Aushunger-Diplomatie gescheitert?

Internationale Geber fürchten Zusammenbruch der Palästinensischen Autonomiebehörde

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Die Palästinenser können vorübergehend aufatmen. Das Nahost-Quartett, ein Zusammenschluss aus USA, Europäischer Union, Russland und den Vereinten Nationen, beschloss am Dienstag die Wiederaufnahme der Unterstützungszahlungen. Unter Umgehung der im Januar gewählten Hamas-Regierung fließen die Mittel für zunächst drei Monate über Präsident Mahmud Abbas (Fatah) und dienen zur Finanzierung des riesigen Verwaltungsapparates der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Diese kann seit zwei Monaten die Gehälter für die 165.000 Polizisten, Lehrer und anderen Beamten nicht mehr aufbringen.

„Egal wer in der Regierung ist, die Leute müssen essen“, meint Abu Khalil, Tomatenverkäufer in Ramallah. „Der Magen kommt vor allem anderen.“ Sein Geschäft läuft zwar gut. Er denkt aber, dass viele Menschen nun von Gemüse und Brot leben und sich teure Lebensmittel nicht mehr leisten können. Die Abriegelung der besetzten Gebiete führte bereits zu Toten. Das Shifa-Krankenhaus in Gaza erklärte am Mittwoch den Tod dreier Nierenpatienten wegen Medizinmangels. Hunderte weitere warteten auf ihre Medikamente.

Die Krise verstärkte sich vergangene Woche durch die Weigerung der Banken, PA-Angestellten Kredit zu geben. In der Vergangenheit gewährte sie bei ähnlichen Engpässen zinslose Kleinkredite. Der internationale Boykott der Hamas-Regierung hat aber nicht nur Auswirkung auf die Beamtengehälter, sondern auf die Entwicklung der PA insgesamt. Erst am Sonntag erklärte die Weltbank, dass ihre Einschätzung über die Entwicklung der Autonomiebehörde unter Sanktionsbedingungen falsch sei. Die Weigerung Israels zur Auszahlung von Steuern (der über Israel eingeführten Waren), Handelseinschränkungen und der internationale Geberboykott führten nicht nur zur Verdoppelung der Arbeitslosenzahlen und einem Anstieg der Armutsrate auf zwei Drittel der Bevölkerung. „Diese Zahlen waren zu rosig“, so die Weltbank. Jetzt gehe es nicht mehr nur darum, Hungersnöte zu verhindern. Wenn die Zahlungen an die PA für einige Monate ausbleiben, „könnte sie ihre Funktionsfähigkeit verlieren“. Die quasi-staatlichen Institutionen, mit internationaler Unterstützung aufgebaut, könnten zusammenbrechen. Darüber hinaus stieß der Vorschlag, die Palästinenser über Hilfsorganisationen zu versorgen, auf Ablehnung. „Wir sind nicht dafür zuständig, alle Folgen einer verkommenen diplomatischen Lage zu kaschieren“, sagt François De Keersmaeker, Geschäftsführer von Handicap International in München. Die Versorgung der Palästinenser über Nichtregierungsorganisationen sei nicht leistbar.

„Man kann sich kaum vorstellen“, so die Weltbank darüber hinaus, „wie die PA die Bedingungen des Nahost-Quartetts erfüllen kann, wenn sie nicht arbeitsfähig ist.“ Vorstellbar sei sogar die Auflösung der PA; ein Schritt, der Israel wieder die volle Verantwortung über die Versorgung der Bevölkerung unter seiner Besatzung überließe. Israel möchte aber nicht nur die damit zusammenhängende Finanzlast, sondern auch zusätzliche Reibungspunkte mit den Palästinensern vermeiden. So scheint es, als wäre die Diplomatie des Aushungerns zunächst gescheitert. „Der Boykott gegen die Hamas und gegen jeden Palästinenser wirkt sich sehr negativ aus“, sagt Ijad Barguthi, Leiter einer Menschenrechtsorganisation in Ramallah. „Jeder, der denkt, dass der Zusammenbruch der Hamas-Regierung die Fatah wieder an die Macht bringt, ist unrealistisch.“

Umfragen zufolge hat die Popularität der Hamas seit den Wahlen zugenommen. Und die Islamisten denken auch nicht ans Aufgeben. Sie sammeln Geld auf der Straße und verteilen Flugblätter mit den Kontonummern der Ministerien. „Wir hungern lieber, als dass wir uns auf die Knie werfen“, war der Slogan auf einer Demonstration in Nablus am Dienstag. Verbeamtete Lehrer denken darüber aber anders. Sie protestieren nun gegen die ausstehenden Gehaltszahlungen. Durchhalteparolen helfen nicht gegen leere Kühlschränke. Und letzten Freitag beteten in Gaza Hunderte auf einem Fußballfeld, aus Protest gegen die Vereinnahmung der Moscheen durch die Hamas.

Positiv wurde die Einigung von Hamas und Fatah aufgenommen, die bewaffneten Feindseligkeiten dieser Woche einzustellen. Drei Menschen starben, Dutzende wurden verletzt im Streit zwischen Fatah-Präsident und Hamas-Ministerpräsident. Künftig wolle man Dispute aber wieder im Dialog lösen.