Auf dem rechten Auge blind
Ein internationales Gericht hat den kolumbianischen Staat wegen vergangener Massaker paramilitärischer Gruppen für schuldig befunden. Deren Treiben geht trotz des Friedensprozesses weiter
Zum siebenten Mal wurde dem kolumbianischen Staat vom Interamerikanischen Gericht für die Menschenrechte wegen Massaker rechter Paramilitärs die Mitschuld nachgewiesen. Neben hohen Entschädigungszahlungen fordert das Gericht auch angemessene Strafen für die Täter. Die können sich sich jedoch weitgehend vor der Justiz in Sicherheit wägen, nachdem die Regierung ihnen nach der Demobilisierung tausender Kämpfer nur äußerst milde Haftstrafen in Aussicht stellt. Von einem Ende des Paramilitarismus ist Kolumbien noch weit entfernt.
Nach fast zehn Jahren können die Angehörigen der Opfer zweier Massaker in Kolumbien auf Wiedergutmachung hoffen. Das Interamerikanische Gericht für Menschenrechte (CIDH) befand am Donnerstag letzter Woche einstimmig den kolumbianischen Staat für schuldig, welcher nicht die Massaker rechter Todesschwadrone im Juni 1996 und Oktober 1997 in dem Bezirk Ituango zu verhindern suchte, bei denen 19 Zivilisten selektiv ermordet wurden. Kurz vor dem Einmarsch der Milizen der Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) in dem Ort räumte die Armee kurzerhand eine Strassensperre, um diese ungehindert walten zu lassen.
Das Urteil verpflichtet nun die kolumbianische Regierung wegen “Verletzung des Rechts auf Leben” zu einer Entschädigungszahlung von rund 1,2 Millionen Euro an die Familienangehörigen der Opfer. Zudem hat sich der Staat auf höchster Ebene in einem öffentlichen Akt und in der Presse für die Tat zu entschuldigen. Mit Präsident Álvaro Uribe Vélez wäre damit wohl die angemessenste Person gefunden: Dieser war zu dieser Zeit Gouverneur der Provinz Antioquia, in welcher die Massaker stattgefunden hatten und in der das blutige Treiben der Paramilitärs im Kampf gegen linke Guerillagruppen mit hunderten ermordeten Zivilisten ihren Höhepunkt fand. Uribe forcierte in seiner Provinz die Gründung der legalen Selbstverteidigungsorganisation CONVIVIR, welche nur kurze Zeit später von der Nationalregierung verboten wurde, da diese von den illegalen paramilitärischen Gruppen kaum noch zu unterscheiden waren.
Straflosigkeit vorprogrammiert
Das Urteil ist nicht das erste in diese Richtung. In den letzten elf Jahren wurden sechs ähnliche Strafen gegen den kolumbianischen Staat verhängt, nachdem das Gericht eine enge Zusammenarbeit zwischen rechten Paramilitärs und der Armee für nachgewiesen erklärte, oder letztere schwere Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung verübten. Bei einer Militäroperation im Dezember 2001 etwa töteten Soldaten sieben Zivilisten in der Provinz Putumayo. Zu einer Entschädigungszahlung von rund 2,2 Millionen Euro verurteilte das Gericht Kolumbien, nachdem Paramilitärs mit Unterstützung der Armee sechs Personen in dem Ort Pueblo Bello ermordeten und 37 Menschen seitdem als verschwunden gelten. “Der Staat wird seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen”, erklärte die Regierung auf das Gerichtsurteil, welche das Eingestehen staatlicher Fehler einfordert. Dass aber die Empfehlungen des CIDH umgesetzt werden, ist zu bezweifeln.
Das Gericht legte dem kolumbianischen Staat nahe, “alle Hindernisse für eine Straflosigkeit ausnahmslos auszuräumen”. Doch davon kann in Kolumbien derzeit keine Rede sein. Nachdem mehr als 20.000 Kämpfer der AUC in den letzten zweienhalb Jahren in einem Friedensprozess mit der Regierung ihre Waffen abgelegt hatten, lieferte diese den Paramilitärs den rechtlichen Rückhalt für eine weitgehende Straffreiheit trotz schwerer Menschenrechtsverletzungen (Straffreiheit für Todesschwadronen). 2005 verabschiedete die Regierung das so genannte “Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden”, welches dafür den Grundstein legte. Vor einem eigens geschaffenen Gericht wären demnach die Täter nicht zu einer Aussage ihrer Verbrechen explizit gezwungen, die zu verhängenden Haftstrafen würden je nach Beweislage zwischen fünf bis maximal acht Jahren betragen. Erst das kolumbianische Verfassungsgericht stutzte diesen Entwurf im Mai diesen Jahres, auch wenn nach wie vor nicht eindeutig geklärt ist, welche Version letztlich bei den zu erwarteten Prozessen angewendet wird.
Neben der Pflicht zur vollständigen Aussage erklärte das Verfassungsgericht, dass verhängte Strafen vor dem Friedensprozess nicht außer Acht gelassen werden dürfen, was für viele Paramilitär-Kommandanten weit höhere Gefängnisstrafen wegen Mord und Drogenhandels nach sich ziehen würde.
Bereits im April 2003 wurde der Paramilitär-Chef Salvatore Mancuso in Abwesenheit von einem kolumbianischen Gericht zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem dessen Schuld für das genannte Massaker von 1997 in El Aro nachgewiesen wurde. “Kein Gesetz darf einem Staat verbieten, seine Pflicht zur vollen Bestrafung von Menschenrechtsverletzern zu verfolgen”, so das CIDH nun mit dem Hinweis vor einer zu erwartenden Strafmilderung, was dieses als “nicht akzeptabel” erklärte. Was im Moment noch Empfehlungen sind, könnten seitens des CIDH in Zukunft zu Verpflichtungen werden. Mit weitreichenden Konsequenzen: Die entwaffneten Paramilitärs kündigten mehrfach an, dass sie keine höheren Haftstrafen in Kauf nehmen wollen, was zu einem Ende des Friedensprozesses und einer Neubewaffnung tausender Kämpfer führen könnte.
Um das zu verhindern, will die Regierung in den nächsten Tagen Dekrete zugunsten der Paramilitärs erlassen. Nicht nur sollen diesen die Alternativstrafen garantiert, sondern die Haft so bequem wie möglich gemacht werden. Statt in normalen Gefängnissen plant die Regierung deren Internierung in Landwirtschaftskolonien oder auf Landsitzen, welche vom Staat bewacht werden sollen, wenn diese ein Drittel ihrer Haft in eigens geschaffenen Gefängnissen abgesessen haben. “Das ist ein Beweis dafür, dass die Paramilitärs den Prozess diktieren”, meint José Miguel Vivanco von Human Rights Watch. “Es ist unvorstellbar, dass die Regierung zu diesen Extremen auf Kosten des Rechtsstaates greift.”
Damit nicht genug: Die Regierung will verhindern, dass die Paramilitärs illegal und legal erworbenes Eigentum für die Entschädigungszahlungen an die Opfer bereitstellen, wie es das Verfassungsgericht eingefordert hatte. “Diese patriotische Verantwortung hat ein Limit, um ein nachhaltiges Leben in Würde des Demobilisierten zu garantieren”, so ein Punkt des Dekrets, in welches die kolumbianische Zeitung El Tiempo vor Veröffentlichung Einblick erhielt. Ein Schlag ins Gesicht der Opfer, zieht man das Angebot der AUC in Betracht. Diese kündigten zunächst an, 100.000 Hektar Land für Entschädigungszahlungen zur Verfügung stellen zu wollen. Diese Zahl wurde später auf 30.000 Hektar reduziert. Geschätzt wird allerdings, dass sich diese bis zu vier Millionen Hektar Land in den letzten Jahren durch Vertreibungen erworben oder für die Geldwäsche aus dem florierenden Drogenhandel erkauft haben. Laut der kolumbianischen NGO Indepaz würde eine internationalen Normen entsprechende Entschädigung von Opfern des paramilitärischen Terrors zwischen 1994 und 2004 rund sieben Milliarden Euro kosten. “Alle Entschädigungszahlungen dieser Art müssen von den illegalen Gruppen aufgebracht werden, die sich in einem Friedensprozess befinden”, lässt sich dazu von offiziellen Stellen hören. Die Regierungspolitik sieht jedoch anders aus.
Paramilitärs weiter aktiv
Während die AUC mit Ausnahme kleiner verbliebener Fraktionen zumindest als Name von der Bildfläche verschwinden, scheinen sich neue paramilitärische Verbände in Kolumbien zu formieren. In den südlich gelegenen Elendsvierteln der Hauptstadt Bogotá sollen sich bis zu acht neue paramilitärische Gruppen als Ableger der AUC gebildet haben. Morde, Drohungen und Rekrutierungen gehören dort zur Tagesordnung.
In der im Norden des Landes gelegenen Sierra Nevada de Santa Marta klagte die katholische Kirche Ende Juli an, dass dort 17 Kinder indigener Abstammung in der Gebirgsregion durch Mangel an Medikamenten und Unterernährung gestorben sind, nachdem paramilitärische Gruppen die Zone vollständig blockiert hatten.