Aufbruchstimmung beim Molekularmaschinenbau

Deutschland als Nanotechnologie-Standort

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Mit der Gründung von Kompetenzzentren, mit Forschungswettbewerben und Public Relations Veranstaltungen wird gegenwärtig der Boden für die mutmaßlich nächste Industrielle Revolution bereitet. F&E-Prominenz, Unternehmensvertreter und der Jules Verne der "Bewegung", Eric Drexler, diskutierten vor kurzem auf dem Münchner Nanotechnologie-Symposium.

Das micro-U-Boot von Reiner Götzen: Wellendurchmesser 10µm, Schiffsschraubendurchmesser 600µm, Schiffskörperdurchmesser 650µm, Gesamtlänge 4mm.

Zu der Frage, welche "Zukunftstechnologien" der globalisierungsgebeutelte Standort Deutschland tunlichst nicht verschlafen sollte, fällt High-Tech-Enthusiasten immer häufiger der Begriff "Nanotechnologie" ein. Die Bonner Forschungspolitik hat sich das bereits zu Herzen genommen. Mit 100 Millionen Mark in den kommenden 5 Jahren soll dieser "Schlüsseltechnologie des nächsten Jahrtausends" in den Sattel geholfen werden. Deren Protagonisten wittern ein atemberaubendes Potential. Sollten die "visionäreren" Erwartungen zutreffen, dann locken Milliardenmärkte und eine Technik, die sich buchstäblich von Magie nicht mehr unterscheiden läßt.

Eric Drexler, der Haupt- und Star-Redner des Münchener Nanotechnologie-Symposiums, predigt solche Visionen. Für Drexler steht nicht weniger als "Total Control over Matter" auf der Agenda. Bereits 1986 hat er in seinem Buch Engines of Creation die Möglichkeiten eines revolutionären "Produktionsparadigmas" ausgemalt. Es basiert auf einer phantastisch anmutenden Präzisionstechnik, die beliebige Materialien Atom für Atom zu re-arrangieren in der Lage ist.

In einer entwickelten Nano-Industrie à la Drexler würden makromolekülgroße, selbstvermehrungsfähige Roboter via "Molecular Manufacturing" beinahe alles herstellen, was des Menschen Begehr ist - von Kartoffelchips bis zum Snowboard. Dieselben Maschinen könnten auch (mit anderer Programmierung) im menschlichen Körper beschädigte Gewebe "reparieren" oder Tumorzellen bekämpfen. Ohne Scheu spekuliert Drexler sogar über die Möglichkeit ewigen Lebens durch nanotechnische Eingriffe in den zellmetabolischen Mechanismus des Alterns. Die Perspektive einer um mehrere Größenordnungen miniaturisierten Computertechnologie - die selbstverständlich auch zum Repertoire der Nanotechnik zählt - wirkt da vergleichsweise hausbacken.

Daß dies alles zumindest im Prinzip funktionieren könnte, hat der Physiknobelpreisträger Richard Feynman bereits 1959 herausgearbeitet. In einem mittlerweile legendären Vortrag vor der American Physical Society (There's Plenty of Room at the Bottom) sah Feynman keine naturgesetzlichen Hindernisse, Atome in der Art von LEGO-Bausteinen zu handhaben.

Deutlich bodenständiger geht es zu, wenn deutsche Forschungs- und Wirtschaftsvertreter unter Anleitung von Peter Glotz den Weg von der Nano-Vision zum Milliardenmarkt diskutieren. Einerseits beeilte man sich, dem aufkommenden Schwindelgefühl entgegenzuwirken. Auf den mittel- bis langfristigen Charakter der Drexler-Perspektiven wurde ausdrücklich hingewiesen. Andererseits ließen aber die anwesenden Unternehmensvertreter keinen Zweifel, daß deutsche Konzerne wie Audi und Bayer und Newcomer-Firmen wie Biotul bereits entschlossen an "Proto-nanotechnologischen" Verfahren arbeiten. Von "Engines of Creation"-Szenarien ist die Industrie zwar noch meilenweit entfernt, quasi-nanotechnlogische Oberflächenhärtungsverfahren für Windschutzscheiben oder Farben, in denen Nano-Partikel verwendet werden, zählen hingegen bereits zum State of the Art.

Vor allem aber wurden die grundsätzlichen Bedingungen der Möglichkeit gedeihlicher Nano-Technologientwicklung am Standort Deutschland besprochen. Es war zu erfahren, daß Jung-Unternehmer mittlerweile offenbar keinen Grund mehr haben, sich über fehlendes Venture Capital zu beschweren. So mahnte man die Einrichtung sozialer Absicherungsmechanismen für Gründungsdebakel und den Abbau eventuell bestehender Beamtenmentalität bei Wissenschaftlern in staatlichen Forschungsorganisationen an.

Mit Vorbehalten grundsätzlicher Natur meldete sich niemand zu Wort. Hingegen war der frühere Präsident der deutschen Forschungsgemeinschaft Prof. Frühwald (sinngemäß) mit einem: "Jetzt bitte keine Nano-Ethik-Diskussion!" zu vernehmen. Daß technischer Fortschritt mit Fortschritt schlechthin zusammenfallen, scheint also ausgemachte Sache zu sein.