Aufklärung über den Abschuss von MH17 steckt im Informationsnebel fest
Wann es den strafrechtlichen Abschlussbericht des JIT geben wird, steht in den Sternen, Russland, die Ukraine und die USA sind sich in der Blockade einig
Wann der Abschlussbericht des Gemeinsamen Ermittlungsteams (JIT) zum Abschuss der malaysischen Passagiermaschine MH17 vorgelegt wird, steht auch zwei Jahre nach dem Vorfall in den Sternen. Im ebenfalls verzögert veröffentlichten Bericht des Dutch Safety Board (DSB) über die technischen Ursachen geht man von einer Buk-Rakete aus, aber der Bericht und die Annahmen sind weiterhin umstritten.
In westlichen Medien herrscht die Meinung vor, dass Separatisten oder russische Soldaten mit einem Buk-System die Maschine möglicherweise versehentlich abgeschossen hätten, stichhaltige Beweise dafür gibt es bislang nicht. Bellingcat hat wieder einmal einen neuen Bericht veröffentlicht, der die Vermutung bestätigen soll, dass ein Buk-System aus Russland nach Snizhe gebracht und nach dem Abschuss wieder Richtung Luhansk abgefahren sei. Überdies wird auf einen Bericht von James Martin Center for Non-Proliferation Studies verwiesen, nach dem in Nachfolge der kritisierten Bildanalyse von Bellingcat Satellitenfotos , die das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte, stark manipuliert worden seien. Eingesetzt wurde dazu das Bildanalyseprogramm Tungstene. Auch die New York Times verweist auf diesen Bericht als Beleg, dass Russland Bilder gefälscht hat.
Während US-Außenminister Kerry gerade mit Lawrow über eine Kooperation in Syrien verhandelte, die US-Regierung hat es nun eilig, schließlich geht die Amtszeit von Obama zu Ende, veröffentlichte der Sprecher des Außenministers, Mark Toner, ein Statement zum zweiten Jahrestag des Abschusses von MH17. Darin wird offiziell festgehalten, dass die MH17 von einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen wurde. Bestätigt wird überdies die "eigene Beurteilung", dass "die Rakete von einem von den separatistischen Kräften, die von Russland unterstützt wurden, in der Ostukraine abgefeuert wurde". Man arbeite weiter mit dem JIT zusammen, heißt es, und habe volles Vertrauen, dass diese eine glaubwürdige und umfassende Untersuchung durchführen. Vorgelegt werden für die unterstützte Annahme allerdings keinerlei weiteren Belege.
Ob die JIT solche stichhaltigen Beweise überhaupt finden wird, nachdem man sich zwei Jahre lang damit beschäftigt hat, darf bezweifelt werden. Vermutlich wird es auf nur auf mehr oder weniger glaubwürdige bzw. bestreitbare Indizien hinauslaufen. Interessant wird sein, ob über die Suche nach Informanten, die von der deutsche Wirtschaftsdetektei Josef Resch für einen unbekannten Geldgeber angeblich erfolgreich mit der Auszahlung von 47 Millionen US-Dollar abgeschlossen wurde, tatsächlich nachprüfbare Beweise ermittelt wurden und ob diese eines Tages weiter gegeben werden. Suggeriert wird, dass die Aufklärung von interessierter Seite vertuscht wird. Die üblichen Verdächtigen Moskau und/oder die Separatisten? Kiew? Oder auch Washington?
Bekannt ist, dass US-Außenminister kurz nach dem Absturz vorpreschte und erklärte, man habe Bilder vom Startpunkt und der Rakete und kenne die Flugbahn: "Wir haben die Bilder vom Raketenstart. Wir kennen die Flugbahn. Wir wissen, wo es herkam. Wir kennen den Zeitablauf. Und es war genau zu der Zeit, als das Flugzeug vom Radar verschwand." Man habe viele Beweise, die für die Verantwortung der Separatisten und der Mithilfe der Russen sprechen. Geliefert wurden die Informationen allerdings nie. Daraus könnte man vermuten, dass die Behauptung nicht richtig war oder dass die Beweise nicht die politisch gewünschten Hinweise enthalten.
Gestern, einen Tag vor dem 17. Juli, an dem vor zwei Jahren die Maschine abgeschossen wurde, erklärte der malaysische Verkehrsminister Liow Tiong Lai wenig zuversichtlich, dass man hoffe, bis Ende des Jahres "vorläufige Schlussfolgerungen aus den forensischen Untersuchungen" zu erhalten. Er sprach von der "Art der Waffe", die benutzt wurde, woraus man schließen könnte, dass man in Malaysia nicht ganz von den Ergebnissen des DSB-Abschlussberichts überzeugt ist. Das JIT besteht aus Vertreter Malaysias, Australiens, Belgiens, der Ukraine und der Niederlande.
Ein Ex-Bundeswehr-General zeigt auf die Ukraine
In einem Bericht, der am 17. Juli 2015 erschienen ist, hatte sich der Bundeswehr-General Hermann Hagena mit dem Absturz ausführlich auseinandergesetzt und den Verdacht eher Richtung ukrainische Regierung gelegt. Er stellt schon einmal in Frage, ob eine Untersuchung, wie sie das DSB nach den ICAO-Regeln zur Untersuchung von Abstürzen von Zivilflugzeugen durchgeführt hat, überhaupt zur Untersuchung eines Abschusses eines Flugzeugs sinnvoll ist. Für ihn sind sie ungeeignet, zumal es dann darauf ankommt, wer das Flugzeug abgeschossen hat. Interessant ist, dass Hagena es für unwahrscheinlich hält, dass ein Buk-System, das gerade über die schlechten Straße eingetroffen ist, innerhalb von ein paar Stunden einsatzfähig sein könne, zumal auf den Fotos, die Bellingcat verwendet, weder Radar noch ein Feuerleitgerät zu finden ist, es gibt auch keine weiteren Begleitfahrzeuge. Die kleinste Buk-Einheit bestehe aus drei Fahrzeugen.
Hagena will überdies nicht ausschließen, dass MH17 auch von einem Kampfflugzeug abgeschossen worden sein könne. Dieser Möglichkeit, die von manchen, u.a. von Russen, vertreten wird und wurde, ist in dem DSB-Bericht nicht wirklich nachgegangen worden. Auf eine diesbezügliche Kritik der russischen Seite vor der Veröffentlichung erklärte der DSB, dass es dafür keine Hinweise gebe, Luft-zu-Luft-Raketen können ausgeschlossen werden, da sie keine Teile in Schmetterlingsform besitzen, wie sie im Wrack gefunden wurden. Uneinigkeit gab es auch, ob der vom DSB genannte Buk-Sprengkopf Fragmente in Schmetterlingsform enthält, und überhaupt über die Hochenergiefragmente, die auch in den Leichen mit verschiedenen "irregulären" Formen gefunden wurden.
Interessant ist auch, dass nach Hagena der ukrainische Verteidigungsminister am 14. Juli nach dem Abschuss einer Militärtransportmaschine in 6500m Höhe die Botschafter einiger Länder darüber informierte, dass sie angeblich von einem Buk-System, das eine Reichweite von 18 km besitzt, abgeschossen wurde, während das angeblich aus Russland kommende Buk-System, von dem Bellingcat und Co. berichten, noch unterwegs war. Normalerweise hätte das Verteidigungsministerium in solch einem Fall die Attachés informiert. Zudem sei unverständlich, warum nur die Flughöhe auf 10.000 m angehoben, aber nicht der Luftraum gesperrt wurde, wenn es sich wirklich um ein Buk-System in den Händen der Separatisten gehandelt hat: "Ohne Frage hätte schon der begründete Verdacht, dass die Separatisten über eine einsatzfähige Buk verfügten, zur Sperrung des Luftraums über dem von ihnen kontrollierten Gebiet in unbegrenzter Höhe führen müssen."
Warum gibt es keine primären Radardaten?
Allerdings fehlen nicht nur die Bilder und Daten, von denen US-Außenminister Kerry sprach, sondern auch die primären Radardaten der russischen und der ukrainischen Seite. Russland behauptet, man habe die primären Daten nicht mehr, obgleich diese 30 Tag lang gespeichert werden müssten, die Ukraine erklärte, dass just an diesem Tag, zwei Tage nach dem Abschuss einer Militärtransportmaschine, in diesem Gebiet sowohl die zivilen - angeblich wegen Wartung - als auch die militärischen Radarsysteme abgeschaltet gewesen seien. Nach dem ukrainischen Verteidigungsministerium seien die militärischen Radarsysteme nicht eigeschaltet gewesen, weil durch diesen Luftraum zu der Zeit keine ukrainische Militärmaschine geflogen sei. Beide Seiten lieferten nur bearbeitete Daten und Bilder bzw. Videobilder, die Ukraine immerhin noch sekundäre Radardaten. Nato-AWACS hätten zwar MH-17 während des Flugs erfasst, aber das Flugzeug sei beim Absturz außer Reichweite gewesen.
Mit den primären Radardaten zumindest der militärischen Radarsysteme wäre man in der Lage zu sehen, ob ein weiteres Flugzeug in der Nähe der MH17 gewesen war oder ob eine Boden-Luft-Rakete das Flugzeug abgeschossen hat. Man mag kaum glauben, dass das ukrainische Militär angesichts der "russischen Aggression" ausgerechnet für das damals umkämpfte Gebiet in der Ostukraine alle Radarsysteme ausgeschaltet hat.
Allerdings war eine der beiden Radarstationen in Artyomovsk im Juni 2014 nach Angaben des ukrainischen Botschafters in den Niederlanden zerstört worden. Es sollen aber Militärflugzeuge gesehen worden sein. Die ukrainische Regierung benötigte ein halbes Jahr, um auf einen Brief von Opferangehörigen nach den Radardaten zu antworten, nämlich dass man alle verfügbare Daten an das JIT weitergegeben habe.
Wie auch immer, es ist ebenfalls unwahrscheinlich, dass die russischen und amerikanischen Geheimdienste und Militärs keine genaueren Informationen als die bislang veröffentlichten über den Absturz haben sollten. Man muss davon ausgehen, dass alle betroffenen Parteien, also Russland, die Ukraine und die USA, ein Versteckspiel betreiben. Fragt sich nur zu welchem Zweck. Man schiebt sich weiterhin gegenseitig die Schuld zu, scheint aber wenig Neigung zu verspüren, den Fall wirklich aufzuklären.