Aufmerksamkeitswaffen

Journalisten, die Kampfeinheiten begleiten, und freiwillige menschliche Schutzschilde sind unterschiedliche Aspekte des Kriegs unter medialer Beobachtung, in dem herkömmliche Ordnungen verschwimmen

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Der Krieg im Irak, sollte er denn kommen, bringt neben vielen militärischen, wirtschaftlichen und politischen Fragen eine neue weltweite Diskussion über das Recht auf einen militärischen Angriff, die Notwendigkeit eines Krieges, die Bedeutung der Vereinten Nationen oder das angemessene Vorgehen gegen ein diktatorisches Regime mit sich. Es werden nicht nur neue technische Waffen ausprobiert werden, sondern auch neue Aufmerksamkeitswaffen, denn gewonnen oder verloren werden moderne Kriege stets auch über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung im In- und Ausland, d.h. über das, was die Medien zeigen oder berichten.

Die Medien, die kollektiven, weit ausgreifenden und in Demokratien miteinander konkurrierenden Aufmerksamkeitssysteme von Gesellschaften, sind natürlich schon immer wichtig gewesen. Sie formen die Wahrnehmungen und Meinungen der meisten Menschen von einem komplexen Geschehen, das sie - natürlich auch im Vorfeld von Konflikten - nicht selbst direkt beobachten können - und das sie auch dann nicht umfassend beobachten können, wenn sie selbst aktiver Teil sind. Früher konnten sich Krieg mit Söldnerheeren weit weg abspielen und haben erst im Nachhinein - post festum - auf die Menschen zurückgeschlagen. Wir hingegen befinden uns in einem Zeitalter, in dem Kriege unter Bedingungen von Echtzeit-Medien stattfinden, auch wenn der Zugang zu den Echtzeit-Informationen natürlich strenger kontrolliert wird als der zu den zeitverzögerten Berichten an der Front des Geschehens.

Die beteiligten Akteure versuchen, Medien so zu steuern, dass die von ihnen erwünschten Informationen in der Öffentlichkeit vorherrschen und die negativen weitgehend unterdrückt bleiben. Nichtdemokratische Regierungen können zur Zensur greifen, andere versuchen mit etwas feineren Mitteln die Medien auf ihre Seite zu ziehen. Im Kriegsfall werden, wenn möglich, die Informations- und Kommunikationsstrukturen des Feindes möglichst schnell zerstört, um die militärischen Kommandostrukturen zu behindern und die mediale Lufthoheit auch im Feindesland zu sichern. Ganz entscheidend aber ist auch, wie von Militärs Medienberichte und vor allem Bilder vom Kampfgeschehen, die jetzt über Satelliten und mit geringem Aufwand in Echtzeit übertragen werden können, zu kontrollieren sind, ohne zu einer totalen Zensur zu greifen und Journalisten gar nicht oder nur post festum an die Front zu lassen.

Wie es bislang aussieht, scheint das Pentagon nun eine radikal veränderte Strategie umsetzen zu wollen. Anstatt die Journalisten wie vom ersten Golfkrieg bis zum Afghanistan-Krieg von der Front fernzuhalten, darf eine bestimmte Anzahl von Reportern, Fotografen und Kamerateams, darunter sogar auch von ausländischen Medien wie beispielsweise von al-Dschasira, Kampftruppen und Versorgungseinheiten an die Front begleiten. Allerdings dürfen diese nicht live vom Geschehen senden, sondern das Pentagon behält sich weiter vor, erst einmal die Berichte zu kontrollieren. Ansonsten gibt es bereits Regeln, was und wie berichtet werden darf.

Über 200 Journalisten wurden bereits vom Pentagon für den "Einsatz" an der Front trainiert. Für den Rest der insgesamt etwa 500 Reporter, die nun zur Teilnahme für den Kriegsfall angemeldet werden müssen, um ganz vorne dabei zu sein, fehlt offenbar die Zeit zum Training. Wenn der Krieg beginnt, werden die Journalisten bestimmten Einheiten zugewiesen. Waffen dürfen sie keine mit sich führen, auch Kleidung erhalten sie nicht vom Militär, wohl aber eine Gasmaske. Vermutlich ist es mit den Berichten oder mit dem Zugang von Journalisten an die Front ziemlich schnell aus, wenn unerwünschte Sendungen durch die Kontrolle schlüpfen, die Kämpfe nicht so ausgehen, wie das Pentagon dies will, oder zuviel schmutziger Krieg geführt wird. Man wird also die Kriegsberichterstatter, die ihre Zuschauer quotenträchtig möglichst nah und live am Medienspektakel Krieg teilnehmen lassen wollen, auch erst dann in gefährliche Zonen schicken, wenn das Schlimmste bereits vorbei ist und die etwaigen "Kollateralschäden" beseitigt wurden.

Sicherheitshalber wird vom Joint Forces Command sowieso Pentagon-konforme Berichterstattung in eigener Regie betrieben. Den Militärreportern von den Joint Tactical Infomation Cells, die nur Pentagon korrekte Berichte liefern, die man aber auch als PC bezeichnen könnte, steht mit Videotelefonen ebenfalls die Technologie zur Verfügung, um im Prinzip live, jedenfalls aber sehr schnell den Medien Bilder und Informationen zur Verfügung stellen zu können. Gibt es keine anderen, vor allem keine anderen Bilder, so werden Medien eben auf die vorhandenen zurück greifen, aber nicht ganz darauf verzichten, wenn die Konkurrenz sie doch nehmen sollte. Und weil mehr und mehr auf die Arbeit von Spezialtruppen gesetzt werden dürfte, die ihre "verdeckten Operationen" durchführen, ist hier das Medienverbot schon impliziert. Wirkliche Veränderungen sind also von der Pentagon-Strategie im Umgang mit Medien nicht zu erwarten.

Krieg in Echtzeit dürfte es hingegen vielleicht eher von den Satelliten- und Videotelefonen oder anderen Satellitenverbindungen geben, die nicht vom Pentagon kontrolliert werden können, sondern die Hussein sozusagen als Waffe im Medienkrieg einsetzt, in dem er ihre Benutzung gestattet oder gar fördert - wie 1991 für den CNN. Um das zu verhindern, müsste das Pentagon den Irak weitgehend von allen Verbindungen zum Ausland abschneiden. Möglicherweise könnten auch aus diesem Grund die "e-bombs" eingesetzt werden, von denen man in letzter Zeit so viel als neuen Wunderwaffen spricht. Im Afghanistan-Krieg ist zufällig eine "Präzisionsbombe" in Kabul just auf die Redaktionsräume von al-Dschasira gefallen, der als einziger Sender aus dem Taliban-Afghanistan berichtete, Bilder hatte und noch dazu unerwünschte Statements von bin Ladin und Mullah Omar veröffentlichte.

Sind Journalisten, die Kampfeinheiten begleiten dürfen, menschliche Schutzschilde?

Die Verwendung von menschlichen Schutzschilden ist keine militärische Strategie, es ist Mord, eine Verletzung der Gesetze für bewaffnete Konflikte und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und so wird dies aus behandelt werden. Wer seinen (Husseins) Befehlen folgt, menschliche Schutzschilde einzusetzen, wird dafür schwer bestraft werden.

US-Verteidigungsminister Rumsfeld am 19.2.2203 gegenüber dem Irak

Doch die in Truppeneinheiten an der Front "eingebetteten" Journalisten sollen weiterhin Zivilisten sein - zu ihrem Schutz und für eine "unabhängige" Berichterstattung -, aber sie erfüllen damit gleichzeitig den Tatbestand, dass sie den Soldaten, die sie beleiten und bei denen sie bleiben müssen, als "menschliche Schutzschilde" dienen - gleich, ob dies bezweckt wurde oder nicht. Auch wenn sie die Einheiten faktisch durch ihre Anwesenheit behindern sollten, so verletzt eben ihre Anwesenheit zumindest auf genau dieselbe Weise die Genfer Konvention, wie dies bei den "menschlichen Schutzschilden" der Fall ist, die freiwillig in den Irak reisen und sich an bestimmten Orten positionieren, die ihnen vom Regime zugewiesen werden.

The presence or movements of the civilian population or individual civilians shall not be used to render certain points or areas immune from military operations, in particular in attempts to shield military objects from attacks or to shield, favor or impede military operations.

Artikel 51 der Genfer Konvention, der allerdings in Bezug auf besetzte Gebiete steht

Das Dilemma des Pentagon ist allerdings noch größer, wenn die Kriegsgegner, die sich freiwillig als Schutzschilder zur Verfügung stellen und ihren Tod aufs Spiel setzen, den Ort, an dem sie sich im Kriegsfall aufhalten, selbst wählen. Das unterscheidet sich radikal vom ersten Golfkrieg, als Hussein nach der Besetzung Kuwaits Menschen aus westlichen Ländern gefangen nehmen ließ und sie monatelang an Orten festhielt, die für das Militär wichtig waren. Allerdings hatte Hussein die Geiseln vor dem Krieg frei gelassen. Während Rumsfeld Hussein den Einsatz von Gefangenen als Schutzschilde vorwirft, beschuldigt dieser die USA, im ersten Golfkrieg den Bunker Amiriya in Bagdad bombardiert zu haben, obwohl sich dort nur Zivilisten befunden hätten. Dabei sind 400 Menschen getötet worden.

Verteidigungsminister Rumsfeld hat anhand dieses Vorfalls versucht, die Bösartigkeit und Unmenschlichkeit des Hussein-Regimes zu demonstrieren. Hier hatte er bereits mit den erzwungenen menschlichen Schutzschilden gezeigt, dass ihm Leben nichts wert sei. Weiter führt Rumsfeld aus, was dem Pentagon aber selbst zur Falle mit der Bombardierung und mit den Journalisten, die Soldaten bei Kampfeinsätzen begleiten sollen, werden könnte:

"Das internationale Gesetz zieht eine klare Grenze zwischen Zivilisten und Kombattanten. Das Prinzip, dass Zivilisten geschützt werden sollen, steht im Zentrum des internationalen Gesetzes über den bewaffneten Konflikt. Es ist die Unterscheidung zwischen Kombattanten und unschuldigen Zivilisten, die der Terrorismus und Praktiken wie der Einsatz von menschlichen Schutzschilden so direkt angreift. Saddam Hussein macht diese Unterscheidung nicht."

Vorgeworfen wird Hussein auch, dass er "Moscheen neben militärischen Einrichtungen baut, Schulen, Krankenhäuser, Waisenheime und Kulturschätze nutzt, um Streitkräfte zu schützen und dadurch hilflose Männer, Frauen und Kinder in Gefahr bringt". Zynisch gesagt, verlangt Rumsfeld, dass ein Staat, der von den USA bombardiert werden soll, alles Militärische räumlich sorgfältig von zivilen Bereichen trennt, damit der Angreifende nicht in Verlegenheit gerät. Kasernen befinden sich aber nicht nur im Irak in Städten. Würde die USA etwa Luftangriffe befürchten, würde sie Luftabwehrstellungen wohl auch an oder in Städten positionieren. Für einen Verteidiger sieht die Lage ganz anders aus als für denjenigen, der angreift und die Luftüberlegenheit hat. Wenn ein unterlegener Gegner absichtlich militärische Stützpunkte und Soldaten in zivilen Bereichen stationiert, so ist dies eigentlich auch nicht sehr viel verbrecherischer, als wenn ein Angreifer diese Stellungen bombardiert, obwohl er weiß, dass dabei auch Zivilisten gefährdet werden. Aber zurück zum Phänomen der freiwilligen Schutzschilde.

Das Dilemma für die Angreifer: freiwillige Schutzschilde

Ebenso wie die Live-Berichterstattung vom Krieg durch neue Technologien möglich wurde, ist auch das Phänomen der freiwilligen "menschlichen Schutzschilde" eine Folge der globalen Medien (Bagdad sehen und sterben). Die Bewegung organisiert sich über das Web und lebt davon, dass über sie nicht nur in anderen Medien berichtet wird, sondern dass von ihren Mitgliedern selbst die Weltöffentlichkeit erreicht werden kann.

Will das Pentagon die Journalisten als Aufmerksamkeitswaffen einsetzen (auch um die Kritik der Medien lahm zu legen und um die Nachrichten kontrollieren zu können), so verstehen sich die Kriegsgegner, die angeblich bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um zivile Ziele gegen eine Bombardierung zu schützen, als Aufmerksamkeitswaffen. Ihre Existenz alleine soll, sofern sie bekannt ist, den Angriff verhindern, weil die Angreifer dadurch als Kriegsverbrecher entlarvt würden, die Ziele bombardieren, die militärisch primär nicht bedeutsam sind.

Der Amerikaner Ken O'Keffe, einer der Motoren für die neue Strategie der Kriegsgegner setzt darauf, dass "die Regierungen unserer Welt besorgt sind, weil sie wissen, dass sie davon kommen, wenn sie arabische Menschen und Muslime in die Luft sprengen, aber dass es eine Menge von empörten Menschen geben wird, wenn sie dies mit ihren eigenen Leuten machen, wenn ihre Familien Zuhause ihre Geliebten verlieren." Die Aufmerksamkeitswaffe der menschlichen Schutzschilde aber kann nur funktionieren, wenn diese Aufmerksamkeit erregen und zum Medienereignis werden, und wenn, wie im Fall des Irak, sie nicht den Anschein erwecken, als würden sie vom Hussein-Regime instrumentalisiert werden. Daher ist es auch ganz wichtig, dass sie aus dem Ausland kommen, so dass der Verdacht schwer fällt, sie könnten doch irgendwie dazu vom Regime gezwungen oder gekauft worden sein.

"Wir entscheiden, wohin wir gehen", beteuert daher Ken O'Keffe, "nicht Saddam Hussein. Und wir sind hier, um das irakische Volk zu unterstützen, nicht die irakische Regierung. Und wir werden hier so lange bleiben, wie es erforderlich ist, um diesen verbrecherischen Krieg zu verhindern."

Ganz unabhängig von der irakischen Regierung sind die freiwilligen Schutzschilde offenbar nicht. Sie werden vom irakischen Regime ebenso eingespannt wie die Journalisten vom Pentagon. Möglicherweise ist das Ganze auch wirklich nur ein Aufmerksamkeitsspektakel, das schnell endet, wenn der Krieg beginnt. Gestern sind die ersten ausländischen menschlichen Schutzschilde in Bagdad in ein Klärwerk gezogen. Das ist eine - zumindest primär - zivile Einrichtung, selbst wenn sie natürlich auch irgendwie - dual-use wie so vieles - dem Militär und dem Regime dient.

Wenn der Irak Menschen als Schutzschilde einsetzt, dann ist das ein Kriegsverbrechen. Aber Verteidigungsminister Rumsfeld erzählte gestern nur die Hälfte der Geschichte. Wenn die USA Ziele angreifen, die von Zivilisten beschützt werden, ohne dafür eine überwältigende militärische Notwendigkeit vorzuweisen, dann wäre dies auch ein Kriegsverbrechen.

Kenneth Roth, Direktor von Human Rights Watch.

Wenn es nur wenige bleiben, wird die neue Strategie der Friedensaktivisten, die ihr Leben als Aufmerksamkeitswaffe einsetzen, sicherlich verpuffen. Sollten es aber tatsächlich Hunderte oder Tausende sein, die sich dem Bombardement widersetzen, dann dürfte ein Krieg, der gegen das Böse gerichtet ist, aber sauber und präzise geführt werden soll oder so angesichts der beobachtenden und richtenden Weltöffentlichkeit geführt werden muss, unmöglich werden. Der Unterschied liegt nicht in der Quantität der möglichen Opfer, sondern darin dass Kriegsgegner ihr Leben einsetzen, um ein Bombardement abzuwenden, ohne gleichzeitig damit ein bestimmtes Regime verteidigen zu wollen. Es geht ihnen um den Schutz der Zivilisten, die ein Bombardement gefährden würde.

Das Pentagon sucht jetzt natürlich, da die Sorge besteht, es könnten tatsächlich Hunderte von Menschen aus dem Ausland nach Bagdad als Schutzschilde kommen, vorzubauen und abzuschrecken. General Richard Myers etwa sagte, dass es gegen das Recht verstoße, wenn Zivilisten absichtlich in Gefahr gebracht werden, um mögliche "militärische Ziele" - also die der amerikanischen Streitkräfte - zu schützen: Dies sei selbst dann so, wenn "diese Menschen sich für einen solchen Zweck freiwillig zur Verfügung stellen". Die Frage ist dann nur, ob das Regime im Irak gegen das Gesetz verstößt, Menschen ins Land zu lassen oder nicht aus ihm zu vertreiben, die als Schutzschilde wirken wollen, oder ob die Angreifer gegen das Recht verstoßen, wenn sie Ziele bombardieren, an denen sich freiwillige Schutzschilde (und überhaupt Zivilisten) aufhalten. Oder soll gar die Aktivisten, die auf Selbstmordmission ihr Leben riskieren, um Bombardierungen zu verhindern, gegen das Recht verstoßen (als Angreifer ungehindert Ziel nehmen zu können)?

Wie die Menschen, die als Schutzschilde in den Irak gekommen sind, sich auch weiterhin verhalten werden, wie diese Bewegung sich auch immer weiter entwickeln wird, so haben die ersten Pioniere, die sich in einer von globalen Medien beherrschten Welt in Umkehrung der Selbstmordattentäter in Aufmerksamkeitswaffen - vielleicht sollte man eher sagen: Aufmerksamkeitsminen - verwandelt haben, Neuland in der Frage Krieg oder Frieden betreten. Sie stellen sich zwischen die Kämpfenden und machen es nicht mehr möglich, nur den Gegner des Kriegsverbrechens zu beschuldigen oder im Krieg nie ganz zu vermeidende zufällige "Kollateralschäden" zu entschuldigen. Mit den vom Ausland kommenden Schutzschilden erhebt sich möglicherweise auch die Zivilgesellschaft anders als nur in symbolischen Protesten und wendet sich gegen die interessengeleitete Politik, deren letztes oder nahes Mittel der Krieg ist.