Aus für Nord Stream 2: Europas Erdgas-Dilemma

Wer durch das vorläufige Aus für Nord Stream 2 am meisten in die Röhre schaut, ist unter Umständen kein Russe. Foto: Vuo / CC-BY-SA-4.0

Die EU möchte sich gern von russischen Energielieferungen unabhängig machen – aber das dürfte selbst mittelfristig kaum möglich sein

Die lang umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 ist gestoppt. Am Dienstag hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) diesen Schritt veranlasst. Laut einem Bericht von Spiegel Online hatte Habeck die Entscheidung seit Monaten vorbereiten lassen. Der Anlass für den Stopp der Zertifizierung ist die russische Entscheidung, die selbsternannten "Volksrepubliken" im Donbass offiziell als unabhängige Staaten anzuerkennen.

Wie es mit der Gasleitung weitergeht, ist offen. In den nächsten Monaten solle nun gründlich geprüft werden, welche Auswirkungen die geopolitischen Veränderungen auf die Versorgungssicherheit der Bundesrepublik und Europas haben werden.

Mit dieser Frage beschäftigt sich auch die Europäische Union. Für Dienstag waren Beratungen angekündigt, wie die Gasversorgung sichergestellt werden könnte, wenn der Ernstfall eintrete, hatte EU-Energiekommissarin Kadri Simson am Montag angekündigt.

Damit meinte sie den Fall, dass Russland seine Gasexporte in die EU teilweise oder ganz einstelle. In diesem Fall müsse es gewährleistet werden, dass alle EU-Mitgliedsländer mit verflüssigtem Erdgas (LNG) versorgt werden können, auch die Länder ohne Zugang zum Meer.

Das Problem ist bekannt: Die Gasspeicher in Europa sind mit einem Füllstand von nur 30 Prozent fast leer. Das ist ein historischer Tiefstand. Sollte Russland nun die Gaslieferungen stoppen, kämen die EU-Länder wohl nur bis über den Winter, sagte Simson. Aber das auch nur, weil einige LNG-Lieferungen im Januar angekommen sind.

Wichtigste Lieferanten: Katar und USA

Der wichtigste LNG-Lieferant ist das Golfemirat Katar, das im letzten Jahr rund 40 Prozent des europäischen Bedarfs geliefert hat. Die USA hätten ebenfalls beträchtliche Mengen nach Europa geliefert, erklärte Simson.

Andere Hoffnungsträger seien Aserbaidschan und Norwegen. Sollte sich die Europäische Union in Zukunft stärker auf Erdgas aus den USA stützen wollen, dann wäre es ihr kaum noch möglich, die eigenen Klimaziele einzuhalten; denn ist wesentlich klimaschädlicher als das russische. In den USA wird Erdgas häufig mit der emissionsintensiven Fracking-Methode gewonnen.

Kühlung und Schiffstransport des Flüssiggases benötigen noch einmal viel Energie. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) warnte kürzlich ein Vertreter des Umweltbundesamtes: Wenn man auch die Emissionen von Förderung und Transport berücksichtige, dann sei das Flüssiggas "fast so klimaschädlich wie Steinkohle".

Kurzfristig bringen diese LNG-Lieferungen etwas Entspannung in den europäischen Gasmarkt. Auf lange Sicht dürften sie kaum ausreichen – und schon gar nicht das russische Angebot ersetzen können. Saad Sherida Al Kaabi, Energieminister von Katar, hob das kürzlich hervor.

Nach einem Bericht des Handelsblatts räumte er kürzlich ein, dass "die von der EU benötigte Gasmenge von niemandem einseitig ersetzt werden kann, ohne dass die Versorgung anderer Regionen in der Welt beeinträchtigt wird".

LNG könnte schon 2025 knapp werden

Ein erheblicher Anteil am weltweiten LNG-Angebot wird über langfristige Verträge verkauft. Deshalb ist die Menge, die Katar nach Europa liefern könnte, überschaubar. Laut Branchendienst S&P Platts beläuft sich die frei verfügbare Menge auf rund 60.000 Kubikmeter täglich. Im Gegensatz zum tatsächlichen Bedarf ist diese Menge vernachlässigbar. Denn allein Deutschland importierte im Jahr 2020 knapp 102 Milliarden Kubikmeter Erdgas.

Nun warnte auch der britische Energiekonzern Shell: LNG könnte ab 2025 knapp werden. Der Bedarf werde in den nächsten Jahren weltweit steigen, was unter an dem Bemühen vieler Länder liege, aus fossilen Energieträgern wie Öl und Kohle auszusteigen. Ab 2025 könnte die weltweite Nachfrage das Angebot übersteigen und zu einer steigenden Konkurrenz zwischen Europa und Asien führen.

Robert Habeck kündigte am Montag in einem Interview mit dem Handelsblatt an, den Bezug von Erdgas diversifizieren zu wollen. Dafür plant er LNG-Terminals an der norddeutschen Küste. Doch der Nutzen dieser Terminals ist begrenzt, wenn das weltweite LNG-Angebot nicht mit dem Bedarf schritthält. Bis 2040 könnte der LNG-Bedarf auf 700 Millionen Tonnen jährlich steigen; aber bislang sind Verflüssigungsanlagen nur mit einer Kapazität von 400 Millionen Tonnen weltweit in Betrieb oder in Planung.

Getrieben wird der Bedarf von China. Laut Handelsblatt geht man davon aus, dass in den nächsten Jahren mehr als zwei Drittel der LNG-Nachfrage aus China kommen. Bereits jetzt hat das Land einen Bedarf von 79 Millionen Tonnen und hat Japan als weltgrößten LNG-Importeur abgelöst.

Den größten Teil seiner Nachfrage hat sich China über langfristige Verträge gesichert, erklärte ein Shell-Vertreter gegenüber dem Handelsblatt. Europa hänge hinterher, weil es sich noch nicht klar darüber sei, welche Rolle Erdgas in den nächsten Jahren spielen solle. Das mache Investitionen schwierig.

Ein Ausweg aus dem Dilemma wäre ein rasanter Ausbau der Erneuerbaren Energien. Doch der dürfte auch erst mittel- bis langfristig Wirkung zeigen. Und Habeck erklärte Anfang Februar, um den Energiebedarf in Deutschland zu decken, müssten wohl fünf bis zehn Prozent der Landesfläche mit Windkraftanlagen vollgestellt werden, was er selbst absurd finde.

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