"Aus den Ergebnissen bisheriger Freihandelsabkommen lernen"
Seite 2: Übergang zu einer neuen Globalisierung
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Welche Unterschiede gibt es bei den Auswirkungen zum Beispiel der Freihandelsverträge zwischen dem globalen Süden und dem Norden?
Luciana Ghiotto: Natürlich trifft die Politik einen armen Menschen in Argentinien, Bolivien, Chile anders als einen in Frankreich oder Deutschland. Die Effekte sind im Süden viel heftiger. Schauen wir uns an, wie die Industrieländer sich entwickelt haben, sehen wir, wie der Süden über die Freihandelsabkommen betrogen wird. In Europa wurde die Entwicklung mit Kapitalkontrollen, Programmen zur Forschung und Entwicklung von Technologie und spezieller finanzieller Förderung von strategischen Sektoren vorangetrieben.
Über Freihandelsabkommen wird nun aber verhindert, dass auch die Länder im globalen Süden das so machen können. Wir befinden uns in einem Übergang zu einer neuen Globalisierung. Es gibt aber Politiken, die nicht in Frage gestellt werden, wie Freihandel, freier Markt, freier Kapitalverkehr... Das verhindert, dass man zu einer humaneren Globalisierung finden kann. Die ist so lange unmöglich, solange das Kapital im Zentrum der globalen Politik steht.
Wir stellen schon fest, dass sogar China kaum noch Ressourcen hat. Wenn China nun also nun Soja, Mais, Mineralien oder andere Stoffe aus dem Süden importiert, importiert es gleichzeitig riesige Mengen virtuelles Wasser, das zur Erzeugung gebraucht wird.
Die Wasserressourcen in China werden längst immer knapper, denn ein guter Teil der Flüsse in China sind verseucht und können nicht mehr zur Bewässerung genutzt werden. Das wird im Süden oft auch nicht verstanden, dass man nicht nur Güter exportiert, sondern große Mengen an virtuellem Boden, Wasser…
Welche Auswirkungen hat die Politik, die vom G7 oder den Finanzorganisationen wie dem IWF ausgehen, auf die Krise in Ihrem Heimatland Argentinien?
Luciana Ghiotto: In Argentinien sehen wir das Resultat des Freihandels. Das Land ist aber unter Macri auf halber Strecke stehen geblieben, zwischen tiefgreifenden neoliberalen Reformen, die Präsident Macri versprochen hat, und seinen populistischen Maßnahmen. Die haben natürlich die grundsätzlichen Probleme nicht gelöst. Der "freie Markt" wettet derzeit gegen Macri.
Er wird dafür bestraft, dass er nicht in der Lage war, die geforderten Reformen - wie die Arbeitsmarktreform - umzusetzen. Denn dagegen wurde ein breiter Widerstand aktiviert. Der das verhindert hat. Argentinien ist weiter ein nur ein Lieferant von Rohstoffen, statt ein Teil der weltweiten Produktions- und Wertschöpfungskette.
Unter Macri kehrte Argentinien aber wieder unter die Flügel des IWF zurück, der heute allerdings anders agiert als noch in den 1980er Jahren, als er direkt die Politik diktiert hat. Jetzt hat der IWF wohlwollend Macri mit Krediten unter die Arme gegriffen, um dessen Regierung zu stützen, wie es auch Trump getan hat. Doch das führt nicht zu den versprochenen Investitionen und die werden auch nicht kommen. Und es gibt keinen Plan B, keine Alternative von Seiten des Staates, wenn das nicht passiert.
Wir müssen sie finden, damit die Leute im Land nicht verhungern. Schauen wir uns an, wie die Inflation die Menschen verarmen lässt. Mit der letzten Abwertung der Währung sind fünf Millionen Menschen unter die Armutsschwelle gerutscht. Wir haben im laufenden Jahr eine Inflation von 55% und im vergangenen Jahr waren es 49%. Die Löhne halten damit nicht Schritt.
In zwei Jahren haben sich die Preise praktisch verdoppelt, die Löhne sind in den besten Fällen aber nur 40% in der gleichen Zeit gestiegen. Viele Sektoren bleiben sogar weit dahinter zurück. Wir haben also eine Verarmung über einen Angriff auf die arbeitende Bevölkerung.
Gerät Argentinien, das sich aus der der Schuldenfalle des IWF befreit hatte, nicht genau wieder wie andere Länder in diese Falle?
Luciana Ghiotto: Klar ist, dass es extrem schwierig ist, dieser Falle zu entgehen. Die Länder müssen sich in einem System kapitalistischer Staaten finanzieren. Auch die progressiven Länder stecken in dieser Zwickmühle. Die Frage ist: Wie kommt man an Geld und Ressourcen, um den Staat zu finanzieren, wie zieht man Steuern ein, wie baut man ein produktives System auf, dass auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist, wenn man dafür kein Geld hat?
Das ist die Falle des modernen Kapitalismus und es gibt dafür keine einfache Lösung. So bietet sich der IWF fast an, weil seine Zinsen niedriger sind, als die von privaten Banken. Aber natürlich wissen wir alle, was der IWF ist und was er tut.
Welche Bedeutung haben solche Veranstaltung wie der Gegengipfel?
Luciana Ghiotto: Die Treffen haben eine entscheidende Bedeutung. Die sozialen Netzwerke können das nicht ersetzen, was direkte Treffen bringen. Einst war das Sozialforum vor fast 20 Jahren ein Raum, um uns zu treffen, auszutauschen und an Alternativen zu arbeiten. Das Sozialforum ist heute in der Krise und es ist wichtig, dass Beziehungen über Kontinente aufgebaut und ausgebaut werden.
Es gab einst viel mehr Austausch zwischen Europa und Lateinamerika. Der hat gelitten, weil einige sehr kritisch zur Maduro-Regierung in Venezuela stehen, aber andere sie vehement verteidigen. Das hat uns gespalten und geschwächt. Es gibt aber Alternativen und das System ist nicht alternativlos, wie uns vorgegaukelt wird.
Wie sehen Sie die Bewegungen wie in Katalonien oder die der Gelbwesten in Frankreich, die ja auch hier auf dem Gegengipfel auftreten?
Luciana Ghiotto: Eines ist wichtig anzumerken. Der Widerstand in jedem Land nimmt seine eigenen Formen an. Das hat mit den jeweiligen kulturellen und politischen Wurzeln zu tun. Wir sehen, dass es zu Explosionen gegen die neoliberalen Politiken kommt wie hier mit den Gelbwesten. Sie haben es geschafft, einige Einschnitte von Macron zu verhindern. Diese Bewegungen müssen unterstützt werden.
Wir von Attac haben uns zur Aufgabe gemacht, die Verbindungen zwischen diesen Kämpfen herzustellen. Global denken, lokal handeln, drückt das aus. Nur weil man sich lokal wehrt oder für etwas eintritt, heißt das nicht, dass dieser Kampf nicht mit anderen in Verbindung steht. Das ist der Geist der "Intergalaktischen Treffen der Zapatisten" und lebt darin fort. Wofür an anderen Stellen gekämpft wird, hat Einflüsse auf das eigene Leben. Genau deshalb ist der Austausch hier so wichtig.
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