Auf dem Weg in die Tyrannei?

Seite 4: Herbst 2000: Das Rad dreht sich zurück

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Mit einem Paukenschlag fiel die Entscheidung der Präsidentschaftswahl 2000. Der US Supreme Court unter Chief Justice Rehnquist entschied die Wahl durch eine äußerst kontroverse Entscheidung, die den Verdacht der Parteilichkeit hinterließ.

So hatte der oberste Gerichtshof die erneute Auszählung der Wählerstimmen mit 5 zu 4 Stimmen gestoppt, unter Hinweis auf die uneinheitlichen Standards zur Stimmenauszählung – was vor der Wahl anscheinend nicht von Interesse war. Damit hatte eine konservative Mehrheit von, teilweise durch Bushs Vater ernannten, Richtern George W. Bush zum Präsidenten gekürt, obwohl die Stimmennachzählung einen Wahlsieg des Demokraten Al Gore nahe legte (und im Nachhinein bestätigte).

Generell hat seit den Anschlägen des 11.9.2001 ein erneuter Wandel in der Rechtskultur in den Vereinigten Staaten eingesetzt. Stand im Zuge der 60er Jahre die Stärkung individueller Freiheiten im Vordergrund, so wird seit 9/11 „das Rad zurückgedreht“.

Der Patriot Act, der direkt nach 9/11 aus der Schublade geholt wurde, legte den Grundstein dazu. Es gibt Berichte über Abhör- und Überwachungsmaßnahmen, die Millionen amerikanischer Staatsbürger betreffen.

Obwohl damit sowohl gegen die Verfassung (bspw. gegen den vierten Zusatzartikel), als auch gegen andere gesetzliche Bestimmungen verstoßen wird, welche aus guten Gründen erlassen wurden, hat der Präsident das Abhören amerikanischer Staatsbürger ohne richterliche Genehmigungen durch Geheimdienste, deren Einsatz im Landesinnern illegal ist, angeordnet.

Angesichts der Fakten, die bezüglich der Bespitzelung politischer Dissidenten in den USA während der 60er Jahre vorliegen, scheint sich der Verdacht zu bestätigen, dass auch die derzeitigen Maßnahmen in diese Richtung eingesetzt werden – zumal Orwellsche Überwachungsprogramme wie Total Information Awareness eindeutig die Bevölkerung unter Generalverdacht stellen (TIA ist inzwischen durch das Programm ADVISE abgelöst worden).

Die Entscheidungen des US Supreme Court unter dem Vorsitz des neuen obersten Richters, John Roberts, deuten bis jetzt nicht darauf hin, dass der oberste Gerichtshof progressive Positionen vertreten wird, wie er es in den 1960er Jahren unter Chief Justice Earl Warren tat.

Eingriffe in die freiheitlichen Grundrechte und die verfassungsmäßige Gewaltenteilung

Von ebenso großer Wichtigkeit sind die Eingriffe in die freiheitlichen Grundrechte und die verfassungsmäßige Gewaltenteilung, die seit dem Beginn des sogenannten Global War against Terror (GWOT) vorgenommen wurden.

Im Military Commissions Act von 2006 wird festgelegt, dass der Status Unlawful Enemy Combattant (UEC) im amerikanischen Recht verankert wird. Damit wird ein neuer Rechtsstatus geschaffen, der in einer Grauzone - zwischen Prisoner of War (POW) und zivilen Häftlingen - existiert und bis dato weder im internationalen Recht, im US-Strafrecht, noch im Kriegsrecht erwähnt wurde.

Durch den Military Commissions Act wird allen Personen, die als UEC eingestuft werden, das Recht auf Haftprüfung und ein rechtsstaatliches Verfahren (Habeas Corpus Act) verwehrt und deren unbegrenzte Inhaftierung an Orten wie dem berüchtigten Internierungslager Guantanamo (Motto: Ehre verpflichtet, die Freiheit zu verteidigen) legalisiert. Gleichzeitig wird dem Präsidenten die Macht zugesprochen, selbst festzulegen, inwieweit internationales Recht, wie beispielsweise die Bestimmungen der Genfer Konvention, zu beachten ist.

In diesem Zusammenhang wird durch den Military Commissions Act die Verwendung durch Folter erzwungener Geständnisse ermöglicht und darin verstrickten Staatsvertretern Immunität zugesichert.

Jüngste Recherchen der „New York Times“ deuten darauf hin, dass das US-Justizministerium zwar öffentlich Folter ablehnt, insgeheim aber der Anwendung brutaler Foltermethoden rechtliche Rückendeckung erteilte.

Rechtliche Grauzonen und legale „Hintertüren“

Ein weiterer fragwürdiger, bis dato wenig beachteter, Punkt ist die Frage, auf welche Personen der Military Commissions Act eigentlich zutrifft. Während im Dokument meist von Alien Unlawful Enemy Combattants die Rede ist, also von ausländischen feindlichen Kämpfern, ist an anderer Stelle - im selben Dokument - die Rede von Unlawful Enemy Combattants.

Einige Stimmen sind der Meinung, der Military Commissions Act wäre nicht auf US-Staatsbürger anwendbar. Andere Kritiker hingegen, darunter der demokratische Kongressabgeordnete David Wu sowie Bill Goodman vom Center for Constitutional Rights, einem gemeinnützigen Verein für Fragen des Verfassungsrechtes, sind diesbezüglich der Meinung, dass der Präsident aufgrund dieser Uneindeutigkeit auch amerikanische Staatsbürger zu „ungesetzlichen Kämpfern“ erklären kann.

Weitere beunruhigende Aspekte enthält der Defense Authorization Act 2007, der hinsichtlich des Posse Comitatus Act, welcher den Einsatz des regulären Militärs für Polizeiaufgaben im Inland verbietet, eine eindeutige Sprache spricht:

[…] Der «NDAA 07» beinhaltet bestimmte Vorschriften, die es dem Militär erlauben, die Kontrolle der normalen Polizei- und Strafverfolgungsfunktionen auf der Ebene des Bundes und der Einzelstaaten zu übernehmen.[…] Paragraph 1076 des «NDAA 07» setzt den «Posse Comitatus Act» von 1878 außer Kraft, der das Militär daran hindert, sich in die Arbeit der zivilen Regierung, einschließlich der Justiz und der Strafverfolgung, einzumischen. Der «Posse Comitatus Act» war für das Funktionieren einer verfassungsmäßigen Regierung zentral.

Katastrophaler Notstand

Darüber hinaus werden in der National Security Presidential Directive 51/Homeland Security Presidential Directive 20 Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Regierung (Continuity of Government) im Falle eines Catastrophic Emergency (katastrophalen Notstandes) angeführt.

Besagter katastrophaler Notstand wird definiert als „jeder Zwischenfall, unabhängig vom Ort, der in außergewöhnlichen Größenordnungen von Massenverlusten und/oder Zerstörungen resultiert oder zu schweren Störungen führt, welche die US-Bevölkerung, die Infrastruktur, die Umwelt, die Wirtschaft oder die Regierungsbehörden betreffen.“

Die daraufhin, anhand NSPD 51, in Gang gesetzte Änderung des Continuity of Government Plan würde schließlich dazu führen, dass die verfassungsmäßige Ordnung, inklusive der Gewaltenteilung, außer Kraft gesetzt würde.

Während in früheren Plänen die nationale Koordinationsstelle für Notfälle (FEMA) bzw. das Heimatschutzministerium maßgeblich für Continuity of Government zuständig waren, überträgt NSPD 51 außerordentliche Machtbefugnisse an das Weiße Haus, unter anderem auch die Befugnis zum Einsatz der Streitkräfte im Inland.