Aus der Ausländer-Maut soll die EU-Maut werden
Verkehrsminister Scheuer hat das Projekt der CSU noch nicht abgeschrieben, sondern weiter ausgebaut
Gestern unterbreitete der deutsche Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer dem Kabinett einen Entwurf für eine EU-Maut-Richtlinie, die in diesem oder im nächsten Jahr verabschiedet und ab 2029 gelten soll. Sie sieht vor, dass außer auf kleinen Inselländern wie Malta und Zypern "grundsätzlich alle Fahrzeuge, die auf der Autobahn fahren (also auch Pkw, jedoch nicht Motorräder oder Busse) Gebühren entrichten müssen". Diese Gebühren sollen einer Erläuterung zum Entwurf nach entweder zeitbezogen oder streckenbezogen erhoben werden dürfen.
Außerdem soll den EU-Mitgliedsländern eine Preisdiskriminierung nach Fahrzeugtypen erlaubt werden. Elektro- und Wasserstofffahrzeuge sollen ganz befreit werden können, für Hybridmotoren ist das nur auf nachweislich "emissionsfrei" zurückgelegten Strecken vorgesehen. Höhere Autobahngebühren in besonders belasteten Gebieten wie der Transitregion Tirol will Scheuer nur dann zulassen, wenn alle Mitgliedsstaaten, auf die das Auswirkungen hat, zustimmen. Ob sich die österreichische Bundesregierung auf so einen Richtlinientext einlässt, ist offen. Vielleicht ist er auch nur als inhaltlich bereits abgeschriebene rhetorische Spitze gegen die Alpenrepublik gedacht, die mit ihrer Klage Scheuers alte Deutschlandmaut zu Fall und ihm einen Untersuchungsausschuss einbrachte (siehe unten).
Vielleicht wird der Passus aber auch schon auf der deutschen Kabinettsebene gestrichen. Dort hat das SPD-geführte Bundesumweltministerium den Entwurf kritisiert, weil er mit zeitbezogenen Gebühren "Flatrates" erlauben würde. Die andere Option - die streckenbezogene Gebühr - wird unter anderem von Grünen wie Winfried Kretschmann befürwortet. In einem Interview mit dem Focus meinte der baden-württembergische Ministerpräsident dazu, eine "elektronische, entfernungsabhängige und satellitengestützte Maut" werde "Straßen zu einem knappen Gut machen" und so für eine bessere Ausnutzung der vorhandenen Strecken sorgen (vgl. Grüne Totalüberwachung des Autoverkehrs).
Alte Forderung der EU-Kommissare
Eine EU-Maut-Richtlinie ist keine ganz neue Idee, wurde aber bislang vor allem von der EU-Kommission gefordert (vgl. EU-Verkehrskommissarin will Entwurf für PKW-Straßenmaut vorlegen). Der ehemalige estnische Mobilitätskommissar Siim Kallas wollte alle mauterhebenden EU-Mitgliedsländer aus Gründen der "Fairness" bereits 2014 zu einer satellitenüberwachten kilometerabhängigen Erhebung verpflichten (vgl. Oettinger will Europamaut
Der damalige deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt lehnte das noch ab und plädierte stattdessen für eine Vignettenlösung, die eine "Gerechtigkeitslücke" schließen und dafür sorgen sollte, dass auch holländische und dänische Urlauber auf der Durchfahrt durch Deutschland zur Finanzierung von Straßen- und Brückenreparaturen mit beitragen (vgl. Dobrindt will PKW-Maut via Vignette einführen). Aus dieser "Ausländer-Maut" wurde trotz Angela Merkels Wahlversprechen "Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben" eine Gebühr, die auch von deutschen Autofahrern verlangt werden sollte. Ihnen versprach man, die würden dafür bei der Kraftfahrzeugsteuer entlastet.
Ulrich Klaus Becker, der Verkehrs-Vizepräsident des ADAC, orakelte bereits damals, dass Dobrindt mit seiner "Ausländermaut" bewusst oder unbewusst "den Weg für eine europäische Kilometerabgabe geebnet haben könnte". "Wenn die deutsche Pkw-Maut nach zwei Jahren wie vom Bund geplant auf den Prüfstand kommt", so Becker, dann "droht eine Kilometerabgabe für alle" und zwar ohne "Entschädigung der deutschen Autofahrer".
Tatsächlich entschied der Europäische Gerichtshof dann im letzten Jahr auf eine Klage der österreichischen Staatsführung hin, dass die von der deutschen Bundesregierung geplante PKW-Maut eine Ungleichbehandlung von EU-Ausländern mit sich bringe und damit unzulässig sei. Dobrindts Nachfolger Andreas Scheuer hatte diese Entscheidung nicht abgewartet, bevor er mit einem Konsortium aus dem österreichischen Verkehrstelematikkonzern Kapsch und dem deutschen Ticketvermarkter CTS Eventim Verträge schloss.
Diese Verträge sieht dieses Konsortium mit dem Namen "autoTicket GmbH" nun als Grundlage dafür an, nicht nur eine "Kompensation der Beendigungskosten" zu fordern, sondern auch "den entgangenen Gewinn über die Vertragslaufzeit". Zusammengerechnet summieren sich diese Forderungen auf 560 Millionen Euro, die der deutsche Steuerzahler übernehmen soll, ohne dass er dafür mit Einnahmen aus einer PKW-Maut rechnen kann (vgl. Geplatzte Pkw-Maut: Betreiber verlangt 560 Millionen Euro Schadenersatz vom Bund).
Für die Oppositionsparteien im Bundestag war das ein Anlass, ihr Minderheitenrecht auf einen Untersuchungsausschuss einzufordern, der im Januar seine Arbeit aufnahm. Sehr viel hat er seitdem noch nicht herausgefunden. Dem FDP-Ausschussmitglied Oliver Luksic zufolge hängt das damit zusammen, dass "das Verkehrsministerium die Aufklärung behindert und bei der Vergabe der gescheiterten Pkw-Maut mit allen Mitteln schwerste Fehler vertuschen möchte" (vgl. Scheuer unter Druck - und Druck durch Scheuer?).