Aufmerksamkeit

Der Rohstoff der Informationsgesellschaft

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Wer nicht wahrgenommen wird, den gibt es nicht. Das ist das Gesetz einer Gesellschaft, die von Medien regiert wird. Denn nur das, was sich in ihnen befindet, tritt in die äußere Wirklichkeit einer räumlich verstreuten, translokalen Gemeinschaft. Obgleich Aufmerksamkeit die primäre Ressource der Informationsgesellschaft ist und erhebliche Anstrengungen darauf gerichtet werden, Aufmerksamkeit hervorzurufen, wird ihr erstaunlich wenig Aufmerksamkeit in der Reflexion gewidmet - ein blinder Fleck?

"Wer hier nicht wahrgenommen wird", so zitierte unlängst DER SPIEGEL (5/1996) den Parteitagssprecher der Grünen, Jürgen Trittin, "den gibt es nicht." Der Spiegel-Autor stellt sodann ein wenig hämisch fest, daß der Grünen-Star Joschka Fischer Trittin das Wasser abgrabe, da dieser bestenfalls nur dank seines Amtes, aber nicht kraft seiner Person von den Medien wahrgenommen werde.

Wer nicht mithalten und mitmischen kann, ist weg vom Fenster. Dabeisein ist alles. Jede Meldung, jedes abgedruckte Interview, jedes veröffentlichte Papier ist ein Stück Überleben.

DER SPIEGEL

Was wiederum Anlaß ist, Trittin zwar einen Beitrag zu widmen, aber lediglich offenbar deswegen, um seine geringe Attraktivität für die Macht der Medienaufmerksamkeit herauszustellen. Gleichwohl ist nach den vermeintlichen Gesetzen der medialen Aufmerksamkeit, die zur gesellschaftlichen Existenz verhilft, noch der größte Verriß eine Hilfe zum Überleben.

Medium und Aufmerksamkeit

Es geht um das Überleben als öffentliche Person in einer Gesellschaft, in der lokale oder Nähegemeinschaften eine immer geringere Rolle spielen. Nur das hat heute Chancen, noch wahrgenommen zu werden, was etwas Anderes oder Abweichendes zu sein vorgibt, was eine Differenz markiert, was neu ist oder schockiert. Das gilt von Waren über Menschen bis hin zu Fernsehprogrammen oder Kunstobjekten. Natürlich gilt das Gesetz des Überlebens auch für die Medien selbst. Doch Medien sind etwas Besonderes: Sie sind Träger einer gebündelten Aufmerksamkeit, weswegen alles, was in einem Medium vorkommt, bereits zum Ereignis und daher wahrgenommen wird. Anders gewendet könnte man sagen, daß der Inhalt der Medien Prominenz ist, und Prominenz ist Objekt der Aufmerksamkeit und gleich dem, was herausragt, die Normalität überschreitet, exzessiv ist. Medien sind daher kein Mittel, um eine Politik der Mitte zu machen, auch wenn ihre Aufmerksamkeit auf das Abweichende oder Herausragende die Normalität der Mitte gewissermaßen durch eine Politik der Abschreckung unterstützt.

Medien sind Träger einer gebündelten Aufmerksamkeit

Ein Medium ist jede Art von andauernder oder einmaliger Einrichtung, die die begrenzte Ressource der öffentlichen Aufmerksamkeit zu aktivieren sucht, indem es Dinge, Ereignisse oder Menschen präsentiert, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollen, was man wiederum benutzen kann, um auf etwas aufmerksam zu machen, was bislang noch nicht beachtet wurde. Medien sind mithin nicht nur Bilder, eine Zeitungen oder Fernsehprogramme, sondern auch Einrichtungen wie Galerien oder Museen und Veranstaltungen wie Festivals oder Vortragsrunden. Selbst Gruppen oder einzelne Menschen können Medien sein.

Sozial bedeutungsvolle, also wirkliche Aufmerksamkeit erwirbt man beispielsweise nicht allein durch ein Verhalten, das abweicht. Die Abweichung wird gewissermaßen im Markt der Aufmerksamkeit geprüft und durch die Anwesenheit in einem Medium allererst bestätigt, das kraft seines Wesens Aufmerksamkeit selber ist, diese verwaltet und herstellt.

Öffentlichkeit basiert auf Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit ist das mediale Geld, und sie ist als medial formierte auch damit verbunden, denn der Grad an Aufmerksamkeitsattraktion ist meist direkt in wirkliches Geld umsetzbar. Aufmerksame und finanzielle Entlohnung fallen oft, freilich nicht notwendigerweise zusammen. Öffentlichkeit, so rudimentär und minoritär sie auch sein mag, basiert auf Aufmerksamkeit, und erst im Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit erhalten gesellschaftlich bedeutungsvolle Dinge, Ereignisse oder Menschen ihre Kontur, ja eigentlich ihre Realität.

Aufmerksamkeit ist mithin eine übergreifende, wenn auch letztlich an Individuen gebundene Ressource, die, verstärkt und verallgemeinert durch Medien, jede Gesellschaft reguliert und zusammenhält. Das ist um so mehr der Fall, je stärker deren postindustrieller Charakter ausgeprägt ist, desto mehr sie also auf Erfassung, Verarbeitung und Herausgabe von Information basiert. Aufmerksamkeit ist natürlich auch die Grundlage für die Warenproduktion in einer Gesellschaft, in der mehr als das Notwendige zur Verfügung steht, in der es einen Markt und daher auch Optionen gibt. Wenn die Möglichkeit der Entscheidung gegeben ist, geht es auch um die Präsentation, also um das Ansprechen der Aufmerksamkeit oder um die "Prominenz" einer Ware, die sich dann erst in klingende Münze umsetzen läßt. Jedes Medium buhlt um Aufmerksamkeit, sucht diese auf sich zu lenken und aufrechtzuerhalten. Was am meisten Aufmerksamkeit auf sich zieht, egal ob dies wiederum ein Medium, ein Mensch, ein Ereignis oder ein Gegenstand ist, ist auch am meisten wert oder wird am besten verkauft.

Der Bedarf an Prominenz steigt mit der Flut der Medien enorm an. Jedes Medium muß sich von den Angeboten anderer abgrenzen und sich permanent neu profilieren. Ein gutes Beispiel sind die Talkshows, denen die "abweichenden" Themen und Menschen allmählich ausgehen und in denen daher mehr und mehr dieselben Personen präsentiert werden, wobei die Prominenz den Attraktor bildet, die, einschließlich der Talkmaster selber, von Talkshow zu Talkshow weitergereicht wird.

In der Gesellschaft werden Kämpfe primär um Aufmerksamkeit geführt

Aufmerksamkeit ist selektiv. Sie unterscheidet, läßt etwas in den Vordergrund treten und anderes in den Hintergrund. Aufmerksamkeit zieht eine Hierarchie in die Landschaft der Wahrnehmung ein. Sie ist in gewissen Grenzen intern steuerbar und von außen verführbar, doch die Ressource ist individuell und gesellschaftlich beschränkt und folgt Gesetzen, deren Dynamik und Richtung nur schwer voraussagbar sind. Das Agieren auf dem äußerst dynamischen und sich globalisierenden Markt der Aufmerksamkeit ist riskant. Gleichwohl werden in der Gesellschaft und auch zwischen einzelnen Menschen die Kämpfe primär um die Aufmerksamkeit geführt. Die Kämpfe um Aufmerksamkeit, bei denen es um Macht und Verführung geht, stellen den Schauplatz dar, auf dem Bedeutung, Wert und Wirklichkeit entstehen.

Knappheit der Ressource Aufmerksamkeit

Die durch das steigende Angebot an Reizen, die direkt auf die Weckung von Aufmerksamkeit zugeschnitten sind, knapper werdende Ressource Aufmerksamkeit wirkt sich ganz allgemein auf die Struktur und Politik der Wahrnehmung aus. In der Informationsgesellschaft ist der Medienkonsum bereits die weitaus zeitintensivste Freizeitbeschäftigung. Bis zu sechs Stunden verbringt der durchschnittliche Bürger der BRD mit Medien, wobei auf audiovisuelle Medien zweieinviertel Stunden, auf auditive dreieinviertel Stunden und auf Printmedien eine Stunde pro Tag entfallen. In den USA ist beispielsweise der Fernsehkonsum bereits auf bis zu sieben Stunden angewachsen. Fernsehen wird für immer mehr Menschen zu einem Ganztagsmedium, das wie das Radio im Hintergrund läuft. Aus dieser audiovisuellen Wolke, die kaum mehr von kontinuierlicher Aufmerksamkeit verfolgt wird, entwickeln sich neue Erwartungen.

Haben die traditionellen Medien wie Fernsehen und Radio bereits die Wahrnehmung der Nahumgebung an den Rand gedrängt, so dringen jetzt in das Zeitbudget die computergestützten, interaktiven und vernetzten Medien ein. Es handelt sich, wie immer man das auch bewerten will, um eine gigantische Dauerversorgung mit Bild- und Tonkulissen, die sich vor und über die Bilder der uns umgebenden Wirklichkeit legen. Noch niemand weiß, wie sich eine dauerhafte Aussetzung an eine bestimme Medienumwelt nicht nur psychisch und gesellschaftlich auswirkt, sondern bis in die Architektur des Gehirns durchschlägt.

Montage der Attraktionen

Seit der Fotografie explodierten die technischen Medien, gingen Öffentlichkeit und damit Aufmerksamkeit auf die technischen Medien über. Bis vor kurzem beherrschten die öffentliche Aufmerksamkeit noch die Massenmedien: Zeitungen, Kino, Rundfunk und Fernsehen. Erst mit dem Video und dann mit dem Computer, der alle Medien zu einem Verbund zusammenschließt, bricht die Herrschaft der Massenmedien zusammen und zerfleddert die öffentliche Aufmerksamkeit in eine Vielzahl von immer spezieller werdenden Nischen. Gleichzeitig ergeben sich durch den Medienverbund und die Vernetzung neue virtuelle Räume, die multimediale Konzentrationen im Netz bilden. Digitale Medien gleichen daher den gegenwärtig überall aufschießenden Erlebnis- oder Themenparks, die, oft genug unter der Metapher einer Welt - Vorbild: Disneyworld -, verschiedenste Attraktionen auf einem Gelände zu vereinen suchen, sie in einer Montage der Attraktionen nebeneinanderstellen, um die Aufmerksamkeit niemals erlahmen zu lassen und im Wachzustand zu erhalten. Kein Kult der Zerstreuung also, wie meist behauptet wird, sondern der Versuch, die rasch erlahmende Aufmerksamkeit durch Abwechslung zu halten. Ebenso wie die Steuerung technischer Systeme in der Arbeitswelt immer mehr Konzentration abverlangt, es immer mehr Displays zu überwachen gilt, man eventuell nach längeren Zeiten schnell einzugreifen hat, das Gehirn viele Reize gleichzeitig verarbeiten muß und es dabei vornehmlich darauf ankommt, wie die Aufmerksamkeit erhalten wird, geschieht dies als Training auch im Freizeit- oder Kulturbereich.

Disziplinierung der Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit und ihre Grenzen werden zu einem ganz zentralen Thema in der Informationsgesellschaft. Deswegen ist heute auch die wissenschaftliche Erforschung des Bewußtseins, bislang ein eher philosophisches Thema, zu einer Herausforderung der Technowissenschaften geworden.

Man kann wohl insgesamt eine Steigerung der Informationsverarbeitungskompetenz annehmen, die in der Arbeitsumgebung erwartet, in der Lebenswelt ausgebaut und im Freizeitbereich forciert wird. Da die biologischen Grenzen relativ starr sind, kann dies nur durch eine Umstrukturierung des Aufmerksamkeitssystems geschehen, d.h. die Rahmen der Aufmerksamkeit müssen sich ebenso verändern wie die Reaktionsweisen. Das Aufmerksamkeitssystem muß sich gegen die Flut der hereindrängenden Daten abschließen und nur noch jene Reize zulassen, die zur Reaktion notwendig sind. Um diese Selektion zu leisten, muß aber das Wahrnehmungssystem mit Signalen überflutet, einem komplexen Strom von Informationen ausgesetzt werden, um die Irritation herabzusetzen und die Ausrichtung auf Schlüsselreize oder Superzeichen zu lernen. Autofahren, Computerspiele, Besuche in einer Techno-Disko, riskante Sportarten oder Fernsehkonsum fördern diese Zurichtung der Aufmerksamkeit, die dann auch in eine Erwartungshaltung umschlägt, eben diesem Strom an Daten permanent ausgesetzt zu sein und ihn gleichzeitig weitgehend im Hintergrund zu halten.

Menschen gewöhnen sich im Unterschied zu Maschinen ziemlich schnell an überraschende Effekte und wandeln diese zu Routinen um, wodurch ihnen Aufmerksamkeit entzogen und diese selbst wieder für anderes freigesetzt wird. Jedes Medium kämpft daher permanent gegen diese Verfallsgeschwindigkeit des Neuen, um die Aufmerksamkeit der Menschen an sich zu binden. Die Menschen hingegen müssen immer weitergehender viele "Fenster" gleichzeitig beobachten und können sich deswegen beim Durchzappen durch die Supermärkte, Erlebnisparks, Museen oder Medienangebote nur an die Oberflächen und Superzeichen halten, um die Orientierung nicht zu verlieren.

Walter Benjamin hat bereits in seinem bekannten Essay: "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduktion" beschrieben, wie der Film die bewußte Wahrnehmung verändert. Aus einem technischen Medium erwachsen neue Wahrnehmungsanforderungen, die aus der Anpassung der Menschen an neue Lebenswelten entstehen und gleichzeitig neue Bedürfnisse prägen. Kontemplation als Gegenbild zur zerstreuten Wahrnehmung sind zwei elementare Formen der Aufmerksamkeit. Jetzt aber geht es bei den Menschen darum, wie sie der rasant ansteigenden Informationsmenge eine ebenso "gesteigerte Geistesgegenwart" gegenübersetzen, um schneller viele verschiedene und komplexe Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und darauf zu reagieren.

Vom Zappen und dem WWW.

Viele Kulturkritiker sehen im Zappen einen Verfall der Aufmerksamkeit und einen Verlust der Konzentration. Oberflächlichkeit sei die Folge, wenn man im Meer der Informationsräume umherirrt, um nach Attraktionen oder Interessantem zu suchen. Das Ideal der Kulturkritik ist der Gefangene in der platonischen Höhle oder der vorneweg Allwissende, der, ohne umherzuirren, bereits einen umfassenden Überblick besitzt, um sich für dieses oder jenes Angebot zu entscheiden.

Zappen läßt sich aber auch als Versuch der Konsumenten von nicht beeinflußbaren audiovisuellen Angeboten verstehen, sich allererst zu orientieren, vor allem aber die Herrschaft über die eigene Aufmerksamkeit und deren Zeitbedürfnisse zu wahren oder zurückzugewinnen. Gleichzeitig ist Zappen die Übung, schnell auf Reize zu reagieren, deren Kontext man noch gar nicht kennt, und die Kultivierung der Erwartung nach schneller Abwechslung, der sich die Medien anpassen müssen, um die Aufmerksamkeit weiter halten oder einfangen zu können.

Interaktive Medien hingegen, wie dies am deutlichsten bei Computerspielen wird, haben das Zappen internalisiert und damit die Restsouveränität des Zuschauers untergraben, der jetzt nur noch als Mitspieler Entscheidungsfreiheit besitzt. Interaktive Medien lassen sich daher als Versuch verstehen, die Herrschaft über die Aufmerksamkeit der Menschen während der Benutzung zu sichern. Man steuert selbst seinen Held durch ein unbekanntes Land, wobei die Bindung der Aufmerksamkeit durch die Häufigkeit der interaktiven Entscheidungen und durch die Schnelligkeit der geforderten Reaktion geschieht. Beides holt den Benutzer in die virtuelle Welt, ins Medium hinein.

Auf der anderen Seite entstand das Internet, das vor allem durch das WorldWideWeb an Attraktivität gewann: eine unermeßliche Landschaft von dicht nebeneinanderliegenden Orten zum Durchklicken, die jetzt multimedial aufgerüstet wird, aber auch ein Medium, das jedem die Möglichkeit gibt, selbst ein Medium zu werden, indem man beispielsweise seine eigene Homepage ins Netz stellt. So wie Benjamin einst gesagt hat, daß aus dem Film der Anspruch für jeden erwachse, gefilmt zu werden, so wie dies bei der Fotografie, beim Video, beim Rundfunk und Fernsehen auch der Fall ist und immer mehr kultiviert wird, so kann nun jeder in Konkurrenz mit allen anderen um die Ressource der Aufmerksamkeit treten und sich zum Medium machen. Unter diesen Bedingungen ist klar, daß der Markt, der im Internet global ist, immer schärfer umkämpft wird. Beim Einloggen auf einer Homepage läßt sich schließlich exakt zählen, wie oft sie angeklickt wurde und wieviele Hits die Menschen auf die restlichen Pages geleistet haben. Im unüberschaubaren, von Search Machines und Virtuellen Agenten rastlos abgemusterten virtuellen Territorium findet eine endgültige Nivellierung der Medien als Bündelung von gesellschaftlicher Aufmerksamkeit statt. Jeder ist prominent, die Privilegien entfallen, der Einstieg läuft nicht mehr über filternde Institutionen, sondern er gründet sich einzig auf die Verfügung und Beherrschung von Technik.

Ebenso wie die einzelnen Medien technisch durch Digitalisierung zu Multi- oder Hypermedien zusammenwachsen, verlieren sie ihre Eigenständigkeit und damit auch ihren spezifischen Ort. Elektronische und digitale Medien fördern den Warenhauscharakter, ähnlich wie bereits die Ausstellung oder der Film selbst Wahrnehmungsgewohnheiten schufen, die mittels schneller Aufeinanderfolge von verschiedenartigen Reizen gemäß der Montage von Attraktionen Vorläufer der Kultur des Zappens waren: permanente Bindung der Aufmerksamkeit durch Abwechslung, die das Bewußtsein im Alarmzustand halten.

Ressource Aufmerksamkeit

Heute geht es mehr und mehr um das Einfangen und Aufrechterhalten von Aufmerksamkeit, was auch heißt, daß es um Zeit geht, die eine andere Ressource als der Raum oder natürliche Energien darstellt. Zeit im Sinne von Aufmerksamkeit ist nämlich eine knappe Ressource, von der jeder nur eine gewisse Menge besitzt, und sie ist für den einzelnen zu einem gegebenen Augenblick nicht vermehrbar, denn es gibt biologische Grenzen der Aufmerksamkeitskapazität. Wir können nur mehr bewußt wahrnehmen, wenn wir die Details vernachlässigen. Zudem ist Aufmerksamkeit flüchtig, wenn nicht stets Ungewohntes und Interessantes angeboten wird. Gleichzeitig wird das Problem der Informationsselektierung immer dringlicher. Die Schwellen für Signale werden höher, wenn Aufmerksamkeit noch erregt werden soll, während immer mehr Techniken der Informationsfilterung, gewissermaßen neue Sinnesorgane zur Erfassung und Selektion von Signalen entstehen.

Die Kämpfe um die Marktsegmente der Aufmerksamkeit in der globalen Ökonomie nehmen zu und werden härter, sie selbst muß in der Freizeit und während der Arbeit, ein Unterschied, der in der Informationsgesellschaft mehr und mehr verfällt, weiter gestärkt werden. Die Zukunft der Aufmerksamkeit ist deren Übergang auf Computersysteme, ist deren Ablösung vom Menschen, der mit den Informationsströmen nicht mehr Schritt halten kann und gleichzeitig, dauerstimuliert, auf der Jagd nach Spektakeln ist, die die aufgeheizte Erwartung stillen, nach riskanten Extremerfahrungen am eigenen Leibe, die die Vielfalt der Entscheidungen in der komplexen Informationsumwelt reduzieren. Die Zeit der Bilder ist für die breite Masse am Ende. Es kommt die Zeit der erlebnistriggernden Umwelten - von der virtuellen Realität über Freizeitparks oder Erlebnissportarten bis hin zu Situationen der Gewalt.

Eine andere Frage ist, welche Kontur eine Medientheorie annehmen würde, die auf der Analogie zum Aufmerksamkeitssystem eines Organismus die Medien als vergesellschaftete Aufmerksamkeitssysteme betrachtet. Noch freilich ist schon zu wenig über die Biologie des individuellen Aufmerksamkeitssystems bekannt, das Teil eines derart komplexen Systems wie das des Gehirns ist. Möglicherweise leistet Aufmerksamkeit die Synchronisierung von nur lokal miteinander kommunizierenden Neuronenverbänden oder sie entsteht erst aus deren Synchronisierung. Ähnliches könnte für Medien hinsichtlich der Gesellschaft der Fall sein, nur daß man hier auf jeden Fall die Konkurrenz von verschiedenen Aufmerksamkeitssystemen auf vielerlei Ebenen hat und es völlig unklar ist, welche Bewertungsinstanz einer Gesellschaft eigen ist, die man nicht ohne weiteres mit einem Organismus vergleichen kann.