Aufruhr auf den billigen Plätzen

Der handy-gestützte Fan als Versuchskaninchen für soziale Experimente und Manager-Theorien

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Der Traum eines jeden Mobilfunkanbieters: Der Sportfan als Abo-Kunde. Seit geraumer Zeit werden unter Hochdruck neue Dienste ersonnen, um diesen Markt entsprechend zu erfassen. Ein aktuelles Beispiel sind die ortsbezogenen Dienste der Telekom für Bayern-Fans. Doch gibt es auch Ansätze der handy-gestützten Fußballfanbeteiligung, die nicht als mediale Rundumbetreuung eines passiven Konsumenten konzipiert sind, sondern als soziales Experiment inszeniert werden: Rachel Bakers SMS-Projekt "Tigertxt" zum Beispiel. "Club Manager" das neuste Handy-Projekt mit demokratischen Anspruch aus Finnland, illustriert dagegen Manager-Theorien, zumindest einem Wirtschaftsmagazin zu Folge.

Jugendliche Fussballfans bei einer Promoaktion des Mobilfunkanbieters Loop (Foto: Krystian Woznicki)

Wie Rachel Baker, der Kopf des SMS-Projekts Tigertxt, zu verstehen gibt, "können sich Fussballfans sehr schnell in Gemeinschaften formieren und selbst organisieren. Ich blicke auf die Masse im Stadion", so die Künstlerin weiter, "und stelle mir vor, wie dieselbe Masse für eine gute Sache auf die Barrikaden geht." Auf dieses Potential setzte Baker, als bekannt wurde, dass ein Korruptionsskandal die Existenz eines Fußballvereins in Nordengland gefährdete. Sie begann daraufhin Treffen einer Selbsthilfegruppe beizuwohnen, die sich zur Aufgabe gemacht hatte den Untergang des Hull City FC abzuwenden. Als sie letztes Jahr dort den Redakteur von Amber Nectar - das vor Ort bekannteste Fanzine des Fußballclubs traf, entstand zwischen ihnen eine Partnerschaft mit dem Ziel das von den Stimmen der Fans lebende Printmedium mit dem Handy kurzzuschließen.

"Tigertxt" sollte alle Hull City FC-Anhänger über eine SMS-Mailingliste miteinander verbinden und die Stimme dieser Gemeinde in elektronischen Kurznachrichten Gestalt annehmen lassen. Ein Konzept, das den Nerv traf und wohl nicht zuletzt deswegen ein richtiger Hit wurde, weil die Ökonomie der 160 Zeichen-SMS den Sprechchören der Fans entspricht. Die während Spielen versendeten Live- Kommentare des Amber Nectar Redakteurs verstehen es ebenfalls sich Gehör in der emotionalisierten Stadionatmosphäre zu verschaffen. Letztlich finden die ausgetauschten Nachrichten ihren Weg aus dem elektronischen Raum in das öffentlich gedruckte Wort von Amber Nectar. Obwohl der ehemalige Sheffield United-Funktionär Adam Pearson mit einer großzügigen Finanzspritze den Hull City FC in der Zwischenzeit vor dem Ruin gerettet hat, nimmt Bakers Projekt unabhängig von dieser Entwicklung seinen Lauf.

Power to the fans! Das ist auch die Botschaft des Mobilfunkentrepreneurs Jussi Rautavirta für die Studenten, Postboten und Fabrikarbeiter, die in Pukinmaki, einem Vorort von Helsinki, für die neue Saison trainieren. Sie sind Spieler von PK-35, ein Amateurteam, das 1935 in Viipuri gegründet wurde. Auch ihr Trainer Janne Viljamaa hat sich die für Botschaft des Mobilfunkentrepreneurs empfänglich gezeigt und grünes Licht für das Projekt Club Manager gegeben. Es verbindet die Fans mit der Trainerbank via SMS, doch findet hier nicht Fanpost seinen Weg über den elektronischen Äther. Jede Woche richtet Viljamaa 3 bis 10 Fragen in Bezug auf Training, Teamauswahl und Spieltaktik an die Fans von PK-35. Die Fans haben dann 3 Minuten Zeit um Antworten darauf zu geben. Die Auswertung der Umfrage kommt ihnen 3 Minuten später zu. Die Resultate können bei einem laufenden Spiel höchst dramatischer Natur sein. Warum hat er sich der Trainer also einverstanden erklärt, den Fans soviel Macht in die Hand zu geben?

"Weil es niemals zuvor gemacht wurde, weil ich die ganzen Fragen auswähle und weil es eine Chance war für das Team und für mich ein bisschen Ruhm zu ernten. Es hat mich gelehrt, mehr an die Aktivitäten außerhalb des Fußballfelds zu denken und den Druck von den Fans besser zu kanalisieren. Sport ist auch eine Frage von Unterhaltung, und wer zahlt dafür? Die Fans. Wir haben mit unserem Konzept bewiesen, dass sie noch besser beteiligt werden können. Da es wichtig ist, dass die Fans sehen, dass ihre Entscheidungen in die Tat umgesetzt werden, habe ich mich dagegen entschieden, sie mit komplexen Fragen, wie denen nach der Teamformation, zu konfrontieren. Sie können in den meisten Fällen eh nicht erkennen, ob wir in einer 4-4-2 oder einer 3-5-2 Konstellation spielen. Die besten Fragen sind die, bei denen das Ergebnis offensichtlich ist."

Das Wirtschaftsmagazin Fast Company sieht in den Einsichten von Trainer Viljamaa einen Beleg für Management-Theorien. Was für ein Fußballteam gelte, ist für das Geschäft im allgemeinen richtig: Je mehr Macht man teile (mit Kunden, Angestellten, etc.), desto größere Gewinne ließen sich erzielen. Doch gäbe es kluge und weniger kluge Wege zu teilen. "Teile nicht zu viel", doziert Fast Company. "Biete eine Wahl zwischen zwei Alternativen an. Auf diesem Weg wird die Mehrheit mit dem Resultat glücklich sein. Wenn Du mehr als zwei Optionen zur Wahl stellst, läufst Du Gefahr, lediglich eine Minderheit zufrieden zustellen."