"Aus den Ergebnissen bisheriger Freihandelsabkommen lernen"
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Der Gegengipfel gegen den G7-Gipfel in Biarritz verläuft ruhig, friedlich und mit inhaltlich guten Debatten, was vom G7 nicht zu erwarten ist
Es herrscht gute Stimmung im französisch-baskischen Hendaye und im spanisch-baskischen Irun beim Gegengipfel gegen das Treffen der sieben Industriestaaten (G7), das am Samstag auf Einladung des französischen Präsidenten Emanuel Macron unter extremen Sicherheitsverhältnissen im "Bunker" beginnen wird. So nennen hier die Menschen die totale Abschottung des Seebads Biarritz über "verrückte" Maßnahmen für einen "verrückten" G7. Die Leidtragenden sind die Bewohner, die ständige Kontrollen, Durchsuchungen und Staus über sich ergehen lassen müssen.
Die totale polizeilich-militärische "Besetzung" der Grenzregion wird von mehr als 20.000 Polizisten und Paramilitärs aus Frankreich und Spanien geleistet. Allein 13.000 Polizisten und Gendarmen wurden aus Frankreich in die Region verlegt. Wie viele französische Militärs hier stationiert sind, ist unbekannt. Dazu kommen 4.000 Polizisten aus der Autonomen Baskischen Gemeinschaft auf der spanischen Seite des Baskenlands. Zudem sollen 3.000 Guardia Civils und spanische Nationalpolizei in der Region sein.
Aber auch Polizeisperren und Kontrollen können den produktiven Verlauf der Gegengipfel-Veranstaltungen und die friedlichen Aktionen aus dem Protestcamp nicht wirklich eintrüben, wenngleich die starke Präsenz der Sicherheitskräfte viele nervt. Viele hier auf dem Gegengipfel sind verärgert über die illegalen Festnahmen und Abschiebungen. Der Freiburger Mitarbeiter von Radio Dreyeckland (RDL) wurde am zum zweiten Mal Opfer der Schwarzen Listen, die Deutschland an Frankreich übergeben hatte, wie inzwischen über eine Anfrage der Linkspartei geklärt ist.
Für die skurrile Abschiebung wurde extra ein kleiner Jet aus Paris herangeschafft, um Luc in diesem Fall nach Stuttgart auszufliegen. Besonders besorgt ist der freie RDL-Journalist über das Wohlergehen anderer Gefangener im Knast von Hendaye. Er kann nicht ausschließen, dass drei Deutsche bei ihrer Festnahme oder danach verprügelt wurden. Auch die Haftbedingungen in Hendaye seien extrem "mies". Es gäbe wenig Tageslicht wegen "extra eingeschweißten Metallplatten". Zudem gäbe es nicht einmal richtige Räume für Anwaltsgespräche.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass mit dem völlig überzogenen und martialischen Auftreten der Sicherheitskräfte letztlich davon abgelenkt wird, dass der Gipfel aller Voraussicht nach ein Reinfall wird. Viele vermuten, dass bei den Demonstrationen, die ab Samstag beginnen, Krawall provoziert wird, um den unerklärten Ausnahmezustand zu rechtfertigen.
Inhaltlich wird wenig vom G7-Gipfel erwartet. US-Präsident Trump hatte schon den letzten Gipfel in Kanada platzen lassen. In der von Trump gewohnten Form zog er per Twitter seine Zustimmung zur gemeinsamen Abschlusserklärung zurück und beschimpfte den kanadischen Gastgeber Justin Trudeau wüst. Und erneut könnte die Handelspolitik und der handelspolitische Crash-Kurs von Trump auch nur eine gemeinsame Erklärung verhindern. Die Zeichen stehen gut für das totale Scheitern, da Trump auch schon die Macron-Idee als "schwachsinnig" abgetan hat, US-Unternehmen wie Google, Apple, Facebook und Amazon zu besteuern.
Macron versucht derweil, sich einen sozialeren Anstrich zu geben. Offiziell soll es auch um den "Kampf gegen Ungerechtigkeiten" geben. Inhaltlich versucht er sich auch den Kritikern darüber anzunähern, dass beispielsweise über die Gleichstellung von Mann und Frau, den Zugang zu Bildung und Gesundheit debattiert werden soll oder über ökologischen Wandel durch nachhaltigere Handels-, Steuer- und Entwicklungspolitik. Sicher wird es mehr Einigkeit beim Thema Sicherheitsbedrohungen und Terrorismus geben, das prominent auf der Tagesordnung steht.
Die Attac-Aktivistin aus Argentinien Luciana Ghiotto ist auf dem Gegengipfel in diesen Tagen eine gefragte Frau. Mit der Sozialforscherin der National University of San Martín, die auf internationale Beziehungen und auf Freihandelsabkommen spezialisiert ist, sprachen wir über den G7-Gipfel und den Gegengipfel.
"Ein perverses System - Alternativen dazu sind unabdingbar"
Wenn ich mir das Programm des Gegengipfels anschaue, stelle ich fest, dass Sie an den drei Tagen hier beidseits der französisch-spanischen Grenze in Hendaye und Irun so gefragt auf den vielen Veranstaltungen und Workshop sind wie wohl sonst niemand. Womit hat das zu tun?
Luciana Ghiotto: Wahrscheinlich mit einem Thema, über das wir gleich sprechen: Freihandelsabkommen. Ich werde unter anderem über die Auswirkungen solcher Abkommen für Lateinamerika sprechen, wozu ich besonders stark arbeite.
Freihandelsabkommen sind derzeit in Mode. Welche Auswirkungen stellen Sie bisher fest?
Luciana Ghiotto: Sie sind furchterregend. Ich bin Mitglied der Plattform "Lateinamerika ohne Freihandelsabkommen", die ich derzeit koordiniere. Daran nehmen sechs nationale Plattformen teil. In diesen Ländern wird das Thema seit vielen Jahren bearbeitet, vor allem seit dem Alca-Abkommen für eine Freihandelszone, die alle Länder in Süd-, Mittel und Nordamerika umfassen soll. Wir haben viel Erfahrung mit solchen Abkommen, die wir TLC nennen.
Wir erleben derzeit eine neue Welle solcher Abkommen, weshalb wir uns dagegen neu aufstellen müssen. Viele Länder in unserer Region haben Abkommen mit der EU oder den USA unterzeichnet und einige auch mit China. Vielen sind auch im globalen die Auswirkungen früherer TLC nicht wirklich klar. Wir blicken aber auf 25 Jahre zurück, als das Nafta-Abkommen 1994 gestartet wurde.
Es gab damals eine riesige Operation von Regierungen, multinationalen Unternehmen und internationalen Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) oder der Weltbank, die auch Kredite gewährten, um die Unterschrift unter den TLCs zu erreichen. Versprochen wurden Investitionen und Technologietransfer, was gute Auswirkungen auf die Beschäftigung haben sollte, die Exporte sollten diversifiziert werden und das alles sollte den Wohlstand in den Ländern vergrößern.
Was sind aber die Ergebnisse nach 25 Jahren?
Luciana Ghiotto: Unsere Studien zeigen, dass entweder gar nichts davon erfüllt wurde und wenn, dann nur in einer betrügerischen Weise. Es gab zwar Investitionen, aber nur in einige Sektoren. Der Staat hat darüber aber keinerlei Kontrolle. Der Investor kann tun und lassen was er will.
Versuchen Staaten die Gewinne durch Regulierung oder die Umweltzerstörung durch Auflagen zu begrenzen, werden sie über diese TLCs vor internationale Schiedsgerichte gezerrt. Das ist ein sehr perverses System, in dem die Staaten in eine Zwangsjacke gesteckt werden. Die Folgen sind meist gegenteilig zu den Versprechen.
Die Entwicklungsorganisation Oxfam hat gerade vor dem Biarritz-Gipfels eine Studie vorgelegt, die davon spricht, dass durch die Politik der G7-Länder die Ungleichheit "außer Kontrolle" geraten sei, wofür auch die Freihandelsabkommen verantwortlich gemacht werden. Man spricht von "Todsünden" der G7. Wird es auf dem G7 einen Konsens geben?
Luciana Ghiotto: Es wird schwierig werden, auf dem Gipfel zu einem Konsens zu kommen. Wir haben schon die Erfahrung des G7 in Kanada, als Trump schon US-Präsident war. Trump versucht, dem Rest der Länder seine Vorstellungen aufzuzwingen. Die übrigen Mitglieder, auch wenn sie wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder Japan mächtig sind, haben bisher keinen Weg gefunden, um dem zu begegnen.
Letztlich ist aber ohnehin der G20 bedeutsamer als der G7, weil da auch China dabei ist. Trump und der chinesische Präsident Xi Jinping benutzen die G20-Treffen für ihre Zusammenkünfte. Man sieht letztlich aber, dass beide Gremien nicht in der Lage sind, alternative Vorschläge zu machen. Ihre Vorschläge sind weiter den transnationalen Unternehmen und dem Kapital untergeordnet.
Solange das nicht durchbrochen wird, sind die Staaten gefesselt wegen der Macht des Kapitals. Über diese Frage wird hier auf dem Alternativ-Gipfel gesprochen. Wir müssen Alternativen schaffen, denn diese Politik der weiteren Liberalisierung, der Zirkulation des Kapitals und der Ausweitung des Handels führt in eine irrationale Spirale, die den Planeten zerstört. Das hat man vor Jahrzehnten vielleicht noch nicht so klar gesehen, aber heute sind Alternativen dazu unabdingbar.