Auslaufmodell Kaufhaus: Was tun mit den großen, leerstehenden Kisten?
- Auslaufmodell Kaufhaus: Was tun mit den großen, leerstehenden Kisten?
- Große Ketten dominieren erst seit wenigen Jahrzehnten
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Einst zerstörten sie Individualität, jetzt verdrängt sie der Online-Versandhandel: Große Warenhäuser fallen dem Shopping-Kulturwandel zum Opfer. Was bedeutet das für die Zukunft der Innenstadt?
Seit in den 1960er- und 1970er-Jahren allerorts die Fußgängerzonen sprossen, und seit aus dem Einkauf für den täglichen Bedarf die postmoderne Freizeitbeschäftigung Shopping geworden ist, bemächtigt es sich mehr und mehr der Stadt. Das hat tiefergehende Gründe. So notiert etwa der Soziologe Gerhard Schulze, Erlebnisorientierung sei "die unmittelbare Form der Suche nach Glück".
Im praktischen Alltagsverhalten der Menschen schlägt sich das auch räumlich nieder, weil Erleben und Glück augenscheinlich nicht nur in der privaten Sphäre – sei's vor dem Fernseher oder im Bett, sei's im Sportstudio oder an der Theke – gesucht und gefunden werden.
Vor einiger Zeit ist sogar behauptet worden, dass sich die Rolle des öffentlichen Raums in den zeitgenössischen nordamerikanischen und europäischen Städten auf dessen konsumptiven Charakter reduziert habe. Shopping sei demzufolge die letzte verbliebene "öffentliche Handlungsweise", weil der öffentliche Stadtraum von Kaufmechanismen geregelt werde und andere Bereiche urbanen Lebens – etwa die zwanglose Begegnung von Menschen, der Austausch von Meinungen, das Demonstrieren – vom System des Kaufens und Warenverkaufs verdrängt werden.
Modernisierungsschübe bedrohen Vitalität
Doch nun stehen wir vor einer Existenzkrise des traditionellen Handels in den Kaufhäusern, Einkaufsstraßen und Fußgängerzonen. Vielerlei Einflüsse und veränderte gesellschaftliche Bedingungen, aber auch die Modernisierungsschübe des Handels selbst drohen die Vitalität der Innenstädte auszuhöhlen.
"Now Main Street's whitewashed windows and vacant stores", heißt es etwa in dem melancholischen Lied von Bruce Springsteen über den Niedergang der Heimatstadt, sinngemäß: Die Hauptstraße ist verödet, die Geschäfte stehen leer. In Deutschland sieht man solche Tristesse immer öfter in den zahlreichen ärmeren Gemeinden und Mittelstädten. Und selbst in den belebten Fußgängerzonen der Boomstädte ist schon lange nicht mehr zu übersehen, wie die Vielfalt schwand, das Persönliche, Besondere, Charakteristische.
Für diese Misere gibt es viele Ursachen. Wie Eroberer haben große Ketten die Citys übernommen. Ladenmieten stiegen ins Märchenhafte. Und, vor allem, das Online-Geschäft fordert fürchterliche Tribute vom stationären Handel.
Früher konnte jeder täglich spüren und sehen, dass eine Stadt von ihrem Handel und Gewerbe lebt; Erfolg und Verlust gingen ihn unmittelbar an. Heute ist das für den einzelnen durch die komplexen und nur noch mittelbaren Geschäfts- und Logistikbeziehungen kaum mehr erlebbar.
Dennoch wird man auf den Begriff des "Marktplatzes" stoßen, wenn man sich die Frage nach dem Zusammenhang von Shopping und Stadt stellt. Weil der Handel immer wieder neue Verkaufsstrategien entwickelt hat, war es nur folgerichtig, dass im beginnenden 19. Jahrhundert mit der Passage ein Bautypus entwickelt wurde, der ebendieses Bild neu belebte: Mit einem Raumgefühl, das den Bedürfnissen und Süchten einer sich liberalisierenden Gesellschaft Rechnung trägt; und der illusionistischen Sphäre einer gebauten dschungelhaften Stadtwirklichkeit.
Die Welt im Kleinen, noch dazu käuflich
Passagen seien, so Walter Benjamin, "Häuser, die keine Außenseite haben – wie der Traum". Behütet vor den Widrigkeiten des Alltags – wie Regen, Schnee und Straßenschmutz – konnte man hier gänzlich neue Erfahrungen sammeln: die Welt im Kleinen, und dazu noch käuflich.
Um die vorletzte Jahrhundertwende kam eine weitere Erfindung hinzu: Das Kaufhaus. Dessen Prinzip – feste Preise, alles unter einem Dach – kam zwar aus Frankreich, aber Rudolph Karstadt, Abraham Wertheim und Leonhard Tietz haben es hierzulande so prominent wie opulent gemacht.
Indes: Mochten die arrivierten Kaufhausriesen bis vor etwa dreißig Jahren noch als unangefochtene Ankerpunkte des urbanen Einkauferlebnisses dienen, so tun sie sich längst schwer, Kunden anzulocken. So umfassend ihr Sortiment auch sein mag, so gering scheint die Verlockung. Entsprechend wird nun, einmal mehr, ihr Niedergang beklagt: als gesichtslose Boxen mit maximierter Verkaufsfläche, den heutigen Einkaufsbedürfnissen nicht mehr entsprechend.
Galeria Karstadt Kaufhof musste 2022 erneut Insolvenz anmelden, ein Drittel seiner rund 120 Filialen soll schließen. Ketten wie Orsay, Goertz und Salamander stehen ebenfalls vor dem Aus. Und auch Nutzende mit großem Flächenbedarf wie Elektronikhändler sind keine verlässliche Größe mehr: Conrad schließt an einigen Standorten seinen stationären Einzelhandel, und Ceconomy mit Media Markt und Saturn steckt ebenfalls in einer Krise.
Wir stehen vermutlich vor einer umfassenden Reorganisation des städtischen Raums. Junge Leute laufen heute mit ihren digitalen Endgeräten vor den Augen durch die Straßen: Sie konsumieren Medien statt Schaufenster, sind gewissermaßen blind auf den Straßen unterwegs.
Die Videokonferenz ersetzt das Kaffeehausgespräch, der Spaziergang im Wohnviertel das Geschäftsessen in der Innenstadt: Unser soziales Leben ändert sich.
Aus einer solchen Perspektive ist die Krise des stationären Einzelhandels und speziell der Raumnutzungsart Kauf- und Warenhaus vielleicht gar keine. Sondern ein ganz normaler Aspekt einer marktorientierten Ressourcenallokation. Auf der Angebotsseite stehen Waren und Güter, auf der Nachfrageseite die Kundschaft.
Weil Menschen in den vergangenen Jahrzehnten gelernt haben, dass die Waren im Online-Handel nicht nur zum Teil günstiger sind, sondern auch bequem nach Hause geliefert werden, verschwindet die Notwendigkeit eines stationären Geschäfts.
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