Der "verrückte" G7-Gipfel in Biarritz
Im baskischen Biarritz lädt der französische Präsident Macron zum Gipfel ein, der auf breite Ablehnung im Baskenland stößt
Mit "Izorratuta", fous" oder "loco" ist das Adjektiv "verrückt" derzeit das wohl meistgebrauchte Wort in baskischer, französischer oder spanischer Sprache beidseits der französisch-spanischen Grenze im Baskenland. So wird hier der G7-Gipfel betitelt, zu dem der französische Präsident Emmanuel Macron die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten Industriestaaten für das nächste Wochenende ins baskische Seebad Biarritz eingeladen hat.
Lange Staus auf Straßen und Autobahnen, wegen Polizeikontrollen an den Grenzen, die es in der EU eigentlich gar nicht geben soll, machen schon seit Wochen das Leben der Menschen nicht nur zwischen Irun und Hendaye schwer, wo auf beiden Seiten des Grenzflusses Bidasoa ab Mittwoch ein Gegengipfel stattfinden wird. Erste Proteste und erste Repressionsmaßnahmen von Seiten französischer Behörden geben schon eine leise Ahnung davon, was in den kommenden Tagen hier mit angekündigten Grenzschließungen, Demonstrationen und Besetzungen zu erwarten ist.
Vor dem Hotel Santiago in Hendaye steht am Sonntag eine Anwohnergruppe zusammen. Auch dieses Hotel ist requiriert worden, um ab heute Polizeikräfte hier zu stationieren. Vor dem Hotel werden die wenigen und konfusen Informationen ausgetauscht, die derzeit hier kursieren. Herr Tricard kommt am Sonntag von einem Treffen mit dem Bürgermeister Kotte Ezenarro zurück. Er berichtet, dass auch dieser völlig genervt sei. Ezenarro hat es längst für "verrückt" erklärt, den Gipfel hier und noch dazu mitten im Sommer durchzuführen. Und er unterstützt den Gegengipfel hier und im Irun.
Gefängnis extra für Festnahmen geräumt
Der Bürgermeister hat auch dazu beigetragen, dass am Rand von Hendaye ab Montag ein Protestcamp errichtet wird kann, wo mehrere tausend Menschen übernachten werden und die ersten Teilnehmer schon eingetroffen sind. Als "Privatperson" will er an "interessanten Debatten" des Gegengipfels auch der Bürgermeister teilnehmen.
"Auch der Bürgermeister bekommt kaum Informationen und das wenige, was er bekommt, wird meist nach wenigen Stunden widerrufen", berichtet Tricard von der Zusammenkunft. Ein anderer Nachbar will wissen, ob wirklich alle geparkten Autos ab Montag aus dem Viertel raus müssen, wenn die G7-Gegner eintrudeln. "Davon muss man ausgehen, aber das weiß auch der Bürgermeister noch nicht."
Vermutet wird, dass die Gendarmerie besonders in der Santiago-Straße freie Bahn haben will. Zur Sicherheit bietet Herr Coldebeuf seinem Nachbarn an, das Auto in seinen Hof zu fahren, damit es nicht abgeschleppt wird, was ohne einwöchige Vorankündigung illegal wäre. "Aber das schert die nicht", sind sich die Nachbarn einig. Und tatsächlich, wie der Autor erfahren hat, wurden am heutigen Montag in dieser Straße die Verbotsschilder aufgestellt und den Besitzern der geparkten Wagen gedroht, dass diese abgeschleppt werden.
Klar ist, dass die Santiago Kalea, wo die beiden erwähnten Herren wohnen, eine zentrale Achse sein wird. Sie verbindet die Tagungsorte des Gegengipfels, wie Joseba Alvarez, ein Sprecher von "G7EZ‘ (Nein zum G7) im Telepolis-Interview erklärt hat ("Alternativen" und "ziviler Ungehorsam" gegen G7-Gipfel). Denn die Rue de Santiago führt vom Kino Varietés hinunter zur "Internationalen Brücke" und auf der gegenüberliegenden Seite findet sich das Messegelände Ficoba.
An der Brücke liegt auch der Gendarmerie-Posten mit dem angegliederten Gefängnis. Das wurde extra für Festnahmen geräumt. Und das gesamte Gebiet, besonders der G7-Tagungsort Biarritz, wird derzeit aus Angst vor islamistischen Anschlägen in eine Hochsicherheitszone verwandelt, der hier "Bunker" genannt wird. In der Region werden neben der Polizei auch Heer, Luftwaffe und Marine mobilisiert und sogar Boden-Luft-Raketen stationiert.
Verschärfte Kontrollen
Seit dem heutigen Montag wurden die Kontrollen noch einmal deutlich verschärft und ständig kreist ein Hubschrauber über der Zone. Zeigten die französischen Gendarmen bisher meist nur Anwesenheit und ließ die übergroße Mehrheit unkontrolliert durchfahren, werden nun die kontrolliert, die irgendwie verdächtig aussehen. Auf der gegenüberliegenden Seite kontrolliert seit heute auch die spanische Nationalpolizei die Einreise. Bilder von den Kontrollen zu machen, wurde dem Autor unter Strafandrohung verboten, allerdings hat France Info die Vorgänge auf der "Internationalen Brücke" trotz allem gefilmt.
Auch die Autobahnausfahrt nach Hendaye und Zugstation des Euskotren rechts vom Bahnhof sind geschlossen. Der "Topo" - wie die Schmalspurbahn als "Maulwurf" bezeichnet wird - verbindet Hendaye mit Irun und Donostia-San Sebastian. Die Bahnhofsschließung ist aber vor allem für Fernreisende und Touristen eine Qual. Die müssen nun von der letzten Station (Messegelände Ficoba) auf spanischer Seite mit dem Gepäck über die Brücke durch die Polizeikontrollen zum Bahnhof Hendaye laufen, um zu den Fernzügen nach Paris zu kommen. Freunde macht man sich mit solch absurden Vorgängen nicht.
Behörden rechnen mit 300 Festnahmen pro Tag
Vor allem aus der französischen Hauptstadt wird zum Teil Angststimmung in der örtlichen Bevölkerung in Lapurdi geschürt, wie die Basken die Provinz nennen, in der Hendaia und Miarritze liegen. Gewarnt wird auch vor dem "Schwarzen Block" und vor Gelbwesten-Aktionen. Viele gehen in Hendaye davon aus, dass man nur mit solchen Geschichten kommt, um die absurde polizeilich-militärische Besetzung zu legitimieren.
Offiziell rechnen die Behörden mit 300 Festnahmen pro Tag und es wird vor Gewaltszenen wie einst in Genua oder Hamburg beim G20 gewarnt. Deshalb debattieren Bewohner von Hendaye zum Teil auch verängstigt darüber, ob sie ab Montag noch das Haus verlassen können und ob ihre geparkten Autos zu Barrikaden umfunktioniert werden.
Doch diese Bilder will man aus Hendaye und Irun nicht liefern. Wie die Plattform G7EZ ("Nein zum G7") geht auch Bürgermeister Ezenarro von einem friedlichen Verlauf aus. Er glaubt nicht, dass die, die hier über eine bessere Welt eintreten wollen, "Scheiben einschlagen und Autos abbrennen wollen." Für die Veranstalter hängt allerdings viel vom Verhalten der französischen und spanischen Sicherheitskräfte ab. Auch der Stellvertreter von Ezenarro redet gegenüber Radio Euskadi gegen Panikmache an und sieht keine Probleme aufziehen.
Iker Elizalde geht auch davon aus, dass die Demonstration am kommenden Samstag friedlich in "Feststimmung" ablaufen wird. Das hätten die Veranstalter in den Versammlungen versichert - "und das sind keine Außerirdischen, sondern Organisationen von hier, die zum Teil in den Gemeinderäten sitzen, weshalb wir volles Vertrauen haben."
In Frankreich wird aber schon versucht, Teilnehmer an der Reise ins Baskenland zu hindern. Wie an dieser Stelle berichtet, traf es den freien Mitarbeiter von Radio Dreyeckland in Freiburg. Luc wurde festgenommen und im Eilverfahren abgeschoben. Das war genauso illegal, wie ihn mit einer dreijährigen Haftstrafe bei einer erneuten Einreise zu bedrohen.
Das wurde am Freitag im Prozess in Paris festgestellt. Luc bekam eine Entschädigung von 1.000 Euro zugesprochen. Er erklärte gegenüber Telepolis: "Ich werde mich auf den Weg nach Hendaye und Biarritz machen". Ob er durchkommt und von hier berichten kann, ist aber weiterhin unklar. Der Anwältin wurde eröffnet, dass längst ein neuer Beschluss des Innenministeriums vorliege. "Dessen Inhalt ist uns nicht bekannt", erklärt Luc. Vermutet wird, dass man ihm nun die Einreise nach Frankreich verweigern will, was rechtlich offenbar einfacher für die Behörden als eine Ausweisung ist.
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