Auf dem Weg in die Tyrannei?

Seite 2: Die Jagd auf den Inneren Feind

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Bürgerkrieg

Im amerikanischen Bürgerkrieg, der am 12. April 1861 mit der Beschießung von Fort Sumter durch konföderierte Truppen begann, kam es erstmals zu schweren Eingriffen in die individuellen Freiheitsrechte der (weißen) US-Bürger.

Als Reaktion auf Unruhen, Aktionen lokaler (konföderierter) Milizen und die Drohung des Staates Maryland, sich von der Union los zu sagen - was die Unions-Hauptstadt Washington schutzlos inmitten feindlichem Territoriums gelassen hätte - wurde am 27. April 1861 der Habeas Corpus-Artikel durch Präsident Abraham Lincoln, gemäß der Richtlinien der Suspension Clause, in Maryland und in Teilen des mittleren Westens zeitweise aufgehoben. Lincoln begründete diese Handlung mit dem Argument, dass er als Präsident in dieser Notlage eher ein Gesetz einschränken müsse, anstatt zuzulassen, dass die gesamte Regierung „in Stücke zerfällt“.

Als im Jahr 1862 Teile der Demokratischen Partei, die den Bürgerkrieg ablehnten und eine Einigung zwischen Union und Konföderation unter allem Umständen erreichen wollten (die so genannten „Peace-Democrats“ oder „Copperheads“), immer mehr Zulauf bekamen und öffentlich Präsident Lincoln kritisierten, setzte Lincoln erneut Habeas Corpus außer Kraft, dieses Mal allerdings landesweit. Lincoln erklärte diesbezüglich, alle Personen, die sich gegenüber der gewählten Regierung illoyal verhielten (z.B. indem sie gegen die Einberufung der Bürger protestierten oder Soldaten zur Desertion ermutigten), würden gemäß des Kriegsrechtes behandelt werden.

Diese Entscheidung wurde, trotz eines Gerichtsbeschlusses (Ex parte Merryman), der sie als nicht verfassungsgemäß einstufte, von Präsident Lincoln und der Militärführung der Union beibehalten.

Im Zuge dieser Ereignisse wurden schließlich etwa 13.000 amerikanische Staatsbürger inhaftiert, bis der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten den Habeas Corpus-Artikel im Jahr 1866 wieder in Kraft setzte.

Verbot des Einsatzes der regulären US-Streitkräfte im Inland

Im Nachhinein wurde als Konsequenz aus dem Bürgerkrieg im Jahr 1878 der Posse Comitatus Act erlassen. Er verbietet den Einsatz der regulären US-Streitkräfte im Inland und damit die Anwendung des Kriegsrechtes innerhalb der USA.

Allerdings wurde der Posse Comitatus Act durch den Vizeverteidigungsminister David Packard bereits im Jahr 1971 teilweise aufgehoben (ehe er 2006 vom John Warner National Defense Authorization Act gänzlich außer Kraft gesetzt wurde), in dem er die Verhängung des Kriegsrechtes im Falle einer schwerwiegenden Störung der Regierungstätigkeiten, bspw. durch Naturkatastrophen oder Unruhen, legitimierte.

Erster Weltkrieg und ‚Rote Angst’

Auch im dritten großen Krieg, an dem die Vereinigten Staaten im Laufe ihrer Geschichte beteiligt waren, wurde in die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte der Amerikaner eingegriffen.

Schon vor Eintritt der USA in den Krieg bildete sich in den Staaten, im Zuge heftiger Debatten zwischen Kriegsgegnern und –befürwortern, eine große und lautstarke Friedensbewegung, die aus Vertretern der verschiedensten gesellschaftlichen Schichten und Gruppierungen bestand – von Pazifisten und Quäkern über Sozialisten und progressive Reformer, bis hin zu Industriellen wie Henry Ford und Andrew Carnegie. 2

Kurz nachdem die Vereinigten Staaten in den ersten Weltkrieg eintraten, wurde der Espionage-Act von 1917 als Bundesgesetz verabschiedet. Er legt fest, dass jede Person, die „Informationen mit der Absicht verbreitet, die Operation oder den Erfolg der Streitkräfte der Vereinigten Staaten zu beeinträchtigen, oder den Erfolg ihrer Feinde zu fördern“ als Verbrecher behandelt und mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden könne. Versuche, sich der Wehrpflicht zu entziehen, wurden ebenfalls verschärft geahndet.

Weiterhin wurden der Espionage-Act und seine 1918 verabschiedete Erweiterung - der Sedition-Act - genutzt, um unliebsame Publikationen zu zensieren, in dem der US Postal Service die Anweisung erhielt, jegliche Materialien, welche unter die Bestimmungen des erweiterten Espionage-Act fielen, nicht zu befördern.

Sedition-Act

Der dazugehörige Sedition-Act verbot amerikanischen Staatsbürgern den Gebrauch von „illoyaler, gotteslästerlicher, niederträchtiger oder beleidigender Rede“ über die Regierung, die Flagge oder die amerikanischen Streitkräfte. Als Resultat wurden landesweit etwa 75 Zeitungen nicht mehr verlegt oder zumindest zensiert, da von nun an jegliche Kritik an der US-Regierung oder am Krieg als Verbrechen galt.

Diese Maßnahmen, ergänzt durch eine anti-deutsche (und teilweise auch anti-irische) Kampagne des Committee on Public Information, führten rasch zu einer hysterischen Jagd auf den „inneren Feind“, zu dem ein jeder gehören konnte, der den Kriegseintritt der USA nicht begrüßte oder gar kritisierte.

Gründungen von Organisationen zum „Selbstschutz“ und zur Überwachung „unamerikanischer“ Aktivitäten, wie bspw. die American Defense Society u.a., waren eine weitere Folge des Klimas, welches seinerzeit in den Vereinigten Staaten vorherrschte (die sogenannte Red Scare) und letztendlich jeden Ansatz zum Widerstand gegen die Kriegspolitik erstickte. 3

Auch wurden in der Folge Hunderte von Kriegsgegnern inhaftiert, teilweise für zehn oder zwanzig Jahre - so zum Beispiel der Präsidentschaftskandidat der Sozialistischen Partei, Eugene V. Debs.

Er wurde nach einer Rede im Jahr 1918 verhaftet und wegen „Behinderung der Rekrutierungsmaßnahmen“ zu zehn Jahren Haft verurteilt (1921 wurde er von Präsident Harding begnadigt). Seine Rede enthielt, neben scharfer Kritik an der Rolle der Kriegsbefürworter und –gewinnler in Wall Street, in Wirtschaft und Politik, auch konkrete Beispiele für die gezielte Ermordung amerikanischer Gewerkschafter und die Manipulation des Staates durch Vertreter der bürgerlichen Elite in den Vereinigten Staaten.

Haftstrafen für Kritiker

Während sich am Espionage-Act von 1917 noch die Geister scheiden, ist die überwiegende Mehrheit der amerikanischen Verfassungsrechtler der Ansicht, das durch den Sedition-Act erweiterte Gesetz sei verfassungswidrig und schränke das im ersten Zusatzartikel zur US-Verfassung verankerte Recht auf freie Rede in illegitimer Weise ein, da der „Erste“ keinerlei Ausnahmeregelungen (z.B. für Kriegszeiten) enthält.

Allein im Bundesstaat Montana wurden mehr als siebzig Menschen zu langjährigen Haftstrafen von bis zu 20 Jahren verurteilt, weil sie Kritik an Regierung oder Politik der Vereinigten Staaten geübt hatten. Zwar wurden einige der umstrittenen Gesetze, wie beispielsweise der Sedition-Act, 1921 außer Kraft gesetzt, aber der Espionage-Act bleibt prinzipiell trotzdem Teil des amerikanischen Rechtes (18 USC 793, 794).

In einem Prozess (New York Times vs. Sullivan) im Jahr 1964 konnte die „New York Times“ speziellen Schutz für die Kritik von Regierungsmitarbeitern durch Journalisten erwirken, was den Straftatbestand der Sedition im amerikanischen Recht größtenteils aufhob.

Zweiter Weltkrieg – „präventive“ Internierung Unschuldiger

Der Angriff des japanischen Kaiserreichs auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor während des zweiten Weltkrieges führte erneut zu einer Situation, in der die verfassungsrechtlich festgelegten Rechte einer bestimmten Gruppe amerikanischer Staatsbürger mit Füßen getreten wurden.

In der Executive Order 9066 autorisierte Präsident Roosevelt die US-Streitkräfte, amerikanisches Territorium zu militärischen Zonen zu erklären, aus denen „bestimmte oder alle Personen entfernt werden können.“ Etwa 120.000 Menschen japanischer Abstammung, davon ca. zwei Drittel US-Staatsbürger, wurden zwangsweise aus dem Gebiet der US-Westküste umgesiedelt.

Die Mehrheit der Betroffenen, etwa 110.000 Menschen, inhaftierte man während des zweiten Weltkrieges bis Ende 1945 in Internierungslagern, die im entlegenen Landesinneren der USA errichtet wurden.

Auch aus lateinamerikanischen Ländern wurden Japaner und Amerikaner japanischer Abstammung an die Vereinigten Staaten übergeben, wo auch sie interniert und zum Teil zu Zwangsarbeit gezwungen wurden. Ähnliches traf auf Tausende Amerikaner deutscher und italienischer Abstammung zu, wenngleich diese Bevölkerungsgruppen in der Regel weitaus weniger stark schikaniert wurden.

Klagen vor dem obersten Gerichtshof

Während jener Zeit klagten einige Betroffene vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten gegen ihre Inhaftierung. Die Gründe dafür waren vielfältig: Die militärische Notwendigkeit dieser Aktionen konnte nicht überzeugend dargelegt werden, da keine Beispiele für japanische Sabotage- und Spionageaktivitäten in den USA erbracht werden konnten.

Ein Vertreter des Geheimdienstes der US-Navy erklärte beispielsweise, mehr als drei Viertel der Japaner in den USA und mehr als 90% der Amerikaner japanischer Abstammung seien absolut loyal gegenüber den Vereinigten Staaten; darüber hinaus gab es schlichtweg keine Beweise für eine Zusammenarbeit japanisch-stämmiger Bewohner der USA und des japanischen Kaiserreiches. 4

Ein weiteres Argument gegen die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der US-Regierung war der wirtschaftliche Schaden, der den Inhaftierten entstand (da sie nur das Notwendigste in die Lager mitnehmen durften), sowie der psychische Faktor – viele der Internierten kamen über die Ohnmacht in ihrer Rolle als potentielle Feinde und die daraus resultierende jahrelange Haft nie hinweg.

Auch wurde eine Reihe von Inhaftierten getötet, teils durch mangelnde medizinische Versorgung, teils durch Schüsse des Wachpersonals.

Rassistische Vorurteile anstatt fairer Prozesse

Ein fundamentaler Kritikpunkt hinsichtlich dieser innenpolitischen Exzesse war die Verletzung der bürgerlichen Freiheitsrechte durch Roosevelts Executive Order 9066.Tom C. Clark, ehemaliger Richter am Obersten Gerichtshof, merkte dazu an:

Die Wahrheit ist – wie diese bedauerliche Erfahrung beweist – dass Verfassungen und Gesetze an sich nicht ausreichend sind … trotz der eindeutigen Sprache der US-Verfassung, dass der Writ of Habeas Corpus [Vorführungsbefehl nebst Anordnung zur Haftprüfung, Anm.d.Autors] nicht ausgesetzt werden soll und trotz der Anweisung des fünften Zusatzartikels [zur Verfassung], dass keine Person, ohne ordentliches Gerichtsverfahren, ihres Lebens, ihrer Freiheit oder ihres Besitzes beraubt werden darf, sind diese beiden verfassungsmäßig garantierten Rechte durch Militäraktionen gemäß der Executive Order 9066 verweigert worden.

Trotzdem hatten die Klagen amerikanischer Staatsbürger gegen die Internierung größtenteils keinen Erfolg; der Supreme Court erklärte Ausgangsperren gegen Mitglieder einer Minderheit für verfassungsmäßig, wenn die USA mit der Nation, aus der die Minderheit stammte, im Krieg standen (Hirabayashi v. United States).

Weiterhin erklärte der Oberste Gerichtshof die Internierung generell für verfassungsgemäß, da der Schutz vor Spionage die individuellen Freiheitsrechte des Klägers überwiegen würde (Korematsu v. United States).

Erst in den 1980er Jahren wurden diese Gerichtsentscheidungen korrigiert, im Lichte einer Reihe freigegebener Dokumente der National Archives, welche belegten, dass die amerikanische Regierung und die US-Army wichtige Informationen bezüglich des Internierungs-Programms geändert oder zurückgehalten hatten. Im Jahre 1983 erklärte ein Untersuchungsausschuss des US-Kongresses, dass die Internierung „ungerecht und eher durch Rassismus denn durch tatsächliche militärische Notwendigkeiten motiviert war“; 1988 bekamen die Überlebenden schließlich eine Entschädigung in Höhe von $20.000 pro Person zugesprochen.

Allerdings - und das erscheint an dieser Stelle von höchster Wichtigkeit - wurden die rechtlichen Schlussfolgerungen des Obersten Gerichtshofes, insbesondere bezüglich der weit reichenden präsidentiellen Machtbefugnisse im Kriegsfall, von der Korrektur ausgenommen, so dass sie auch heutzutage eine Grundlage des geltenden Rechtes darstellen.