Ausbeutung von Indien bis nach Deutschland

Ausbeutung und Umweltzerstörungen gehen oft Hand in Hand, auch in Dhaka Bangladesch. Foto: Marco Doringer

Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung kommt zum Schluss, dass die Teepflücker im indischen Darjeeling ausgebeutet werden. Dass der Mensch, der die eigentliche Arbeit ausführt, ausgebeutet wird, liegt jedoch auch in Deutschland im System

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60 Kilometer westlich von Darjeeling liegt das nepalesische Teeanbaugebiet Ilam. Unterhalb der Basarstadt Phikkal pflücken die Mitglieder der Familie Kulung etwa 2.500 Kilo Teeblätter pro Jahr, die sie selbst rollen und trocknen. Da sie auf Qualität achten und nur die ersten beiden Blätter und den sogenannten "Tip" pflücken, zahlen Teekenner mittlerweile 80 Dollar für das Kilo.

Obwohl die Nachfrage da ist, bekommen sie für ihre 500 Kilo Tee - 5 Kilo Teeblätter ergeben ein Kilo Tee -, aber nicht für diesen Preis verkauft, "weil sie nicht dürfen". Um ins Ausland zu exportieren, brauchen sie eine Genehmigung der Regierung, doch nach zweimaligem Versuch, haben die Kulungs aufgegeben, die Genehmigung zu beantragen. So bleiben nur die Touristen, die ab und zu auf der Farm mithelfen als Kunden, die Qualität fair bezahlen.

Mindestlohn: 2,5 US-Dollar am Tag

Im benachbarten Darjeeling bekommen die Teepflücker 1,4 bis 2,8 Prozent des Verkaufspreises der in Deutschland erzielt wird. Laut einer Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) geht ein Viertel des Darjeeling-Tees nach Deutschland. Der Mindestlohn für Teepflücker in Darjeeling beträgt 177 Rupien am Tag, etwa 2,5 US-Dollar, und auch der wurde erst in den letzten Jahren erkämpft.

Doch haben die vorwiegend weiblichen Pflückerinnen nur 100 Tage Arbeit im Jahr garantiert und das auch nur dank eines Gesetzes der vorherigen Regierung aus dem Jahr 2005, dem Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act 2005.

So sind die Teepflücker auf Lebensmittelhilfen der Regierung angewiesen, sagt die Studie der RLS. Einige der Arbeiterinnen und Arbeiter auf den von der RLS besuchten Teefarmen leiden zudem an Mangelernährung.

Ein Teegarten in Darjeeling. Auf und ab für 2,5 US-Dollar am Tag. Foto: Gilbert Kolonko

Was Nepal mit Darjeeling zu tun hat, wurde im Sommer 2017 klar, als ein 100-tägiger Streik von Unabhängigkeitsbefürwortern in Darjeeling 70 Prozent der Tee-Ernte zerstörte. Wie mir Teebauern im Ilam-Distrikt mehrfach erzählten, kamen einige Einkäufer aus Darjeeling und kauften Teeblätter auf. Dazu kamen viele Großhändler aus Kolkata und kauften massenweise Tee aus Ilam, um ihn dem Darjeeling unterzumischen.

In Darjeeling und Kolkata wurden diese Vorwürfe abgestritten. Die Qualität der Teeblätter unterscheidet sich nicht groß zwischen Ilam und Darjeeling, nur in der Weiterverarbeitung haben die Inder einen Vorsprung: Beim typischen Darjeeling Tee wird die Fermentation des Teeblattes an einem beabsichtigten Zeitpunkt gestoppt.

Mittlerweile besinnen sich die Teebauern Ilams immerhin darauf, eine eigene Marke zu etablieren: den Ilam Tee.

Der Kreislauf

Nach eigenen Recherchen bekommen die Pflücker in Ilam drei bis fünf Dollar am Tag. Doch dann geht es wieder in die gewohnte Richtung: Es wachsen vor allem einzelne Teefarmen, die auf günstige Arbeiter setzen, und große Teefabriken für die maschinelle Massenproduktion.

"Ich hatte eine Zeitlang versucht, mit anderen Teebauern eine Kooperative zu bilden, so dass wir unseren ökologisch angebauten Tee, der nicht maschinell geschnitten wird, als eine eigene Marke etablieren", sagt Deepak Kulung und fügt hinzu: "So wäre es dann auch einfacher gefallen, eine Export-Genehmigung zu bekommen und einen festen ausländischen Kundenstamm."

Dann erzählt Deepak, dass er auch schon Teeläden in Deutschland gewonnen hatte, die ihm jedes Jahr eine bestimmte Menge zu einem fairen Preis abkaufen wollten. Doch seine eigene Teefarm ließ ihm wenig Zeit, das Projekt intensiv zu verfolgen: "Die Lebenserhaltungskosten in Nepal sind in den letzten Jahren drastisch gestiegen und auch die Schulgebühren für unseren Sohn (ihr einziges Kind), müssen regelmäßig bezahlt werden."

So sieht die Realität 2019 auch in Phikkal folgendermaßen aus: Unterhalb von Deepaks Teefarm war Anfang des Jahres 2017 noch ein Fußballplatz, jetzt steht dort eine Teefabrik. Der Inhaber zahlt den Bauern der Umgebung 40 bis 60 nepalesische Rupien für jedes Kilo Teeblätter - das sind 33 bis 50 Eurocent.

Dass Menschen, die die Arbeit ausführen, nur einen Bruchteil vom Gewinn erhalten, ist jedoch Teil des Systems. 1984 zeigte der in Indien geborene Professor Asit Datta in seinem Buch Welthandel und Welthunger explizit auf, wie Länder der sogenannten dritten Welt vom Westen mit Knebelverträgen ausgebeutet werden und warum Schwellenländer wie Brasilien Schwellenländer bleiben werden.

30 Jahre später veröffentlichte Datta das Buch Armutszeugnis. Nur die Zahlen hatten sich geändert, das politisch gewollte System der Ausbeutung war das gleiche geblieben - und Brasilien immer noch ein Schwellenland.

Löhne, Subunternehmer, Ich-AGs

Doch dieses System herrscht auch in Deutschland. Da boomt zum Beispiel die Baubranche, aber der Arbeiter, der die eigentliche Tätigkeit ausführt, wird oft mit einem geringen Lohn abgespeist. Das war auch vor der Europäischen Gemeinschaft so. Auch früher wurden Bau-Aufträge bis zu sechsmal "versubt". Das heißt, dass manchmal fünf Subunternehmer vorher Geld abgreifen.

So entsteht dann oft Schwarzarbeit, weil der Bauunternehmer, der am Ende die Arbeiten ausführen lässt, anders keinen Gewinn für sich erwirtschaften kann. Dass der Mindestlohn für einen Facharbeiter auf dem Bau bei nur 15,20 Euro liegt, für eine "Knochen-Arbeit", die Knochen auf Dauer kaputt macht, liegt nach Meinung von Gewerkschaftlern auch daran, dass der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Baugewerbe gering ist: Bei der Gründung der IG-Bau im Jahr 1996 hatte sie 720.000 Mitglieder. Im Jahr 2018 noch 245.000.

Wer mit den unorganisierten Arbeitern spricht, hört oft ein Argument, das auch Deepak in Ilam hervorbrachte: Keine Zeit, sich auch noch darum zu kümmern.

Plastiksammler in Indien und Bangladesch sind schon Ich-AGs. Foto: Gilbert Kolonko

In manchen IT-Bereichen sind Anfangsgehälter von 50.000 Euro pro Jahr auch ohne Gewerkschaft normal. Dort sitzt zwischen Auftraggeber und dem, der die Arbeit ausführt, in der Regel nur ein anderes Unternehmen, das im Schnitt 20 Prozent des Geldes abzweigt.

Da öffentliche Aufträge in dem Bereich mit einer Tagesgage von 800 bis 1.000 Euro ausgeschrieben werden, bleibt für den, der die Arbeit ausführt, ein anständiger Lohn. Ein IT-Unternehmer, dessen Name der Redaktion bekannt ist, erklärt gegenüber Telepolis, warum das auch in den nächsten Jahren so bleiben wird: "Erstens, weil der IT-Markt boomt. Dazu sind die 'Arbeiter' in unserem Bereich selbstbewusster, haben keine Angst vor Veränderungen und können ihre Arbeitskraft besser verkaufen. Viele arbeiten auch als Selbstständige."

Dann rät er den Facharbeitern im Baugewerbe, sich ebenfalls selbständig zu machen und ihre Arbeitskraft teurer anzubieten. "15 Euro Stundenlohn für eine solch anstrengende Arbeit sind eine Unverschämtheit", findet auch der IT-Unternehmer.

Fahrradkuriere und ein wachsender Markt

Was moderne Unternehmen wie Lieferando so Neues machen, kann in Berlin betrachtet werden. Zuerst haben sie sich ein Monopol erarbeitet. Dazu wurde ein Heer von schlecht bezahlten Fahrradkurieren geschaffen, die ihr Hauptarbeitsmittel, das Fahrrad, selbst stellen und pflegen müssen. Für die Restaurantbesitzer ist es ein Muss, bei Lieferando angemeldet zu sein - das bringt ein Monopol auf einem wachsenden Markt mit sich.

"Wir zahlen Lieferando 13 Prozent von jedem Essen, das über ihr System bestellt wird. Dazu fahre ich das Essen selbst aus. Die Kosten dafür bringt der eine Euro, die der Kunde für den Lieferservice bezahlt, nicht rein", sagt Ricki (Name der Redaktion bekannt), der mit seiner Frau ein kleines Restaurant in Berlin-Wedding führt: "Die ersten 14 Tage nach der Anmeldung boomte unser Geschäft: bis zu 25 Bestellungen am Tag." Damals wurde das Restaurant auf der Seite von Lieferando als Neukunde geführt.

Jetzt sind es eine bis fünf Bestellungen am Tag - die meisten sind Stammkunden. Aber, so erzählt Ricki von einem stürmischen Tag im Juni dieses Jahres: "Plötzlich spuckte unser Lieferando-Gerät Lieferbons ohne Ende aus." Auch Bestellungen, die weit über ihr angegebenes Einzugsgebiet von 3,5 Kilometern hinausgingen. Der Grund war, dass fast alle Restaurants den Lieferbetrieb wegen des Unwetters eingestellt hatten.

Am nächsten Tag herrschte bei Ricki wieder Lieferando-Alltag. So erkundigte er sich, wie er sein kleines Restaurant bei Lieferando bekannter machen könnte: "Wenn ich im Lieferando-Ranking weiter oben erscheinen möchte, müsste ich pro Lieferung zwischen 8 Euro und 11,14 Euro zusätzlich an Lieferando bezahlen".

Bei einem durchschnittlichen Bestellwert von 25 Euro ist das für Ricki nicht zu stemmen, und selbst größere Restaurants können das nur kurzfristig. Ricki weiß jedoch, dass er in der heutigen Zeit Lieferservice anbieten muss, um zu überleben: "Ich werde jetzt verstärkt mit Zetteln und Sonderpreisen in meiner Umgebung werben, dass die Kunden Essen auch ohne Lieferando direkt bei uns bestellen können."

Ob Kunden da mitspielen, die sich daran gewöhnt haben, dass Lieferando für sie variantenreich "kocht", wird sich zeigen.