Aufstände im Iran: Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten

Seite 3: Ist ein Umsturz ein realistisches Szenario?

Von systemgefährdenden Massenaufständen kann noch nicht die Rede sein. Der Großteil der Menschen ist nicht bereit, Leben und Zukunft im Kampf gegen eine völlig skrupellose Staatsgewalt zu riskieren.

Das Aufgebot hunderter bis tausender gewaltbereiter Regimesöldner ist teilweise so einschüchternd, dass die Angst bei den meisten Menschen überwiegt.

Deshalb spielen sich die meisten Proteste, abgesehen von Teheran, in den Kleinstädten und Dörfern ab, wo die lokale Polizei oft den Kürzeren zieht. Dies geschieht vor allem im Norden und im kurdisch geprägten Nordosten des Landes, mittlerweile aber auch in Khuzestan und in Belutschistan im äußersten Südwesten und -osten des Landes. In Zahedan in Belutschistan haben die Aufständischen den Geheimdienstchef der Region getötet.

Wie spielen sich die Proteste im Augenblick ab?

In den meisten Städten sind die Straßen aktuell ruhig, partiell sogar leer, die Atmosphäre hat etwas von Ausnahmezustand. Weil die Situation unberechenbar ist, bleiben viele Menschen lieber zu Hause in Sicherheit. Die Proteste haben sich in den letzten Tagen von der Straße in die Universitäten verschoben oder entladen sich als unberechenbare Flashmobs, bei denen Frauen etwa ihre Hidschabs verbrennen.

Abends hört man in den Städten von zahlreichen Balkonen regierungskritische Slogans und Songs, die in voller Lautstärke gespielt werden. Dieser spontane und kleinteilige Charakter der Proteste dürfte sich erst ändern, wenn sie zu einer politischen Bewegung werden oder sich Teile der Armee und der Sicherheitskräfte auf die Seite der Demonstranten schlagen – was im Augenblick noch sehr unwahrscheinlich ist.

Was ist die größte Schwachstelle der Demonstranten?

Die Proteste im Iran sind desorganisiert – ein chronisches Gebrechen der iranischen Regimegegner. Mehr als um Demonstrationen handelt es sich um spontane kollektive Wutausbrüche, es fehlt zumeist an Gruppen und Organisationen, die den Protesten eine strategische Richtung oder einen geistigen Unterbau geben können.

Das liegt daran, dass die Islamische Republik jahrzehntelang kritische Stimmen aus der iranischen Kunst, Kultur und Politik systematisch eliminiert hat. Bekannte Dissidenten, Künstler, Aktivisten und Intellektuelle wurden durch die lange Hand der iranischen Geheimdienste weltweit verfolgt und getötet – mit zahlreichen Morden und Anschlägen auch auf europäischem und auf deutschem Boden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.