Auf dem Weg in die Tyrannei?

Seite 3: Hexenjagd und Umbruchszeiten

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Der McCarthyismus der späten 1940er und der 1950er Jahre, eine Art „Reinkarnation“ der anti-kommunistischen Hysterie im Zuge des ersten Weltkrieges, erwies sich zum Glück als zeitlich begrenzter Exzess, der in der Folge dazu führte, dass die gesetzlichen Grundlagen, auf denen die Schauprozesse des House Committee for Un-American Activities beruhten, revidiert wurden.

Allerdings wurden bis dahin einige hundert Amerikaner inhaftiert; schätzungsweise 10.000-12.000 US-Staatsbürger verloren ihren Arbeitsplatz und fanden sich auf schwarzen Listen wieder 5 – was schon im Falle einer Vorladung durch das HCUA geschehen konnte.

In der langen Liste der Betroffenen finden sich Namen wie Charlie Chaplin, Leonard Bernstein, Orson Welles und Arthur Miller wieder. Trotzdem es viele, auch prominente, Kritiker der inquisitorischen Methoden McCarthys und seiner Unterstützer gab (neben den oben genannten Opfern zum Beispiel auch Harry S. Truman, Präsident der Vereinigten Staaten von 1945-1953, sowie eine Reihe von Senatoren, Medienvertretern 6 und anderen Vertretern des Establishments), wurde das Land nahezu zehn Jahre lang von einer quasi-totalitären, Gesinnungskontrollen befürwortenden, Bewegung terrorisiert.

Die Basis, auf die sich McCarthy dabei stützen konnte, bestand sowohl aus rechtsextremen Gruppierungen (von militanten Antikommunisten bis hin zu christlich-fundamentalistischen Nationalisten), aber eben auch aus einer breiteren Masse von Organisationen und Personen, die McCarthys Hexenjagden entweder aus politischen oder aus opportunen Gründen unterstützen.

So wurde, im Fahrwasser von McCarthys Demagogie, eine Reihe von Kampagnen gegen sozialstaatliche Institutionen und Bestrebungen, wie bspw. die Einrichtung einer öffentlichen Gesundheitsversorgung, geführt. Aber auch staatliche Organe, allen voran J.Edgar Hoovers Federal Bureau of Investigation, unterstützten und ermöglichten McCarthys Säuberungsaktionen (z.B. durch das FBI-Programm COINTELPRO).

Erst als McCarthy seine Säuberungsaktionen auf das Militär auszudehnen versuchte, begann sein Stern zu sinken.

Gegenbewegungen

Die schwerwiegenden Eingriffe in die, durch die Bill of Rights garantierten, Grundrechte, wie beispielsweise das Recht auf freie Meinungsäußerungen (1st Amendment) oder das Recht sich nicht selbst belasten zu müssen (5th Amendment), führten dazu, dass der oberste Gerichtshof der USA die meisten (zur Anzeige gebrachten) Bestrafungen später revidierte bzw. deren legale Grundlage als nicht verfassungsgemäß beurteilte.7

Diese Gegenbewegung, die als Reaktion auf die McCarthy-Ära einsetzte und in den 60er Jahren auch zur tatsächlichen (legalen) Gleichstellung der afroamerikanischen, später auch der indianischen, Bevölkerung führte (1964: Verabschiedung des Civil Rights Act sowie des 24th Amendment zum Verbot einer Wahlsteuer, 1965: Voting Rights Act, 1968: Indian Civil Rights Act), untermauert auch den viel zitierten Vergleich des politischen Systems der Vereinigten Staaten mit einem Pendel, welches in zunächst eine Richtung und infolgedessen anschließend in die entgegengesetzte Richtung schwingt.

Der plötzliche Modernisierungsschub und die verstärkten Investitionen in einen durch Franklin D. Roosevelts New Deal in Gang gebrachten Sozialstaat spitzten die gesellschaftliche Situation in der, durch das steigende Engagement im Vietnam-Krieg ohnehin polarisierten, Nation weiterhin zu – bis hin zu massiven Auseinandersetzungen und teilweise fast bürgerkriegsartigen Unruhen in vielen Städten.

Unter dem Eindruck der gesellschaftlichen Entwicklungen und des Abhörens und Ausforschens unbescholtener Bürger durch US-Geheimdienste, kam es zu einem Wandel in der US-amerikanischen Rechtskultur, infolgedessen sich die Judikative, unter Führung des US Supreme Court, verstärkt den in der Bill of Rights verankerten Grundrechten zuwandte.

Das Ergebnis dessen war die Reduzierung staatlicher Eingriffsmöglichkeiten, die Stärkung von Meinungs-, Religions- und Pressefreiheit, von Verfahrensrechten bis hin zur persönlichen Privatsphäre – die Erweiterung und Zementierung individueller Freiheiten – alles als Resultat der Exzesse staatlicher Organe. 8

Kriege ohne Kriegserklärung

Während es im Bereich der freiheitlichen Grund- und Bürgerrechte so schien, als ob die Tage des repressiven Staates gezählt waren, eröffneten sich hinsichtlich der verfassungsmäßig verankerten Gewaltenteilung neue Abgründe.

Seit dem Zweiten Weltkrieg hatten die Vereinigten Staaten zwei größere Kriege (in Korea und Vietnam) geführt, ohne jedoch eine vom Kongress sanktionierte, formale Kriegserklärung abzugeben - obwohl es in der Verfassung der Vereinigten Staaten heißt: „Der Kongress soll die Macht haben […], den Krieg zu erklären“ (Artikel 1, Absatz 8, Zeile 11).

Aufgrund dessen wurde 1973 die War Powers Resolution erlassen. Sie besagt unter anderem, dass der Präsident den Kongress vor dem Beginn von Feindseligkeiten informieren muss und Kampfhandlungen nach sechzig Tagen eingestellt werden müssen, wenn der Kongress bis dahin keine Kriegserklärung ausspricht oder eine Resolution verabschiedet, die den entsprechenden Kriegseinsatz autorisiert. Theoretisch soll damit die Entscheidungsgewalt der Legislative in Fragen von Krieg und Frieden gewährleistet werden, praktisch jedoch wird sie damit reduziert. Schließlich wusste schon Niccolo Machiavelli:

Man kann einen Krieg beginnen, aber niemals beenden, wann man will.

Auch alle weiteren Kriege, die von den USA seitdem geführt wurden (bis hin zum 2.Golfkrieg 1990-91 und dem Irak-Krieg, der 2003 begann), sind niemals offiziell vom Kongress erklärt worden. Die Legislative hat in all diesen Fällen die nötigen Budgets abgesegnet, meist ohne große Einwände gegen die Forderungen der Exekutive.

Auf diese Art ist eine der Sicherungsvorkehrungen in der US-Verfassung, die den Machtmissbrauch durch den Präsidenten verhindern soll, ausgehebelt worden, denn im Zweifelsfall stehen die Chancen eher schlecht, dass der Kongress einen schon begonnenen Krieg zügig beenden würde, zumal er sich dann dem Vorwurf aussetzen müsste, „unpatriotisch“ zu handeln.

Es ist natürlich auch möglich, den Kongress mittels falscher Informationen schon im Vorfeld eines möglichen Krieges zur Abgabe einer Autorisierung zu bewegen, wie im Falle des Irak-Krieges. Letztendlich jedoch bleibt festzuhalten, dass auf diese Weise eine der fundamentalen Prinzipien der amerikanischen Verfassung umgangen wurde und dies mit der War Powers Resolution auch noch legalisiert wurde. Damit ist eine schleichende Erosion der Gewaltenteilung im Sinne der Checks and Balances gegeben; die Warnungen George Madisons, John Adams' und anderer amerikanischer Gründerväter vor der Vermischung exekutiver und legislativer Befugnisse bleiben damit bestehen und sind, angesichts des andauernden Irak-Krieges, genauso aktuell wie vor 220 Jahren.