Aufklärung unerwünscht

Festnahme von Zivilisten durch deutsche und italienische Soldaten am 13. März 1944. Die Festgenommenen wurden später in den Fosse Ardeatine (Ardeatinische Höhlen) ermordet. Bild: Koch, Deutsches Bundesarchiv (Bild 101I-312-0983-03). Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Der NSU und das Verhältnis von Rechtsterroristen und Geheimdiensten in der jüngsten Geschichte (Teil 1)

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Vorab: In diesem Text soll nicht interessieren, dass Geheimdienste ihre V-Leute in terroristische Organisationen einschleusen, um Informationen zu sammeln und auf dem Laufenden darüber zu sein, was dort geplant wird. Und um im besten Falle Anschläge zu verhindern. Wenn das rechtsstaatlich klar läuft, dann sorgt uns das nicht.

Angesichts der bisherigen Aufdeckungen zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) und sich ausweitender Kritik am Verfassungsschutz scheint es geboten, sich anderer rechtsterroristischer Vorkommnisse in unserem Land zu erinnern. Aus Analysen zur jüngsten Geschichte des Kalten Krieges ist deutlich geworden, dass Geheimdienste in Ost und West links- wie rechtsterroristische Attentäter für geheime Operationen nutzten.

Das ist äußerst besorgniserregend. An dieser Stelle kann nur ein kleiner Abriss von dem gegeben werden, was in diesem Bereich bisher über Ermittlungen oder Akten insbesondere zum Rechtsterrorismus bekannt wurde: in Italien schon seit einigen Jahrzehnten und in Deutschland erst seit ein paar Jahren. Innerhalb der NATO wurde gerade in diesen beiden Ländern der Vormarsch des Kommunismus als besonders bedrohlich erachtet. Es ist kein Zufall, dass insbesondere in diesen beiden Ländern der Terrorismus am heftigsten zuschlug.

Der Schlüssel zum Verständnis des - rechten wie linken - ja im Wesentlichen unaufgeklärten Terrorismus der 70er und 80er Jahre ist seine Einordnung in den Kalten Krieg. Vergegenwärtigen wir uns: Als "kalt" wurde dieser Krieg zwischen den tief verfeindeten Gegnern deshalb bezeichnet, weil er wohl militärisch, aber nicht mit dem offenen Heer geführt wurde. Es agierten die Geheimdienste - und zwar insbesondere mit ihren verdeckt tätigen paramilitärischen Kampfeinheiten, in Italien Gladio genannt. Das ist das Kernstück der Aufdeckungen zum Terrorismus.

Diese geheimdienstlichen Kampfeinheiten waren in vielen NATO-Ländern unter vielfältigen Namen aktiv. Legalisiert wurden sie offiziell damit, dass erzählt wurde, sie würden mit Guerillaoperationen und Sabotage als Stay-Behind-Truppen am Tag X eines Angriffs der Sowjetmacht auf ein westliches Land eingesetzt werden. Doch erwiesene Tatsache ist: Sie wurden schon vorher, im Terrorismus des Kalten Krieges, aktiv. Was für Deutschland bisher nur vermutet wird, ist in Italien gerichtsfest aufgedeckt worden.1

Beide Supermächte waren bestens ausgerüstet und beide Seiten operierten mit derartigen paramilitärischen Einheiten. Sie waren geheim und sollen dies so weit möglich bis heute bleiben. Im anglo-amerikanischen Raum spricht man hier von Deep Politics. In Deutschland mangelt es an einem Politikverständnis, das offene und verdeckte Politik voneinander unterscheidet.

Dass in keinem anderen Land zur Geheimpolitik im Kalten Krieg so viel wie in Italien aufgedeckt wurde, liegt an der Verfassung: Sie billigt ihren Staatsanwälten mehr Unabhängigkeit von der Politik zu als bei uns. Unglaubliches wurde zur geheimen CIA- bzw. NATO-Politik in Italien schon in den 70er Jahren bekannt. Staatsanwaltschaften hatten unerschrocken ermittelt und in der Geheimpolitik Beteiligte sagten vor allem nach 1989 vor einem acht Jahre lang tätigen parlamentarischen Untersuchungsausschuss aus Dazu gab man amerikanische und italienische Geheimdienstakten frei.

In den 2000er Jahren wurde ein weiterer parlamentarischer Untersuchungsausschuss tätig. Neben Ergebnissen eigener Justizermittlungen zog er zur Aufklärung der Terroranschläge Akten östlicher Geheimdienste hinzu. Zutage trat ein bis dato unbekanntes Ausmaß der Rolle des Ostblocks im Terrorismus.

In Deutschland wurde unmittelbar nach der Öffnung der MfS-Archive dazu einiges aufgedeckt, doch bald war alles wieder zugedeckt. Selbst Geheimes des einstigen Gegners soll geheim bleiben.

Geheimhaltung wird in Deutschland über die Weisungsgebundenheit von Staatsanwälten garantiert.2 Und selbst Richter haben sich dem Sicherheitsinteresse der Verfassungsschutzbehörden unterzuordnen.3

Was die untergegangene DDR in den Akten ihres Geheimdienstes zu offenbaren hätte, wird über die Stasi-Unterlagen-Behörde äußerst kontrolliert und selektiv nur herausgegeben. Auch die großen Medien zeigen sich nach den ersten Wogen im Zuge des Mauerfalls seit Mitte der 1990er Jahre auf diesen Kampfschauplätzen des Kalten Krieges bis heute nur zögernd und punktuell eigenständig investigativ. Das alles weist auf merkwürdige, noch genauer aufzuklärende Allianzen.

Der Westen

Die Amerikaner - und mit ihnen später dann die gesamte NATO - schmiedeten gleich nach Ende des 2. Weltkrieges Pläne gegen den Vormarsch der Kommunisten. Überall in der Welt, aber insbesondere in Europa. Und dies sowohl für die offene Front auf dem internationalen politischen Parkett, wie für die geheime Front in den unsichtbaren Tiefen der Politik. Dabei galt die Devise: Der Feind meines Feindes sei mein Freund!

Italien war da ein besonderes Kapitel. In keinem anderen Land der westlichen Hemisphäre war die kommunistische Partei so stark. In den 70er Jahren kam sie bei Parlamentswahlen auf ein Drittel aller Wählerstimmen.

Es ist noch nicht lange bekannt, dass in die antikommunistische Front gleich mit Kriegsende im Geheimen auch alte Faschisten und Angehörige der SS eingereiht wurden.

Ein Beispiel:

Ende der neunziger Jahre hat ein Mailänder Untersuchungsrichter den Fall Karl Hass aufgedeckt. Karl Hass war als SS-Sturmbannführer beteiligt an dem Kriegsverbrechen in den Fosse Ardeatine bei Rom. 325 Italiener wurden dort erschossen. Hass wurde 1946 vom CIC, dem Vorläufer der CIA, als Agent angeworben. Um seine Spuren zu verwischen, wurde er in den folgenden Jahren dreimal mit einer neuen Identität ausgestattet.

In Linz in Österreich bildete er Anfang der 50er Jahre in einer amerikanischen Agentenschule deutsche Geheimdienstagenten aus. Anfang der 60er Jahre taucht er im Zusammenhang mit den Terroranschlägen in Südtirol auf. Für Jahrzehnte verliert sich dann seine Spur. Die Ermittler gehen davon aus, dass er angeleitet von der CIA zusammen mit italienischen Rechtsterroristen im Norden Italiens tätig war.

Diese Praxis der amerikanischen Geheimpolitik, sich ehemaliger Nazis (und speziell Mitglieder der SS) für den Kampf gegen den neuen Hauptfeind zu bedienen, verlief in Deutschland genauso. Erinnert sei hier an Theo Saevecke, Obersturmbannführer der SS, der (protegiert von der CIA) im BKA zu führender Position aufstieg. Während späte Ermittlungen gegen ihn in Deutschland in den 70er Jahren eingestellt wurden, verurteilte ein italienisches Gericht den Mann 1999 als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft.

Gänzlich verschwiegen wurde der deutschen Bevölkerung über Jahrzehnte auch die Nazi-Vergangenheit von Reinhard Gehlen, dem ersten Chef des BND. Er war in Hitlers Geheimdienst tätig, dem ja wohl zweifelsohne das Attribut terroristisch zuzuordnen ist. Zu seinem engen Kreis gehörten ehemalige Mitarbeiter von Adolf Eichmann.

In der Geheimpolitik, den Deep Politics, stößt man wahrlich auf deutlich andere ethische Wertmaßstäbe als in der offenen Politik.

Symbol der "Ordine Nuovo"

Mitte der 90er Jahre packte ein italienischer CIA-Agent über seine Tätigkeit in der rechtsterroristischen Organisation Ordine Nuovo aus. Er war dort Waffen- und Sprengstoff-Verantwortlicher und damit mitverantwortlich für zahlreiche Anschläge der Gruppe.

In Italien deckte die Justiz auf, dass für die in terroristischen Anschlägen eingesetzten paramilitärischen Gladio-Einheiten vorrangig Rechtsradikale und alte Faschisten rekrutiert wurden. Geheimdienstfunktionäre und Attentäter konnten für ihre Beteiligung an Anschlägen zu Gefängnisstrafen verurteilt werden.

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