Auf in den Cyberspace

Die zweite WSIS-Gipfelbesteigung beginnt

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Der für den November 2005 in Tunis geplante zweite Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) wirft seine Schatten voraus. Gestern begann in Genf eine zweiwöchige Konferenzserie, an deren Ende erste Entwürfe für die von den Staats- und Regierungschefs im Herbst zu verabschiedenden Dokumente stehen sollen. Was nach diplomatischer Kleinarbeit aussieht, wird höchstwahrscheinlich ein erneutes kontroverses Kräftemessen zwischen Regierungen, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft darüber, wie die "Digital Solidarity Agenda" finanziert und der Cyberspace gemanagt werden soll. Über 2000 Kombattanten haben sich angemeldet.

Das "Political Chapeau"

Als im Juni 2004 im tunesischen Hammamet die erste Vorbereitungskonferenz (PrepCom1) für den zweiten Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS II) ausging wie das Hornberger Schießen (WSIS II: Verbreiterung oder Vertiefung?), hatte der frisch gewählte neue WSIS-Präsident, der lettische Diplomat Janis Karkelins, die hoffnungsvolle Idee, mit Hilfe eines informellen Teams die für Februar 2005 geplante PrepCom2 besser vorzubereiten und Kontroversen bereits im Vorfeld runterzuspielen. Aus dem informellen Team wurde aber die mehr formelle Group of the Friends of the Chair (GFC), der 38 Regierungen als Mitglieder und der Rest der anderen Regierungen plus der Stakeholder aus Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft als Beobachter angehörten. Diese "Elefantengruppe" nun tagte in den letzten Monaten viermal offline, diskutierte wochenlang die verschiedensten Ideen und Entwürfe online und hat nun ein noch ziemlich vages, aber immerhin schon richtungsweisendes zweiteiliges Dokument mit den Arbeitstiteln "Tunis Commitment" und "Tunis Agenda for Action" vorgelegt.

Das sogenannte "Political Chapeau" des "Tunis Commitment" ist momentan noch mit Allgemeinplätzen gefüllt, die kaum mehr beinhalten als eine Bekräftigung der bei WSIS I im Dezember in Genf 2003 vereinbarten Grundsätze und Aktionspläne. Die Mehrheit der Regierungen möchte vermeiden, dass der fein ausbalancierte Kompromiss von Genf aus dem Gleichgewicht gerät (Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel). Da sich in den letzten 18 Monaten die Welt ja nicht grundlegend geändert hat, würde jedes Neuaufwerfen eines Problems zu nichts weiter führen als zu einer Zeit verschwendenden Wiederholung der Genfer Wortgefechte. Diesem Herangehen, die Kompromisse ruhen zu lassen, ist eine gewisse Weisheit nicht abzusprechen, auch wenn die Zivilgesellschaft zum Beispiel mit dem in Genf 2003 zum Thema "Menschenrechte" formulierten Status Quo nicht zufrieden ist. Aber natürlich gibt es Sinn, nach all den Wortklaubereien nun von den "Reflektionen" zu den "Aktionen" zu schreiten.

Dies ist jedoch einfacher gesagt als getan, wie ein erster Blick auf die Textentwürfe der drei großen Kapitel der "Tunis Agenda for Action" - Finanzierung, Internet Governance und Follow Up - zeigt.

Streitpunkte Finanzierung und Internet Governance

Am Streit über die Finanzierung der "Digital Solidarity Agenda" wäre WSIS I fast gescheitert. Der vom senegalesischen Präsidenten Wade geforderte "Digital Solidarity Fund" (DSF) war von den potentiellen Geberländern mit dem Hinweis auf die existierenden Finanzierungsmechanismen ausgebremst worden. Der Genfer Kompromiss sah vor, eine Task Force on Financial Mechanism (TFFM) zu bilden, die die existierenden Finanzinstrumente untersuchen und - das war die unausgesprochene Erwartung - Vorschläge unterbreiten sollte, woher das Geld für die Erreichung des großen Ziels, bis zum Jahr 2015 die Hälfte der Menschheit und jedes Dorf auf dem Globus online zu bringen, geholt werden kann.

Nachdem die TFFM im Januar 2005 ihren Bericht vorgelegt hat, begann die Kontroverse von Genf wieder aufzulodern (Bezahlt doch Euer Internet alleine!). Die TFFM war sehr zurückhaltend mit neuen Vorschlägen. Sie sprach das aus, was eigentlich alle wissen, dass von den Regierungen potentieller Geberländer nicht viel zu erwarten ist und das zusätzliches Geld nur vom privaten Sektor kommen kann. Für entsprechende investitionsfreundliche politisch-rechtliche Rahmenbedingungen wiederum seien die potentiellen Nehmerländer selber zuständig. Von einem "Digital Solidarity Fonds" ist jedenfalls im TFFM Bericht keine Rede. Und der diesem Fonds gewidmete Paragraph 25 in dem von Karkelins und seinen Freunden vorgelegten Entwurf der "Tunis Agenda for Action" enthält im Moment lediglich zwei Leerzeilen. Man muss kein Prophet sein um vorauszusagen, das es bei diesem Ringelspiel in den kommenden zwei Wochen hoch her gehen wird.

Nicht viel anders sieht die Situation beim Streitthema "Internet Governance" aus (Beim Weltgipfel zur Informationsgesellschaft geht es um die Kronjuwelen des Internet). Im Dezember 2003 in Genf hatten sich die Streitparteien nicht darauf einigen können, ob die Kernressourcen des Internet zukünftig weiter von der privaten ICANN verwaltet werden sollen oder ob man das ganze Management des Internet einer UN-Organisation - eventuell der ITU - überantworten sollte. Bei der desperaten Suche nach einem Formelkompromiss wandte man sich händeringend an Kofi Annan und bat ihn, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die erst einmal klären sollte, was denn das mysteriöse "Internet Governance" überhaupt ist, für welche Internet relevanten Aspekte man einen "Governance Mechanismus" benötigt und wer dann dieses Management, d.h. die "Regierungs- und Regulierungsfunktion", am besten ausüben kann.

Die 40köpfige Working Group on Internet Governance (WGIG) wurde nach einem monatelangen Tauziehen hinter den Kulissen erst im November 2004 von Kofi Annan berufen (Fasten Your Seatbelts) und wird am Vorabend der PrepCom2 zu ihrer zweiten Sitzung in Genf zusammenkommen. Zwar ist der Ton auf der Online Diskussionsliste der WGIG Mitglieder sehr verbindlich, in der Sache aber gibt es wenig Bewegung.

In der ersten "Fact Finding Phase" der WGIG entstanden fast 30 sogenannte "Issue Papers", die weit über die Themen "Root Server", "Domain Names" und "IP Adressen" hinausgehen und Themen wie "Cybercrime", "geistiges Eigentum", "Spam", "Connecting Rates", "Next Generation Internet" usw. einschliessen. Ziel der "Issue Papers" war die Ermittlung von Fakten. Aber bereits dabei gerieten sich die Experten in die Haare, da die "Faktfindung" sich meist sofort mit einer "Faktbewertung" vermischte. Das führte zwangsläufig zu Streitereien, da der eine es eben gut findet, dass das Management der Zonefiles für die Internet Root Server in privaten Händen liegt, der andere aber nicht. Der WGIG stehen also stürmische Zeiten ins Haus, wenn sie zur Phase 2 übergeht, zur Identifikation der politischen Implikationen und dann, in Phase 3, Verbesserungsvorschläge formulieren muss.

Zunächst einmal aber hat WGIG bis zum 21. Februar 2005 einen Zwischenbericht vorzulegen, der dann von 2000 Delegierten aus über 100 Ländern durchgemangelt wird. Bis zum Juli 2005 soll dann der WGIG-Endbericht vorliegen. Erst dann wird man sehen, ob und wie sich die amerikanischen und chinesischen Internetphilosophien annähern können.

Ein "Team of Teams" für das Follow-Up

Was den Folgeprozess für die Zeit nach Tunis betrifft, so geht es bei PrepCom2 darum abzusichern, dass nach dem 2. WSIS-Gipfel nicht die ganze Thematik in den Katakomben der vergessenen UN-Dokumente verschwindet. Hier scheint noch der größte Raum für einen Konsens zu liegen.

Die Idee, die in der "Group of the Friends of the Chair" jetzt kursiert, ist die, für jede der in Genf vereinbarten elf Aktionslinien ein "Team" zu bilden, dass sich darum kümmern soll, wie die auf das Jahr 2015 fokussierten Ziele erreicht werden sollen. Die Teams sollen sich aus Mitarbeitern existierender Organisationen zusammensetzen und neben Regierungsvertretern auch Repräsentanten der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft einschließen. Koordiniert würden die elf Teams von einer bei der UN anzusiedelnden Koordinierungsgruppe, ein "Team of the Teams". Jedes Einzelteam würde wie ein "Watchdog" über das jeweilige Fachgebiet wachen und könnte die Rolle eines "Clearinghouse" spielen. Regelmäßig erstattete Sachberichte würden erreichte Fortschritte bilanzieren ("stocktaking") und Defizite bei der Umsetzung der WSIS-Verpflichtungen aufzeigen.

Diese Form des sanften Drucks auf die Verwirklichung der WSIS-Agenda könnte durchaus funktionieren. Dass ein regelmäßiges "Benchmarking", das ein "Länder-Ranking" produziert, einen erheblichen Wirbel für Regierungen und Gesellschaften erzeugt, haben ja gerade die Deutschen im Zusammenhang mit der Pisa-Studie für den Bildungsbereich erst jüngst erfahren.

Es ist jedoch völlig offen im Moment, wie die für eine solche Arbeit notwendige Forschungsbasis konstituiert werden soll. Die ITU hat zwar eine Stocktaking-Website eröffnet, auf der alle möglichen Fakten gesammelt werden und ein Expertenseminar will demnächst eine Methodologie vorlegen, wie die globale Informationsgesellschaft "vermessen" werden kann, aber der Weg bis zu einem effektiven "Monitoring" und "Benchmarking" ist noch lang. Und er kostet natürlich auch Geld. Immerhin aber ist die Absicht erkennbar, den einmal artikulierten WSIS-Worten auch Taten folgen zu lassen.

Verknüpfung von MDG und WSIS

Insofern ist es nicht ungeschickt, zunehmend den WSIS-Prozess mit dem von der UN im Jahr 2000 gestarteten Prozess zur Erreichung der Millenium Development Goals (MDG) zu verknüpfen. In der zur Jahrtausendwende angenommen "Millenium Declaration" haben die Staats- und Regierungschefs dieser Welt versprochen, die Armut zu bekämpfen und die Entwicklung zu fördern. Fünf Jahre nach der Annahme dieser Deklaration werden sich Ende September 2005 die Staats- und Regierungschefs bei der UN in New York treffen, um eine erste Bilanz zu ziehen. Dabei werden sie nicht an der Erkenntnis vorbeikommen, dass im Informationszeitalter die MDG-Ziele nicht ohne Informations- und Kommunikationstechnologien erreicht werden können und man dafür auch qualifizierte Menschen braucht, die sich nicht nur in der globalen Informationsgesellschaft zurecht finden, sondern auch die Fähigkeit haben, die digitalen Möglichkeiten auszuschöpfen, zu gestalten und in Wachstum zu wandeln.

Insofern passen MDG und WSIS sehr gut zusammen und es wäre nicht verwunderlich, wenn im Jahr 2010 der MDG + 10 Gipfel mit einer WSIS III verbunden würde. Bereits jetzt sieht es so aus, als ob WSIS II im November 2005 in Tunis zu einer Art Fortsetzungskonferenz des New Yorker Millenium Gipfels wird. Das passt zwar nicht ganz dem tunesischen Präsidenten Ben Ali, der gerne eine für das öffentliche Image Tunesiens günstige große Weltkonferenz haben möchte, aber die Verkmpfung kommt vielen Regierungen auch aus rein praktischen Gründen zu passe: Sie vermeidet Doppelarbeit und ermöglicht das Poolen von personellen und materiellen Ressourcen. Außerdem müssen dann Regierungschefs nicht zweimal reisen.

In der deutschen Bundesregierung, die mit einer 16-köpfigen Delegation zu PrepCom2 nach Genf gereist ist, geht man jedenfalls davon aus, dass der September-Termin in New York wohl in den Kalender des Kanzlers geschrieben wird, während der November-Termin in Tunis es allenfalls bis in den Kalender des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit schaffen könnte. Bei WSIS I wurde die deutsche Delegation von Staatsekretär Rezzo Schlauch angeführt.