strikt abgeschirmten Brüsseler Abendessen (keine Berater, keine Handys, keine Pressebriefings) zwar nur über EU-Sanktionsstufe 2: Reiseverbote und Kontensperrungen. Doch Obamas Offensive brachte Merkel & Co. in Zugzwang.

Schon vor Beginn des Gipfels hatten Polen und Balten eine neue Eskalationsstufe 2,5 ins Gespräch gebracht. Auf die Namensliste der russischen "Ziele" sollten auch Oligarchen und andere Wirtschaftsbosse gestellt werden. Um zwölf weitere Personen solle die bisher 21-köpfige EU-Liste erweitert werden, hieß es. Doch das ist noch längst nicht alles. Gleichzeitig wollten die Chefs nämlich auch über die Reaktion auf mögliche Gegenmaßnahmen des russischen Präsidenten Wladimir Putin diskutieren.

Man wolle sich gegenseitigen Beistand zusichern, berichteten EU-Diplomaten. Dafür gibt es gleich zwei Gründe. Zum einen fürchten die Zauberlehrlinge der EU, dass Putin schon am heutigen Freitag zurückschlagen könnte, wenn der Gipfel wie geplant das umstrittene Assoziierungsabkommen mit der Ukraine unterzeichnet. Dieses Abkommen hatte die Krise in Kiew überhaupt erst ausgelöst; es läuft Putins Plänen für eine Zollunion bzw. eine Eurasische Union diametral entgegen.

Zum anderen dämmert es langsam auch dem letzten EU-Chefs, dass man auf Gegenmaßnahmen Putins schlecht vorbereitet ist. Das gilt nicht nur für die Gasversorgung, die in weiten Teilen Osteuropas fast vollständig von Russland abhängt. Dies gilt auch für den Bankensektor (hier ist vor allem Österreich exponiert), den Export (Deutschland), Finanzgeschäfte (Großbritannien) oder den Rüstungssektor (Frankreich). Mit gezielten Sanktionen könnte Putin ganze EU-Länder in die Knie zwingen.

Und so mussten die Chefs beim Gipfelessen eine ganz andere Diskussion führen, als geplant war (und als es die Medien berichteten). Es ging nicht mehr nur darum, mit welchen Sanktionen man Putins vermeintlichen neuen Expansionsplänen Einhalt gebieten könnte. Es ging auch darum, wie man sich gegen die Kollateralschäden der drohenden Sanktionsspirale schützen könnte.

Die deutschen "Tauben" gegen die osteuropäischen "Falken"

Polen war bei dieser Debatte offenbar führend. Die EU-Kommission solle schnellstmöglich Vorschläge für die Sanktionsstufe 3 (Handelssanktionen) und mögliche Selbstschutzmaßnahmen vorbereiten, berichteten Diplomaten in Brüssel.

Für die Bundesregierung ist dies eine schwere Niederlage. Schon beim letzten Krisengipfel zur Ukraine hatte sie Sanktionen verhindern wollen. Die Drohung mit Strafmaßnahmen war aus deutscher Sicht einzig und allein mit dem Ziel verbunden, Russland an den Verhandlungstisch zu drängen und eine Kontaktgruppe zur Krim zu installieren. Die Stufen 2 und 3 waren nur zur Beruhigung der Polen und Balten gedacht. Die Stufe 3 sollte nach offizieller deutscher Lesart nur dann ausgelöst werden, wenn Putin sich auch in der Ostukraine einmischen würde.

Doch Merkel hat die Rechnung ohne den wankelmütigen Obama und die Falken in Osteuropa und Großbritannien gemacht. Für sie ging es von vornherein darum, Putin zu bestrafen und den "Preis" für die russische "Aggression" in die Höhe zu treiben. Nach der Annektierung der Krim kann dieser Preis für die Hardliner nicht mehr hoch genug sein. Gerade weil die USA und die Nato ein militärisches Einschreiten auf der Krim ablehnen, wollen sie die ökonomischen Gegenmaßnahmen maximal aufrüsten.

"Doppelstrategie" aus Sanktionen und Wirtschaftsgesprächen

Es sind also zwei völlig unterschiedliche taktische Ziele, die die deutschen "Tauben" und die osteuropäischen "Falken" in der Sanktionspolitik verfolgen. Auch bei der Strategie für die Ukraine gehen die Meinungen weit auseinander. Von einem schnellen EU- und Nato-Beitritt über eine lockere Assoziierung bis hin zu einem neutralen Status à la Finnland reichen die Positionen in der EU. Aber darüber spricht man nicht gern; schließlich gilt es, die Fassade der Einigkeit und Solidarität zu wahren.

EU-Parlamentspräsident und SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz auf der Pressekonferenz. Bild: Rat der Europäischen Union

Wie das geht, machte EU-Parlamentspräsident und SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz vor. Als einziger tat er am Donnerstagabend vor die Presse - und legte einen Auftritt hin, der selbst einen Franz-Josef Strauß begeistert hätte. "All diejenigen, die geglaubt haben, Krieg oder Kriegsgefahr wären kein Thema mehr, sehen sich eines Besseren belehrt", sagte Schulz auf dem EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel. "Wir reden vom Risiko eines bewaffneten Konflikts", fügte er hinzu. Das "sehr brutale Vorgehen" Russlands zur Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim bedeute eine "neue Dimension".

Als Antwort empfahl Schulz eine "Doppelstrategie" aus Sanktionen und Wirtschaftsgesprächen - das Geschäft darf natürlich nicht zu kurz kommen. Außerdem müsse der Ukraine schnell geholfen werden, möglichst ohne die geplanten IWF-Auflagen. Auf die Frage, wie er seine Strategie begründe, antwortete Schulz - der nach der Europawahl EU-Kommissionspräsident werden will - mit einem Zitat des Australiers Christopher Clark. Vor 100 Jahren sei Europa schlafwandlerisch in den 1. Weltkrieg geschlittert, rezitierte Schulz die umstrittene Kernthese Clarks. Dies dürfe nicht wieder geschehen. Deshalb müsse man mit Putin reden, ihm aber auch seine Grenzen aufzeigen.

Wie Putin will auch die EU schnell Tatsachen schaffen

Dass es die Europäer seit Beginn der Ukraine-Krise im Herbst 2013, ja seit Jahren tunlichst vermieden haben, mit Russland zu reden, sagte Schulz nicht. Dass EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy noch am Vortag des Gipfels eine heimlich geplante Moskau-Reise absagte - offenbar auf Druck der Falken -, ließ der SPD-Mann auch unerwähnt. Es hätte wohl nicht in das selbstgerechte, mal weinerliche, mal aggressive Klima dieses Gipfels gepasst.

Wir sind die Guten, wir reagieren ja nur - das war die vorherrschende Meinung. Dabei will die EU noch heute Fakten schaffen, die die Lage weiter verschärfen könnten. Merkel und ihre Chef-Kollegen wollen das Assoziierungs-Abkommen mit der Ukraine unterzeichnen, von dem sie selbst fürchten, dass es Putin zu einem Gegenschlag reizen könnte. Und sie wollen 11 Milliarden Euro Finanzhilfen für die nicht gewählte Interims-Regierung in Kiew freigeben.

Dies ist ziemlich genau die Summe, die Putin der Ukraine schon im Dezember angeboten hatte. Damals hieß es in Brüssel noch, so viel wolle und könne die EU nicht geben. Heute ist davon keine Rede mehr. Schulz versprach sogar, die Finanzspritze im Eilverfahren im Europaparlament durchzuwinken. Auf die für Ende Mai geplanten Wahlen in der Ukraine müsse man dabei nicht warten, so Schulz. Schließlich sei Eile geboten.

Die EU will sich ihren Teil der Ukraine sichern - Demokratie und Selbstbestimmung kann man sich im Clinch mit Russland offenbar nicht mehr leisten. Nach Putin schaffen nun auch die Europäer vollendete Tatsachen.

ukraine.htm