Aufstand der Fans

Kaiser Justinian inmitten seines Hofstaats auf einem Mosaik aus den Jahr 547.

Was der türkische Ministerpräsident aus der byzantinischen Geschichte lernen könnte

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Am Wochenende marschierten Fans der drei traditionell verfeindeten Istanbuler Fußballmannschaften Galatasaray, Fenerbahçe und Beşiktaş erstmals gemeinsam gegen den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der die byzantinische Geschichte der Stadt unlängst als "dunkles Kapitel" bezeichnete. Dabei gibt es in dieser Geschichte einiges, von dem auch heute lebende Politiker lernen könnten.

Zum Beispiel den Nika-Aufstand von 532, der beinahe zum Sturz des Kaisers Justinian geführt hätte. Das Bemerkenswerte an ihm ist, dass er von den Stadionparteien ausging – eine Art antiken Äquivalenten zu den heutigen Fußball-Fanclubs. Diese factiones unterstützten jeweils einen der verschiedenen Wagenrennställe, die sich durch die Farben Grün, Blau, Rot und Weiß unterschieden – wobei die Grünen und die Blauen die beiden eindeutig wichtigeren Teams waren. Zeitweise fungierten die Weißen als fester Bündnispartner der Blauen und die Roten als derjenige der Grünen.

Die Anhänger der Grünen und der Blauen, die ihre Schwerpunkte in verschiedenen Stadteilen hatten, waren so verfeindet, dass es immer wieder zu schweren körperlichen Auseinandersetzungen und massiven Zerstörungen kam. Der zeitgenössische Geschichtsschreiber Prokop berichtet voller Abscheu:

In jeder Stadt ist die Bevölkerung seit langer Zeit in blaue und grüne Parteien geteilt. […] Und diese [Anhänger der Stadionparteien] kämpfen gegen ihre Opponenten, ohne um das Ziel zu wissen, für das sie sich der Gefahr aussetzen. Aber sie wissen recht gut, dass selbst dann, wenn sie ihre Gegner im Kampf besiegen, das Ende der Angelegenheit für sie eine direkte Verbringung ins Gefängnis sein wird, wo man sie schließlich foltert und zugrunde richtet. So wächst in ihnen eine Feindschaft gegen ihre Mitmenschen, die keine Ursache hat und die nie mehr aufhört oder verschwindet, weil sie keinen Platz für die Bindung einer Hochzeit, einer Beziehung oder einer Freundschaft lässt. Das ist sogar dann der Fall, wenn jene, die sich anhand der Farben unterscheiden, Brüder oder in anderer Weise verwandt sind. Verglichen mit Siegen in ihren Kämpfen bedeuten ihnen weder göttliche noch menschliche Angelegenheiten etwas. Und es kümmert sie nicht, ob ein Sakrileg [….] begangen wird oder ob Freund oder Feind die Gesetze und die Verfassung verletzen. Selbst wenn sie vielleicht Mangel an Gütern des täglichen Bedarfs leiden oder wenn ihr Vaterland […] ungerecht leidet, sorgen sie sich nicht, wenn es nur für ihre Stadionpartei gut läuft.

Um so bemerkenswerter ist, dass sich die beiden Stadionparteien 532 gegen den (autoritärer als seine direkten Vorgänger regierenden) Justinian verbündeten. Der Anlass dafür waren Strafen gegen Anhänger der beiden Stadionparteien, die (Prokop zufolge völlig unerwartet) dazu führten, dass Grüne und Blaue den offenen Aufstand wagten und unter dem gemeinsamen Schlachtruf "Nika!" (Siege!) Justinians Neffen Hypatius zum neuen Kaiser ausriefen.

Im Rahmen dieses Aufstandes flohen viele Bürger aus der Stadt, die an vielen Stellen so sehr brannte, "als sei sie in die Hände eines auswärtigen Feindes gefallen". Unter anderem wurden die Vorgängerkirche der Hagia Sophia, die Zeuxippus-Bäder, die Großen Kolonnaden, Teile der kaiserlichen Palastanlage und viele Häuser reicher Familien Opfer der Flammen.

Justinian, der sich mit seinen Getreuen in einem unzerstörten Teil seines Palasts verschanzte, hatte mit den Feldherrn Belisarius und Mundus allerdings noch zwei Trümpfe in der Hand. Vor allem Belisarius, der eben von einem verlorenen Krieg gegen die Perser heimgekehrt war, wusste Soldaten hinter sich, die ausgesprochen kampferprobt waren. Die beiden Feldherrn stellten Hypatius im Hippodrom, dem Stadion, in dem die Wagenrennen stattfanden, und töteten ihn zusammen mit 30.000 seiner Anhänger. Erst 70 Jahre später gelang es den Stadionparteien schließlich doch noch, mit Maurikios einen byzantinischen Kaiser zu stürzen.

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